Hessische Erziehung Ab nach Sibirien
16.01.2008, 20:56 UhrDie Behörden in Hessen greifen im Umgang mit jugendlichen Gewalttätern zu drastischen Mitteln. Ein 16-jähriger Schüler wurde zur Besserung nach Sibirien geschickt, berichtet die "Süddeutsche Zeitung". Der immer wieder als gewalttätig aufgefallene Jugendliche solle dort auf Beschluss des Jugendamtes im Landkreis Gießen ein Dreivierteljahr lang gemeinsam mit einem Betreuer unter einfachsten Bedingungen leben.
Es gehe nicht um eine Bestrafung, sondern um eine "erlebnispädagogische Maßnahme", sagte der Jugenddezernent des Landkreises, Stefan Becker, dem Blatt. Etwa die Hälfte seiner Zeit in Sibirien sei bereits vorbei. Der Jugendliche solle einer "möglichst reiz- und konsumarmen Umgebung" ausgesetzt werden. Laut Becker hat der Junge kein fließendes Wasser zur Verfügung und musste sich eine behelfsmäßige Toilette selbst bauen.
Kritik an Auslandserlebnispädagogik
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) waren 2006 bundesweit etwa 600 Kinder und Jugendliche in "intensivpädagogischen Auslandsmaßnahmen" untergebracht. Jugendämter entschließen sich zu solchen Maßnahmen auf Basis des Sozialgesetzbuches (VII, 35).
Die Auslandsunterbringung, zumal außerhalb der EU, ist jedoch umstritten. Kritiker werfen den Jugendämtern eine "Entsorgungsmentalität" vor. Vor vier Jahren tötete eine 14-Jähriger in Griechenland seinen Betreuer. 2005 war ein 17-Jähriger mehrere Wochen in Kirgisien nicht aufzufinden.
In Kochs Geist
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) hat im Landtagswahlkampf mit Forderungen nach einem härteren Umgang mit jugendlichen Gewalttätern eine bundesweite Debatte ausgelöst. Die SPD lehnt die von der CDU geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts erneut strikt ab. Alle Redner der SPD widersprachen im Bundestag in dem hochemotional geführten Schlagabtausch klar dem Koalitionspartner.
In der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde bezeichneten SPD und Opposition das geltende Recht als ausreichend. Das Problem seien vielmehr Vollzugsdefizite. Abgeordnete von CDU und CSU verteidigten Koch und beharrten auf einer Verschärfung der Gesetze. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Hans-Peter Uhl, kündigte an, alle von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) abgelehnten Vorschläge wieder einzubringen. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte, es gebe Fälle, wo Erziehungsgespräche nichts nützten. Diese jugendlichen Straftäter müsse man "leider hinter Schloss und Riegel bringen".
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, warf Koch einen "schäbigen" Wahlkampf vor. Er versuche, am rechten Rand Wählerstimmen zu fischen. Die Jugendgewalt komme aus der Mitte der Gesellschaft, aus bildungsfernen und sozial schwachen Schichten. "Wir intervenieren zu spät. Wir handeln zu spät."
Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, der frühere Jugendrichter Joachim Stünker, sagte, das Jugendstrafrecht "zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf zu machen, ist wider jede politische Vernunft". Wie andere Redner auch verwies er auf Defizite beim Gesetzesvollzug.
Die CDU bestimmte inzwischen Koch zum Vorsitzenden ihrer Arbeitsgruppe "Sicherheit im öffentlichen Raum". In Hessen wird am 27. Januar ein neuer Landtag gewählt. Umfragen zufolge droht Koch der Verlust der absoluten Mehrheit.
Quelle: ntv.de