Politik

Ypsilanti gescheitert Abweichler in die Wüste

Die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti hat sich "maßlos enttäuscht" von den vier SPD-Abgeordneten gezeigt, die ihr die Unterstützung bei der Ministerpräsidentenwahl verweigert haben. Die Entscheidung von Vize-Landeschef Jürgen Walter sowie den Parlamentarierinnen Dagmar Metzger, Carmen Everts und Silke Tesch sei für sie "sehr überraschend" gekommen, sagte Ypsilanti nach einer Sitzung des SPD-Landesvorstandes in Wiesbaden. Auch all jene, die in Hessen auf einen Politikwechsel gehofft hätten, müssten "von diesen vier Personen" enttäuscht sein. Ein Gespräch mit den vier SPD-Abgeordneten sei ihr verweigert worden, fügte sie hinzu.

Nach den Worten des stellvertretenden Landeschef Manfred Schaub stellte sich der SPD-Landesvorstand geschlossen hinter Ypsilanti. Es handelte sich bei der Entscheidung der vier Abweichler nicht um eine" Frage von links und rechts, sondern um eine von redlich oder unredlich", sagte Schaub. Er gehe davon aus, dass Walter von dem stellvertretenden Landesvorsitz zurücktreten werde. Der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Frankfurt, Gernot Grumbach, äußerte die Erwartung, dass die vier SPD-Abgeordneten ihr Mandat niederlegten.

Zuvor hatte Ypsilanti erneut darauf hingewiesen, dass sie diese Drahtseilakt-Politik nur mit Rückendeckung aller SPD-Abgeordneten im Landtag vollzogen habe. In zahlreichen Einzel- und Gruppengesprächen sei ihr immer wieder versichert worden, eine neue Politik für Hessen ohne einen Ministerpräsidenten Roland Koch anzustreben. Über den Weg dort hin habe man sehr wohl gestritten. Über das Ziel allerdings nicht. So sei ihr stets versichert worden, ihre Fraktion unterstütze am Ende ihren Weg. Der Rückzug der vier Abweichler unmittelbar vor der Wahl sei mehr als unredlich.

Betroffenheit und Empörung in Berlin

Auch SPD-Chef Franz Müntefering kritisierte das Verhalten der vier Abweichler stark. Es gebe zwar in der Politik keine höhere Verantwortung als die Gewissensfreiheit eines gewählten Abgeordneten, sagte Müntefering in Berlin. Die Verantwortung eines Parlamentariers beginne aber nicht erst beim Gang zur Wahlkabine, sondern bereits bei der Vorbereitung der Entscheidung. Insofern müsse man über den Zeitpunkt der Festlegung noch sprechen. Im SPD-Präsidium sei der Vorgang mit Betroffenheit und Empörung aufgenommen worden.

Müntefering schloss einen Ausschluss der vier Parlamentarier aus der Partei nicht aus. Es sei aber nicht an ihm, Empfehlungen abzugeben. Es komme jetzt darauf an, sich mit den vier Politikern zusammenzusetzen und auszuloten, ob eine weitere Zusammenarbeit zum Wohle Hessens möglich sei. Die Bundespartei wolle der hessischen SPD mit Rat zur Seite stehen. Auch werde es bald ein Gespräch zwischen ihm und Ypsilanti geben, kündigte Müntefering an.

Koch mahnt Entscheidung an

Der geschäftsführende hessische Ministerpräsident Roland Koch mahnte eine schnelle Lösung der festgefahrenen politischen Lage im Land an. "Es muss ein Weg gefunden werden, den Bürgern in absehbarer Zeit zu sagen: Das ist jetzt die Entscheidung", sagte der CDU-Politiker in Wiesbaden. Infrage kämen die Bildung einer tragfähigen neuen Regierung oder Neuwahlen. Dies solle binnen weniger Tage und nicht erst in einigen Monaten geklärt werden. Er rate aber dazu, keine übereilten Entscheidungen binnen Stunden zu treffen. Seine geschäftsführende Regierung sei in der Lage, ihre Aufgabe auch bis auf weiteres wahrzunehmen.

Koch ist wegen eines Patts der politischen Lager bei der Landtagswahl vor neun Monaten geschäftsführend im Amt, ohne eine Landtagsmehrheit zu haben. "Ein solcher Zustand ist für ein Bundesland nicht auf Dauer erträglich", sagte der Regierungschef.

