Panorama

Erbschaft, Geheimdienste und Fragen Warum sterben vier Menschen?

Der Tatort zwei Tage nach dem Blutbad.

Der Tatort zwei Tage nach dem Blutbad.

(Foto: AP)

Das Blutbad mit vier Toten in den französischen Alpen bleibt mysteriös. Noch gibt es mehr Fragen als Antworten. Der Mord soll Züge einer Kommandoaktion gehabt haben. Immer mehr Hinweise lassen vermuten, dass mehrere Profikiller am Werk waren. Möglicherweise liegen die Motive für die Bluttat im Leben des 50-jährigen Familienvaters.

Die Identität der Opfer des mysteriösen Vierfach-Mordes in Ostfrankreich ist geklärt: Das vierjährige Mädchen, das die Bluttat unverletzt überlebte, habe die Identität ihrer Familie bestätigt, sagte der Staatsanwalt von Annecy, Eric Maillaud. Demnach handelt es sich bei den Toten wie vermutet um den 50 Jahre alten Saad al-Hilli, seine Frau und offenbar eine Verwandte.

Die formelle Identifizierung durch DNA-Abgleich soll am Samstag oder Sonntag folgen. Dazu haben die französischen Ermittler in Großbritannien und Schweden Anträge auf Amtshilfe gestellt. Die irakisch-stämmigen Urlauber aus Großbritannien und Schweden sowie ein französischer Radfahrer wurden erschossen. Zwei Mädchen hatten das Drama vor zwei Tagen überlebt.

Das Mädchen, das wie durch ein Wunder die Mordtat unverletzt überlebte, sei am Donnerstagabend nochmals gehört worden, sagte Maillaud. Die Vierjährige habe keine weitere Einzelheiten nennen können. "Sie hat Schreie gehört, sie hatte Angst und wollte sich verstecken." Staatsanwalt Maillaud zweifelt, ob das schwer traumatisierte Kind den Ermittlern je wird helfen können. Ihre siebenjährige Schwester, die schwer am Kopf verletzt worden war, sei nach einer zweiten Operation außer Lebensgefahr.

Jedes der drei Opfer aus der britischen Familie sei durch zwei gezielte Schüsse in die Stirn gestorben, berichtete der Sender Sky unter Berufung auf britische Polizeiquellen. Der französische Radfahrer, dessen Leiche außerhalb des Fahrzeuges gefunden wurde, hatte fünf Schusswunden. Die Aktion soll nicht länger als 30 Sekunden gedauert haben. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Schüsse von mehreren Schützen abgefeuert wurden.

Das Haus der Familie in Claygate, Surrey.

Das Haus der Familie in Claygate, Surrey.

(Foto: AP)

Die französische Justiz hat inzwischen ein offizielles Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es gehe dabei um Mord und um Mordversuch, sagte Maillaud. "Es gab den Willen, alle lebenden Personen zu töten", hob er hervor. Zwei Untersuchungsrichter wurden mit dem Fall betraut. Um die Zusammenarbeit mit den britischen Behörden zu erleichtern, sei ein Ermittlungsbeamter nach London geschickt worden.

Eine Spur führt nach London

Zwei Tage nach den Morden liegt das Motiv jedoch noch völlig im Dunkeln. Die Ermittler gehen ersten konkreten Spuren nach. In der britischen Presse kursierten Spekulationen über "Auftragsmorde", möglicherweise aus familiären Gründen. Nach Informationen des Senders "Sky News" hatte die Tat Züge einer Kommandoaktion.

Der erschossene Familienvater Saad al-Hilli habe anscheinend Geldstreitigkeiten mit seinem Bruder gehabt, sagte Maillaud.  "Diese Information scheint seriös zu sein, sie stammt von der britischen Polizei." Der Bruder müsse nun "sehr lange" befragt werden. Laut britischer Zeitung "Daily Mirror" ging es um eine Erbschaft von mehr als einer Million Euro.

Zugleich warnte der Staatsanwalt jedoch vor voreiligen Schlüssen. Es stelle sich die Frage, ob Geldstreitigkeiten der Anlass für einen Vierfach-Mord sein könnten, sagte er. Es werde daher jede Spur "akribisch" verfolgt. Nach Angaben aus französischen Polizeikreisen meldete sich der Bruder bei der britischen Polizei und beteuerte seine Unschuld.

Den Angaben des Freundes zufolge war der Iraker mit britischem Pass erst vor kurzem in seiner alten Heimat, um Immobilien zurückzufordern, die seiner Familie vom Regime Saddam Husseins abgenommen worden waren. Er selbst war bereits in den 1970er Jahren nach Großbritannien gekommen und hatte zunächst im Londoner Stadtteil Pimlico gelebt. Laut der schwedischen Zeitung "Aftonbladet" lebte die bei dem Überfall ermordete Großmutter zurückgezogen in Stockholm.

Die "Daily Mail" schrieb weiter, britische Geheimdienste seien eingeschaltet. Dort sei der Name des Mannes bereits bekannt - sowohl der Inlandsgeheimdienst MI5 als auch der Auslandsdienst MI6 hätten seit dem Einmarsch britischer und US-amerikanischer Truppen im Irak 2003 Akten über den Mann.

Plötzlicher Aufbruch in den Urlaub

Der Mann lebte mit seiner Frau und den zwei Töchtern in einem Fachwerkhaus im englischen Claygate. Nach BBC-Informationen war er unter anderem für Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrtbranche tätig. Zuletzt hatte der Informatikexperte al-Hilli als Berater für SSTL gearbeitet, eine zum Rüstungs- und Luftfahrtkonzern EADS gehörende Firma im Bereich des Satellitenbaus. Gefährliche Geheimnisse habe al-Hilli aber wohl nicht gekannt, sagte sein Buchhalter Stedman. "Er hatte nichts mit irgendwelchen Rüstungsprojekten zu tun."

Die Familie soll nach Angaben aus der Nachbarschaft vergleichsweise plötzlich in ihren Urlaub aufgebrochen sein. Der "Independent" zitierte einen Freund der Familie mit den Worten, die Familie sei "Hals über Kopf" in die Ferien gefahren. Er habe den 50-Jährigen, eines der späteren Opfer, noch auf eine Tasse Kaffee treffen wollen und ihn deswegen angerufen. Am Telefon habe er ihm gesagt, dass er schon nicht mehr auf der Arbeit sei.

In Frankreich kam unterdessen mehr und mehr Kritik an der Ermittlungsarbeit der Polizei auf, denn die unverletzte Vierjährige war erst rund acht Stunden nach dem Fund der Leichen in dem von Kugeln durchsiebten Auto entdeckten worden. Ermittler hatten gesagt, das Mädchen sei übersehen worden, weil der Tatort nach dem Fund sofort abgesperrt worden sei, um das Eintreffen von Spezialisten der Spurensicherung aus Paris abzuwarten. Innenminister Manuel Valls sagte im Sender RTL, die Polizei habe "überhaupt keinen" Fehler begangen.

Quelle: ntv.de, AFP/dpa

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