Proteste gegen Mursi gehen weiter Ägyptens Militär warnt und droht
08.12.2012, 16:33 Uhr
Anti-Mursi-Graffiti am Präsidentenpalast, das Schriftzeichen daneben bedeutet: "Verschwinde".
(Foto: AP)
Erstmals äußert sich das ägyptische Militär zu den Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und säkularen Kräften. Die Armee fordert beide Seiten zum Dialog auf. Alles andere führe in die Katastrophe. "Das werden wir nicht erlauben", drohen die Militärs. Die Proteste vor dem Präsidentenpalast gehen allerdings weiter.
Nach den heftigen Massenprotesten gegen Präsident Mohammed Mursi hat sich das ägyptische Militär erstmals in den Konflikt eingeschaltet und ein Machtwort gesprochen. Im Streit um die künftige Verfassung müsse es einen Kompromiss geben, der im Interesse der Nation und der Menschen in dem Land ist, erklärte die Armeeführung in Kairo.

Die Proteste vor dem Präsidentenpalast gehen weiter - das Militär hat das Gelände aber wieder abgeriegelt.
(Foto: REUTERS)
Ein Dialog sei der "beste und einzige Weg, eine Einigung zu erreichen", erklärten die Streitkräfte in ihrer ersten offiziellen Reaktion auf die seit zwei Wochen andauernde Krise. Alles andere werde Ägypten durch einen "dunklen Tunnel" in die Katastrophe führen. "Das werden wir nicht erlauben", warnte das Militär. Sie forderte die Respektierung des Rechts und der "demokratischen Regeln, auf die wir uns alle verständigt haben". Die Streitkräfte hätten stets an der Seite des Volkes gestanden, und sie seien entschlossen, dessen Einheit zu wahren, hieß es weiter.
Nach Informationen der staatlichen Tageszeitung "Al-Ahram" plant Mursi einen Erlass, der Soldaten die Festnahme von Zivilisten erlaube. Das Militär wäre demnach zusammen mit der Polizei für die Sicherheit im Land und den Schutz wichtiger Einrichtungen zuständig. Diese Regelung soll solange gelten, bis eine neue Verfassung gebilligt wurde und die daraufhin anberaumten Parlamentswahlen beendet sind.
Mursi hatte die Opposition zum Gespräch in seinen Palast eingeladen. Doch von den bekannten Aktivisten nahm nach Angaben einer Korrespondentin des Nachrichtensenders "Al-Dschasira" lediglich der Liberale Eiman Nur teil. Mursis Sprecher Jasser Ali teilte mit, dass mehr als 40 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bei den Diskussionen zugegen waren. Fast alle maßgeblichen Oppositionsführer, unter ihnen Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei, hatten aber bereits am Vortag abgewunken. Die Nationale Heilsfront, ein Bündnis linker und liberaler Parteien, wies das Angebot als "nicht ernsthaft" zurück.
Allerdings teilte Ministerpräsident Hischam Kandil mit, dass Mursi angesichts der Proteste das Dekret über seine Sondervollmachten überprüfen will. Demnach setze der Präsident ein Gremium von sechs Persönlichkeiten ein, um mit ihm über einen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage zu beraten. Zudem solle das neue Gremium eine "juristische Lösung" für eine Verschiebung der Volksabstimmung über die neue Verfassung suchen.
Wird Referendum doch aufgeschoben?
Die Aktivisten fordern von Mursi, dass er zunächst die Machtbefugnisse zurücknimmt, die er auf Kosten der Justiz ausgeweitet hatte. Zudem verlangen sie, dass das für den 15. Dezember geplante Referendum über den von Islamisten formulierten Verfassungsentwurf verschoben wird. Dazu erklärte sich Mursi nach Angaben seines Stellvertreters Mahmud Mekki am späten Freitagabend unter Vorbedingungen bereit.
Die Vorlage zur neuen Verfassung war von einer von Islamisten dominierten Versammlung erarbeitet worden. Die Opposition kritisiert, dass sich ihre Interessen in dem Verfassungsentwurf nicht wiederfinden und fordert eine Überarbeitung. Sie befürchtet zudem, dass der derzeitige Entwurf einer Islamisierung der Gesellschaft Vorschub leisten könnte. Denn vorgesehen ist danach ein größerer Einfluss der Religionsgelehrten.
Am Samstagmorgen beruhigte sich die Lage vor dem Präsidentenpalast in Kairo zunächst wieder. Rund hundert Demonstranten harrten aber noch vor dem Amtssitz im nördlichen Viertel Heliopolis aus, während Soldaten mit Panzern und Stacheldraht den Zugang zu der Anlage abriegelten. Am Vorabend hatten mehr als 10.000 Gegner Mursis vor dem Palast demonstriert, wobei es einem Teil der Demonstranten gelang, die Absperrungen zu überwinden.
Proteste bleiben friedlich
Die Menge rief "Verschwinde" und bezeichneten den Präsidenten als "Schaf" unter dem Befehl der mächtigen Muslimbruderschaft, aus der er hervorgegangen war. Die Proteste blieben aber friedlich. Bislang war in Ägypten von sieben Toten und mehr als 770 Verletzten bei den Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und Oppositionellen in mehreren Städten des Landes die Rede gewesen.
Der Vorsitzende der Muslimbrüder, Mohammed Badia, ging die Aktivisten bei einer Pressekonferenz scharf an. Die jüngsten Ausschreitungen seien das Werk von bezahlten Krawallmachern, die dem Land schaden wollten. Die Bruderschaft habe acht "Märtyrer" zu beklagen, sagte er und betonte: "Wir werden uns selbst, unsere Büros und Ägypten verteidigen."
Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach sich derweil für einen "Dialog ohne Vorbedingungen" in Ägypten aus. Dem "Kölner Stadt-Azeiger" sagte er: "Präsident Mursi sollte die Kraft und Entschlossenheit haben, auf die Opposition zuzugehen. Der Verfassungsprozess war gedacht, um das Land zu einen. Nun droht er zum Anlass der inneren Spaltung Ägyptens zu werden."
Auch die Afrikanische Union hatte bereits die "einvernehmliche" Zusammenarbeit aller Parteien zur Ausarbeitung einer Verfassung gefordert. Die AU-Präsidentin Nkosazana Dlamini Zuma appellierte an die Ägypter, in einen Dialog zu treten und bei der Ausarbeitung einer Verfassung zusammenzuarbeiten. Dies sei unumgänglich, um "der Hoffnung der Revolution von 2011" gerecht zu werden.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP