Panorama

Erdbeben in Mittelitalien Wiederaufgebaut wird hier nichts mehr

Arquata del Tronto, ein Jahr nach dem Unglück.

Arquata del Tronto, ein Jahr nach dem Unglück.

(Foto: Francesco Riti)

Vor einem Jahr erschüttert ein Erdbeben der Stärke 6,2 Mittelitalien. Noch immer liegen Millionen Tonnen Schutt herum. Und auch die Notunterkünfte stehen bis heute zum Großteil nicht.

"Ich lebe jetzt seit fast einem Jahr samt Hund und Katze in einem Hotel in Porto D'Ascoli an der Küste. Und jetzt soll ich das Zimmer wechseln, weil Touristen kommen. Nix da, ich mach jetzt die aufsässige alte Dame." So alt ist sie dann auch nicht, Maria Luisa Fiori, 59 Jahre, aus Arquata del Tronto, einer Gemeinde der Region Marche, die genau vor einem Jahr besonders stark vom Erdbeben heimgesucht wurde.

Die meisten Häuser, die in Arquata del Tronto noch stehen, sind unzugänglich.

Die meisten Häuser, die in Arquata del Tronto noch stehen, sind unzugänglich.

(Foto: Francesco Riti)

Allein in Arquata starben 51 Menschen. Insgesamt forderte das Erdbeben vom 24. August der Stärke 6,2, das sich über das Grenzgebiet der Regionen Marche, Latium und Umbrien erstreckte, 300 Menschenleben. Damit aber nicht genug, Ende Oktober folgten zwei weitere der Stärke 5,9 und 6,4, und am 18. Januar dieses Jahres ein drittes der Stärke 5. Und noch vor ein paar Tagen zitterte die Erde wieder.

Nach dem ersten Erdbeben hatte Maria Luisa beschlossen, mit anderen 60 Bewohnern Stellung zu halten, nach dem zweiten mussten aber auch sie das Feld räumen. Von der ehemaligen, auch als Urlaubsort sehr beliebten Gemeinde mit 1400 Einwohnern, war nur mehr ein Trümmerhaufen übrig.

Maria Luisa ist auch die Gründerin und Vorsitzende des Vereins "Con Arquata per Arquata". Am Anfang erfuhren sie viel Gegenwind, besonders seitens der lokalen Machthaber. Heute zählt der Verein 200 Mitglieder. "Unser erstes Anliegen war, die Leute von hier irgendwie zusammenzuhalten. Man hatte uns ja entlang der Küste verstreut. Außerdem galt es, nach dem Rechten, der Verwaltung auf die Finger zu sehen." Vieles, wofür sie in diesen Monaten gekämpft haben, hat leider wenig bewegt.

Der Schrecken steckt noch zu tief

Von den Trümmern ist fast nichts weggeräumt worden. Allein in Arquata sind es 560 Tausend Tonnen. Ein Problem, das nicht nur diese Ortschaft betrifft, sondern beinahe alle 131 Gemeinden im "cratere", dem Krater, wie die Erdbebenregion genannt wird. Überall liegen noch Berge davon herum. Und mit den Notunterkünften vor Ort, eine wichtige Voraussetzung, damit diese Gemeinden nicht aussterben, sieht es nicht besser aus. Die meisten leben noch immer in den Hotels an der Küste, bei Verwandten, oder sind für immer weggezogen.

Maria Luisa erzählt weiter. "Ist es nicht ein Witz, dass diese Notunterkünfte, einfache Holzhäuser, verniedlicht 'casette', Häuschen, genannt, erst jetzt nach einem Jahr geliefert werden? 26 davon wurden hier in Arquata erst vor Kurzem geliefert, 200 sollen es insgesamt hier sein. Meines müsste Ende Oktober fertig sein. 60 Quadratmeter für mich und meine 26-jährige Tochter." Ihre einstige Wohnung befindet sich in der Altstadt, in der roten Zone, in die keiner hineindarf. "Das Haus ist wahrscheinlich nicht zu retten. Aber ich weiß gar nicht, ob ich da wieder wohnen würde. Der Schrecken steckt noch zu tief." Aufgearbeitet hat die Tragödie niemand. Wie auch, wenn man seit einem Jahr notgedrungen woanders lebt.

Häuschen neben Schutthalden

Die "casette" werden auf dem ehemaligen Sportplatz aufgestellt. "Gleich neben den Schutthalden", erklärt Eleonora Tiliacos, stellvertretende Vorsitzende des Vereins. "Was, abgesehen von den psychologischen Aspekten, auch eine Gefahr birgt. Denn in den Trümmern ist Asbest. Hätte man mit der Räumung sofort begonnen, wäre es auch leichter gewesen, diesen zu isolieren. Nach einem Jahr unter freiem Himmel hat sich ein Teil der Trümmer pulverisiert. Und mitten hierin sollen die Menschen jetzt wohnen?" Und wovon überhaupt, viele haben alles verloren, auch die Arbeit. "In den Hotels ist die Verkostung zumindest gratis, Heiz- und Energiespesen fallen auch nicht an. Sobald sie aber die Holzhäuser beziehen, müssen sie selber dafür aufkommen", gibt sie zu bedenken.

Doch statt sich darüber Gedanken zu machen, wollte die Region Marche die mit Solidaritäts-SMS gespendeten 17 Millionen Euro für eine Fahrradstraße verwenden. Dagegen lief der Verein aber Sturm, diesmal mit Erfolg: "Jetzt sollen aber 10 Millionen Euro aus EU-Geldern dafür abgezweigt werden, die eigentlich zur Erdbebensicherung der Bauten bestimmt waren." Gleich nach dem Erdbeben hatte Matteo Renzi, damals noch Premier, versprochen, jede Ortschaft, Stein um Stein, wieder aufzubauen. "Nur, hier gibt es nichts mehr und wird es auch nichts mehr geben", meint Maria Luisa entmutigt.

Quelle: ntv.de

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