Politik

Wählen und töten in Syrien Abstimmung gerät zur Farce

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Inmitten andauernder Gewalt können die Syrer über eine neue Verfassung abstimmen. Etwa 15 Millionen Wahlberechtigte sind vom Regime des Präsidenten Assad aufgerufen, sich an dem Referendum zu beteiligen. Zweitgleich werden Dutzende Menschen bei Protesten getötet. Bundesaußenminister Westerwelle bezeichnet das Referendum als Farce.

Die syrische Führung hat das von der Opposition scharf kritisierte Verfassungsreferendum ungeachtet neuer massiver Gewalt gegen Zivilisten auf den Weg gebracht. Mindestens 31 Menschen wurden nach Angaben von Menschenrechtlern allein am Wahltag getötet, während gleichzeitig in zahlreichen Städten die Wahllokale öffneten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle nannte die Abstimmung "eine Farce". Das Rote Kreuz bemühte sich weiter um Zugang zu den seit mehr als drei Wochen eingeschlossenen Zivilisten, Rebellen und Journalisten im Stadtteil Baba Amro der Protesthochburg Homs, wo die Lage immer prekärer wird.

Dutzende Menschen wurden an diesem Wochenende in Homs getötet.

Dutzende Menschen wurden an diesem Wochenende in Homs getötet.

(Foto: dpa)

An eine Teilnahme am Referendum war in Homs wie auch in vielen anderen umkämpften Provinzstädten nicht zu denken. "Worüber sollen wir abstimmen? Ob wir durch Bombardierung oder durch Kugeln getötet werden? Das ist die einzige Wahl, die wir haben", sagte ein Regierungsgegner. "Wir sind seit 23 Tagen in unseren Häusern gefangen. Wir können nicht raus, außer in ein paar Gassen." Märkte, Schulen und Regierungsgebäude seien geschlossen. Auf den Straßen sei kaum etwas los wegen der Heckenschützen. Im Stadtteil Baba Amro gebe es seit drei Tagen nichts mehr zu essen und kein Wasser. Ganz Homs müsse 18 Stunden am Tag ohne Strom auskommen.

Die syrische Führung hatte mehrfach erklärt, sie bekämpfe vom Ausland unterstützte Terroristen. Es ist schwierig, die Angaben der Behörden oder der Opposition unabhängig zu überprüfen, da Syrien kaum ausländische Berichterstatter ins Land lässt. In Homs allerdings befinden sich immer noch zwei westliche Journalisten, die kürzlich beim Bombardement der Stadt verletzt wurden. Zwei Kollegen von ihnen starben. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte, es verhandle weiter mit den syrischen Behörden und den Kämpfern der Opposition, um zu den Hilfebedürftigen in Baba Amro zu gelangen. Bislang seien die Gespräche aber "ohne konkretes Ergebnis verlaufen", sagte IKRK-Sprecher Hicham Hassan in Genf.

Opposition boykottiert die Abstimmung

Assad lässt auch an diesem Tag wieder für sich jubeln.

Assad lässt auch an diesem Tag wieder für sich jubeln.

(Foto: dpa)

Ungeachtet der Gewalt hielt die syrische Führung das umstrittene Referendum in ruhigeren Landesteilen ab. In Damaskus kamen Dutzende, um für Assad zu stimmen. Die syrische Opposition hatte zu einem Boykott aufgerufen. Sie wirft Assad vor, sich den Anschein zu verleihen, auf die Proteste des Volks einzugehen, während er in Wirklichkeit seine Macht zementiere. Assad hatte die Abstimmung angesetzt, nachdem der internationale Druck auf ihn zunahm und die seit fast einem Jahr anhaltenden Proteste nicht abebbten.

Die Syrer sollen darüber abstimmen, ob ein Artikel aus der Verfassung gestrichen wird, der Assads Baath-Partei bislang die Alleinherrschaft garantiert. In diesem Fall soll ein Mehrparteiensystem etabliert und binnen drei Monaten eine Parlamentswahl abgehalten werden. Außerdem soll der Präsident nur noch zwei Amtszeiten mit einer Dauer von jeweils sieben Jahren regieren dürfen. Da diese Begrenzung jedoch nicht nachträglich wirksam wird, würde Assad de facto bis 2028 an der Spitze des Staats bleiben können. Seine jetzige Amtszeit dauert noch bis 2014, seit elf Jahren regiert er in Syrien und seit vier Jahrzehnten herrscht seine Familie in dem arabischen Land.

Westerwelle spricht von "Scheinabstimmung"

Westerwelle sagte, das Referendum sei "nicht mehr als eine Farce". Scheinabstimmungen könnten kein Beitrag zu einer Lösung der Krise sein. Assad müsse endlich die Gewalt beenden und den Weg für einen politischen Übergang frei machen. Gleichzeitig warnte der deutsche Chef-Diplomat in einem Interview des "Tagesspiegel", alles zu vermeiden, was Syrien einem Stellvertreterkrieg näher bringen könnte. "Das könnte in der Region einen Flächenbrand auslösen und am Ende eine Konfrontation heraufbeschwören, die bis nach Moskau oder Peking reicht." Eine Diskussion über ein militärisches Eingreifen werde die sorgfältig geschmiedete internationale Allianz gegen Assad in Gefahr bringen und ihn letztlich dadurch stärken.

Deutschland suche daher weiter nach Wegen, eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden, sagte Westerwelle weiter. Für Montag kündigte er neue, schärfere Sanktionen der Europäischen Union gegen Syrien an, darunter Einschränkungen für den syrischen Finanzsektor und den Flugverkehr. Sanktionen auf Ebene des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen scheiterten dagegen bislang am Widerstand der Vetomächte Russland und China, die neben dem Iran wenigen verbliebenen Unterstützer Assads.

Quelle: ntv.de, dpa/rts

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