Landesweite Streiks 15-Jähriger beigesetzt
09.12.2008, 23:01 UhrZehntausende haben in Griechenland bei Trauermärschen des 15-jährigen Schülers gedacht, der in Athen durch eine Polizeikugel getötet worden war. Nach der Beerdigung flammten neue Zusammenstöße zwischen Autonomen und Sicherheitskräften auf. Die Regierung drohte den Randalierern mit der ganzen Härte der Staatsgewalt.
Seit dem Tod des Jungen am vergangenen Samstag hat eine beispiellose Welle der Gewalt Athen und andere Städte erfasst. Nach ersten Schätzungen der Wirtschaft entstanden Schäden von mehr als einer Milliarde Euro. Der konservative Regierungschef Kostas Karamanlis suchte Unterstützung bei der sozialistischen Opposition, die ihm und den Sicherheitskräften allerdings Versagen vorwarf.
Landesweite Streiks am Mittwoch
Für Mittwoch sind landesweite Streiks in Griechenland angekündigt. Wegen möglicher Ausschreitungen werde es nur eine zentrale Kundgebung und keine Demonstration durch die Straßen Athens geben, teilten die Gewerkschaften mit. Da sich auch die Fluglotsen beteiligen, soll der griechische Luftraum ab Mitternacht Ortszeit (23.00 Uhr MEZ) für 24 Stunden geschlossen bleiben. Zu dem Streik hatten bereits vor zwei Wochen die zwei größten Gewerkschaften aufgerufen. Sie protestieren gegen die Lohnpolitik der konservativen Regierung.
Weitere Ausschreitungen
Nach drei Nächten mit brennenden Geschäften und schweren Verwüstungen kam es trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen auch am Dienstagabend sporadisch zu weiteren Ausschreitungen in Athen. Rund 50 Randalierer zündeten Mülltonen im Stadtteil Nea Smyrni an. Ein Polizist, der sich bedroht fühlte, feuerte nach Angaben der Polizeidirektion einen Warnschuss in die Luft ab. Augenzeugen sprachen im Fernsehen von mindestens sieben Warnschüssen. Verletzt wurde niemand.
Auch nahe der Polizeidirektion von Athen sowie vor dem Polytechnikum kam es zu Krawallen. Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein, um die Randalierer auseinander zu treiben. Autonome zerstörten in der Hafenstadt Thessaloniki eine Bankfassade. Auch in der westgriechischen Hafenstadt Patras kam es vorübergehend zu Ausschreitungen mit Steinwürfen.
Racheschwüre auf Trauerfeier
Zur Beerdigung des Schülers auf einem kleinen Friedhof in der Athener Vorstadt Palaio Faliro kamen außer der Familie und Freunden auch Schülervertretungen aus zahlreichen Gymnasien Athens. Schüler aus Nordgriechenland und von der Insel Kreta schickten Blumen. Als der Sarg aus der Kirche getragen wurde, brandete Beifall auf.
"Es ist der letzte Beifall für einen Jungen, den die Polizeigewalt von uns genommen hat", sagte ein Schüler im Radio. Überall waren weiße Nelken. "Sie symbolisieren in unserem Glauben die Unschuld des Jungen." Aus der Menge kamen auch harte Worte. "Bullenschweine - Mörder", skandierten einige. "Das vergossene Blut fordert Rache." Die Polizei beobachtete von einem Hubschrauber aus in diskreter Entfernung die Trauerfeier.
Auf vielen zentralen Plätzen im Land gedachten zeitgleich zehntausende Schüler des 15-Jährigen. Aus einer Demonstration von rund 5000 Schülern in Athen lösten sich etwa 200 Jugendliche und bewarfen die Polizei mit roter Farbe, Steinen und Latten vor dem Parlamentsgebäude, wie das Fernsehen berichtete. Die Polizei setzte massiv Tränengas ein, um die Randalierer auseinanderzutreiben.
Schneise der Verwüstung in Athen
Im Athener Stadtzentrum hatten in der Nacht zum Dienstag rund 5000 zumeist vermummte Autonome hunderte Läden, öffentliche Gebäude und Autos in Brand gesteckt und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Die Sicherheitskräfte reagierten zumeist hilflos. Eine offizielle Bilanz der Schäden gab es zunächst nicht. Bei den schweren Ausschreitungen wurde sogar der Eingang des Außenministeriums verwüstet. "Ich bin wie gelähmt. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", klagte der Inhaber eines Schuhgeschäfts an der Akademiasstraße im Zentrum. Sein Laden war nur noch ein verkohltes schwarzes Loch in dem Gebäude.
Schlag gegen Demokratie
Ministerpräsident Karamanlis rief die politischen Parteien zur Geschlossenheit auf. "Das ist unsere Pflicht", sagte er nach einem Treffen aller Spitzenpolitiker bei Staatschef Karolos Papoulias. Der Regierungschef kündigte eine lückenlose Aufklärung zum Tod des 15- Jährigen an.
Die oppositionellen Sozialisten warfen der Regierung Versagen vor. Sozialistenchef Giorgos Papandreou griff Karamanlis scharf an. Die Regierung sei nicht imstande, die Bürger zu schützen, sagte er. "Unsere Gesellschaft durchlebt eine schwere Krise." Das Volk vertraue der Regierung nicht mehr.
Staatspräsident Papoulias rief seine Landsleute auf, das Gesetz zu achten. "Der heutige Tag der Beerdigung des Alexis Grigoropoulos ist ein Tag der Trauer. Seine Ermordung hat unsere Demokratie tief verletzt", ließ Papoulias mitteilen.
Unklarheit über Tathergang
Nach wie vor herrscht Unklarheit über den genauen Hergang der Ereignisse, die zum Tod des 15-Jährigen führten. Der Polizist, der den tödlichen Schuss abgefeuert haben soll, bekräftigte, er habe Warnschüsse abgefeuert, von denen einer als Querschläger den Jungen getroffen habe. Klarheit darüber soll die ballistische Untersuchung der Kugel bringen. Mindestens drei Augenzeugen sagten im Fernsehen, der Polizist habe direkt auf den Jungen gezielt und geschossen.
Mitschüler sagten griechischen Medien, der 15-Jährige sei ein ruhiger und ausgeglichener Junge gewesen. "Er hat immer unsere Seele erheitert, wenn wir traurig waren", fügte ein enger Freund hinzu.
Grigoropoulos stammte aus einer wohlhabenden Familie. Seine Eltern besitzen einen der bekanntesten Juwelierläden von Athen. Sein Vater ist Architekt. Der Junge besuchte eine der teuersten Privatschulen Griechenlands. "Andreas-Alexandros passt damit nicht ins Bild der Chaoten, die aus Frust über die ungerechte Gesellschaft alles kurz und klein schlagen", sagte ein Psychologe im Fernsehen.
Quelle: ntv.de