Ypsilanti hat nun keine Chance mehr, sich zur Nachfolgerin des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch wählen zu lassen. Die 51-Jährige SPD-Landeschefin wollte sich am Dienstag im Landtag zur Wahl stellen und die geschäftsführende Regierung durch ein von der Linken toleriertes rot-grünes Minderheitskabinett ablösen.

Schwere Entscheidung

Diese Entscheidung sei ihnen außerordentlich schwer gefallen, sagte Everts auf einer Pressekonferenz. Sie hätten Ypsilanti am Morgen darüber informiert. Die vier SPD-Abgeordneten wollten ihr Mandat behalten, sagte Everts und bot der Fraktion die weitere Zusammenarbeit an.

Sie habe sich unter starkem Druck gefühlt, sagte Silke Tesch. Ihre Bedenken gegen den Linkskurs seien von der Fraktionsführung "regelmäßig ignoriert und ausgeblendet" worden. Letztlich habe sie sich für Glaubwürdigkeit entschieden. Eine negative geheime Stimmabgabe gegen Ypsilanti sei für sie nie in Frage gekommen, erklärte die Abgeordnete. Deshalb mache sie ihre Entscheidung jetzt öffentlich.

Eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung durch die Linke würde dem Land und seiner Partei schaden, sagte Walter. Er sehe zehntausende Arbeitsplätze in Hessen gefährdet: "Ich kann diesen Weg meiner Partei in Hessen nicht mitgehen."

Dagmar Metzger fühlte sich durch ihre Kollegen in ihrem seit März verfolgten Widerstand gegen die Kooperation mit der Linkspartei bestätigt. Der Schritt der Kollegen belege, dass die Zweifel von mehr Menschen in der SPD geteilt worden seien, "als das die Fraktionsführung eingestehen wollte". Metzger war bis heute die einzige der vier Abweichler, die ihre ablehnende Haltung öffentlich machte. Ohne Metzger benötigte Ypsilanti die Stimmen aller anderen SPD-Abgeordneten, um eine Mehrheit im Landtag zu erzielen.

Politische Verkommenheit

Grünen-Chefin Claudia Roth warf der hessischen SPD ein "desaströses Versagen" vorgeworfen. Die Landespartei habe einen Neuanfang in Hessen "dramatisch verunmöglicht", sagte Roth am Montag in Berlin. In der Partei habe es ein "eklatant fehlendes Einschätzungsvermögen" gegeben. Zudem sei die Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Wählervotum enorm. Damit verabschiede sich die hessische SPD für lange Zeit von der aktiven Politikgestaltung. "Sie hat einen Scherbenhaufen hinterlassen", hieß es.

Mit Blick auf die vier Abweichler in der hessischen SPD-Fraktion sagte Roth, es handele sich um ein "Maß an politischer Verkommenheit, das zu Verdrossenheit führt". Die gescheiterte Wahl Ypsilantis sei umso bitterer, als dass ein politischer Neuanfang möglich gewesen wäre. "Es war aber trotzdem richtig, es zu versuchen", sagte Roth.

Linke: SPD politisch orientierungslos

Der Linkspolitiker Ulrich Maurer hat die SPD wegen des gescheiterten Machtwechsels in Hessen als politisch orientierungslos bezeichnet. Die SPD sei kein verlässlicher Partner für einen Politikwechsel, ihr rechter Parteiflügel habe die Chance torpediert, sagte Maurer, der Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Linken ist, in Berlin. "Das ist schlimm für die Menschen in Hessen." Der amtierende Regierungschef Roland Koch (CDU) könne damit "die unsoziale Politik gegen die abhängig Beschäftigten, Rentner, Arbeitslosen und Familien" fortsetzen.

Maurer kritisierte, SPD-Chef Franz Müntefering und der SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier trügen Mitverantwortung für die Vorgänge. Sie hätten es an Loyalität und Unterstützung für die hessische SPD fehlen lassen. Linke-Chef Lothar Bisky sagte: "Die CDU führt weiterhin erfolgreich die SPD am Nasenring durchs Land. Ich halte das für die brutalstmögliche Unterstützung von Koch."

Keine Mehrheiten

Die CDU hatte bei der Wahl ihre absolute Mehrheit verloren und erreicht auch zusammen mit dem Wunschpartner FDP keine Landtagsmehrheit. Im hessischen Landtag haben CDU und SPD jeweils 42 der insgesamt 110 Mandate. Die FDP kommt auf elf Sitze, die Grünen haben neun Abgeordnete, die Linke sechs.

Quelle: ntv.de

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