Präsident Mursi verliert Weggefährten Ägypten schlittert ins Chaos
02.07.2013, 14:00 Uhr
Seit Tagen sind die Ägypter auf den Straßen: Millionen wollen Präsident Mursi stürzen, Millionen seine Macht erhalten. Doch der Islamist verliert an Rückhalt: Die Armee setzt ihm die Pistole auf die Brust, seine Sprecher laufen davon und auch Islamisten wenden sich von ihm ab. Der Machtkampf steht vor dem Höhepunkt.
Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi ist zunehmend isoliert. Millionen protestierende Gegner üben auf den Straßen Druck aus, Minister treten zurück und die bisher freundlich gesonnenen Islamisten der Nur-Partei wenden sich von ihm ab. Auch der Präsidenten- und der Regierungssprecher ergreifen die Flucht, während das Militär mit einem Ultimatum zu Gesprächen mit den Demonstranten drängt. Wie lange Mursi diesem Druck noch standhalten kann, ist offen.
Auf die Massenproteste vom Wochenende folgt in Ägypten nun eine handfeste Staatskrise: Mursi wies ein von der Armeeführung gesetztes 48-Stunden-Ultimatum zur Verständigung mit der Opposition zurück. Die Erklärung der Armeeführung sei mit ihm nicht abgesprochen gewesen, erklärte Mursis Büro trotzig.
Mursi kündigte an, an seinem eigenen Vorschlag für einen nationalen Dialog festhalten zu wollen. "Die Präsidentschaft bestätigt, dass sie auf ihrem bereits zuvor geplanten Weg zu einer nationalen Versöhnung fortschreiten werde, ungeachtet jeglicher Stellungnahmen, die die Spaltung zwischen Bürgern vertiefen." Doch auch die Oppositions-Gruppe Talmod setzt ein Ultimatum. Und selbst die salafistische Nur-Partei, eine Mursi nahestehende islamistische Gruppierung, stellt sich nun offen gegen den Präsidenten und ruft laut Medienbericht zu vorgezogenen Wahlen auf.
Obama macht Druck
In der Nacht reichte mit Außenminister Mohamed Kamel Amr das bislang ranghöchste Kabinettsmitglied seinen Rücktritt ein und verstärkte damit den Druck auf den islamistischen Präsidenten. Bereits am Montag waren fünf Minister offenbar aus Sympathie für die Opposition zurückgetreten. Auch Mursis Sprecher sowie der Regierungssprecher traten zurück und ließen Mursi damit allein.
US-Präsident Barack Obama forderte von Mursi in einem Telefonat, auf die Demonstranten einzugehen. "Zur Demokratie gehört mehr als Wahlen. Dazu gehört auch sicherzustellen, dass die Stimmen aller Ägypter gehört und durch die Regierung vertreten werden, auch der vielen Ägypter, die im ganzen Land demonstrieren", hieß es in einer Erklärung des US-Präsidialamtes.
In der Hauptstadt Kairo waren neue Kundgebungen von Mursis Anhängern vor der Universität im Stadtteil Giza sowie in Nasr-City geplant. Ein Gremium aus einflussreichen islamistischen Politikern und Geistlichen rief die Ägypter in allen Provinzen auf, die legitime Führung im Land zu verteidigen. "Jeder Putsch gegen die legitime Regierung und Verfassung wird das Land in Chaos und eine ungewisse Zukunft stürzen", erklärten die Islamisten. Sie mahnten zugleich eine friedliche Lösung an.
Sechs Kabinettmitglieder danken ab
Doch die Fronten verhärteten sich weiter, weil die ägyptische Justiz den im November von Mursi entlassenen Generalstaatsanwalt Abdel Meguid Mahmud wieder einsetzte. Mursi hatte Mahmud am 22. November entlassen und einen Nachfolger eingesetzt - die Rücknahme dessen schwächt den Präsidenten weiter.
Bei landesweiten Protesten mit Millionen von Teilnehmern waren am Sonntag mindestens 16 Menschen getötet worden. Die bewaffneten Auseinandersetzungen hielten weiter an, etwa in der Nacht in der Stadt Suez. "Gewehrfeuer ist überall zu hören", sagte ein Zeuge. Anhänger und Gegner Mursis lieferten sich an verschiedenen Stellen der Stadt Gefechte.
Auch in Kairo weiteten Gegner des Islamisten Mursi ihre Angriffe auf Gebäude islamistischer Parteien aus. Am Montagabend wurde dort die Zentrale der Wasat-Partei in Brand gesteckt. Die Partei war in den 1990er Jahren von Mitgliedern der Muslimbrüder gegründet worden und erst nach dem Sturz von Machthaber Husni Mubarak offiziell erlaubt worden. Demonstranten hatten zuvor bereits den Hauptsitz der Muslimbrüder gestürmt und in Brand gesetzt.
Konflikt schwelt seit Wochen
Die Demonstranten werfen Mursi vor, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht zu lösen. Sie befürchtet eine schleichende Islamisierung. Mursis Anhänger sehen die Krise hingegen als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam. Die Opposition hat nun angekündigt, ihren Widerstand so lange fortzusetzen, bis Mursi abtritt.
Die Massenproteste in Kairo, Alexandria und vielen anderen Städten markieren den Höhepunkt einer wochenlangen Kampagne. Seit Anfang Mai haben die Initiatoren der Aktion "Tamarud" nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi gesammelt.
Quelle: ntv.de, jtw/wne/rts/dpa/AFP