Edward gegen Goliath 29-Jähriger enthüllt Datensammelwut der USA
10.06.2013, 16:57 Uhr
Edward Snowden war ein unauffälliger Kerl, bis er die Bombe platzen ließ.
(Foto: picture alliance / dpa)
Er ist blass, trägt Brille und Bart. Edward Snowden ist unauffällig und jetzt Staatsfeind Nummer Eins der USA. Im Alleingang enthüllt er, wie US-Behörden Millionen Datensätze von Bürgern aus aller Welt abfischen. Die Geschichte des Edward S. - schier unglaublich.
Edward Snowden führte ein komfortables Leben im Tropenparadies Hawaii - mit seiner Freundin an der Seite und einem Jahresgehalt von 200.000 Dollar. Doch dann legte er sich mit einem mächtigen Gegner an: den Geheimdiensten der USA. Der 29 Jahre alte Techniker und Mitarbeiter einer Beratungsfirma ist der britischen Zeitung "The Guardian" und der US-amerikanischen "Washington Post" zufolge die Quelle für die Enthüllungen über geheime US-Überwachungsprogramme. Seit Tagen sorgen sie weltweit für Schlagzeilen, auch Kanzlerin Angela Merkel gerät unter Druck, eine Erklärung von US-Präsident Obama einzufordern.
Nun verschanzt sich Edward Snowden in einem Hotelzimmer in Hongkong - und wartet auf eine Reaktion von US-Präsident Barack Obama.
In einem Videointerview mit dem "Guardian" erklärt Snowden, warum er die vertraulichen Dokumente weitergereicht habe. Sein "einziges Motiv" sei es, die Öffentlichkeit über die "massive Überwachungsmaschine" der USA zu informieren, sagt er. Er könne nicht guten Gewissens zulassen, dass die Regierung in Washington für Menschen überall auf der Welt "das Privatleben, die Internetfreiheit und grundlegende Freiheiten zerstört". Snowden verrät: "Die NSA hat eine Infrastruktur aufgebaut, die ihr erlaubt, fast alles abzufangen."
"Ich habe keine Absicht, mich zu verstecken"
Die Tragweite von Snowdens Vorwürfen ist enorm: Stimmt seine Darstellung von einem nahezu grenzenlosen Aufsaugen der weltweiten Kommunikationsdaten, wären die sorgsam formulierten Dementis der US-Regierung und der Internet-Konzerne auf einen Schlag bedeutungslos. Welchen Unterschied macht schließlich die Feinheit, ob der US-Geheimdienst direkt auf Server von Google oder Facebook zugreifen kann, wenn sowieso alles unterwegs abgefangen wird? Die US-Behörden wiesen am Wochenende wieder jeden Gesetzesverstoß zurück.
In den Videoaufnahmen wirkt Snowden überlegt und klar. "Ich habe keine Absicht, mich zu verstecken, weil ich weiß, dass ich nichts Falsches gemacht habe." Snowden erzählt dem "Guardian", dass er zunächst im Bundesstaat North Carolina aufgewachsen und dann mit seiner Familie in die Nähe von Fort Meade in Maryland gezogen sei.
Dort befindet sich das Hauptquartier der National Security Agency (NSA), dessen Spähmethoden er nun öffentlich gemacht hat. In Fort Meade steht außerdem der Obergefreite Bradley Manning vor Gericht, der vor drei Jahren hunderttausende US-Geheimdokumente an die Enthüllungswebseite Wikileaks weiterleitete. Manning wird im schlimmsten Fall lebenslang ins Gefängnis müssen - dieses Schicksal könnte auch Snowden drohen.
Angst vor Auslieferung in die USA
Dass sich sein bisheriges Leben komplet ändern wird, war Snowden gleich klar: "Ich rechne nicht damit, meine Heimat wiederzusehen", sagte er. Auf eine Anklage in den USA hat er sich eingestellt. Den Zufluchtsort Hongkong wählte er, weil die frühere britische Kolonie eine "starke Tradition der freien Meinungsäußerung" habe. Die Metropole gehört zu China, hat aber Sonderverwaltungsrechte. Doch ein sicheres Rückzugsgebiet ist Hongkong nicht. Denn im Jahr 1996 unterzeichneten die USA und Hongkong ein gegenseitiges Auslieferungsabkommen - ein Jahr vor der Übergabe der Souveränitätsrechte an China, aber mit dem Segen aus Peking.
Ein Auslieferungsverfahren könnte Monate oder sogar Jahre dauern. Snowden sagt, er wolle sich um Asyl bemühen, vielleicht in Island. Doch um einen Antrag zu stellen, müsste er erst dorthin kommen, wie die isländischen Behörden klarstellten.
Wer ist Edward Snowden, der unauffällige Typ mit der Brille? Nach eigenen Angaben war Snowden kein guter Schüler und verließ die High School ohne Abschluss. Zunächst ging er zur Armee, heuerte bei den Spezialkräften an. Doch nach einem Trainingsunfall wurde er aus dem Dienst entlassen. Er startete dann als einfacher Sicherheitsmann bei der NSA. Der Computerexperte wechselte in den Bereich IT-Sicherheit beim Auslandsgeheimdienst CIA. Dort sei er auch ohne Diplom schnell aufgestiegen und zwischenzeitlich in Genf in der Schweiz stationiert gewesen, berichtete er. Dort seien ihm erstmals moralische Bedenken gekommen: "Mir wurde klar, dass ich Teil von etwas bin, das mehr Schaden anrichtet als Gutes tut."
Im Jahr 2009 wechselte er erneut zu einer Beratungsfirma, die unter anderem für die NSA tätig ist. Dort sei ihm das ganze Ausmaß der staatlichen Überwachung bewusst geworden, sagt Snowden dem "Guardian". Der mit dem Versprechen von mehr Transparenz angetretene Obama habe "genau die Politik vorangetrieben, von der ich dachte, dass sie gezügelt wird".
Vor drei Wochen kopierte Snowden laut "Guardian" im NSA-Büro auf Hawaii die letzten Dokumente für seine Enthüllungen, Seine anschließende Flucht nach Hongkong gehört in einen Agentenfilm. Snowden kopiert die letzten Dokumente, meldet sich krank, sagt seiner Freundin nur, dass er für ein paar Wochen verreist und steigt ins Flugzeug. In Hongkong verschanzt er sich in einem Hotelzimmer und tippt dem «Guardian» zufolge aus Angst vor Kameras selbst dort seine Passwörter in sein Notebook nur unter einer Decke ein. Verlässt er das Zimmer, stellt er eine Flasche Soja-Sauce hinter die Tür - damit ein unvorsichtiger Besucher Spuren hinterlässt.
Quelle: ntv.de, jtw/AFP/dpa