Politik

Mindestens 17 Tote bei Anschlägen Afghanistan im Griff der Taliban

Kurz vor der Präsidentenwahl in Afghanistan haben die Taliban mit neuen Anschlägen den Druck auf die Bevölkerung erhöht, der Abstimmung fernzubleiben. In Kabul wurden bei einem Selbstmordattentat sieben Menschen getötet, darunter womöglich auch ausländische Soldaten. Auch die Bundeswehr wurde erneut in Gefechte verwickelt.

In Kabul verübte ein Selbstmordattentäter auf der berüchtigten Dschalalabad-Road, wo Hilfsorganisationen und Militär Stützpunkte unterhalten, einen Anschlag auf ausländische Truppen und riss nach offiziellen Angaben mindestens zehn Menschen mit in den Tod. Unter den Toten und den 52 Verletzten ist nach Angaben der internationalen Schutztruppe ISAF auch ein ausländischer Soldat. Nach Informationen aus der NATO-geführten Schutztruppe ist jedoch kein deutscher Soldat betroffen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind unter den Toten auch zwei afghanische UN-Mitarbeiter, ein dritter wurde verletzt.

Afghanische Einsatzkräfte nähern sich der Straße, an der ein Attentäter sich und sein Auto in die Luft sprengte.

Afghanische Einsatzkräfte nähern sich der Straße, an der ein Attentäter sich und sein Auto in die Luft sprengte.

(Foto: REUTERS)

Wenige Stunden vor dem Anschlag schlugen zwei Raketen in Kabul ein. Ein Geschoss sei im Garten des Präsidentenpalastes detoniert, das zweite in der näheren Umgebung, sagte ein Mitarbeiter des Palastes, der anonym bleiben wollte. Opfer habe es nicht gegeben. Auch die Bundeswehr wurde erneut im Problem-Distrikt Chahar Darreh nahe Kundus mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten beschossen. Die Soldaten hätten das Feuer erwidert, kein Deutscher sei verletzt worden, teilte die Bundeswehr mit. Ein beschädigter Transportpanzer vom Typ Fuchs sei in das Feldlager zurückgebracht worden.

Bei einem Anschlag in Urusgan starben sechs Menschen, darunter der Selbstmordattentäter und drei afghanische Soldaten. Nach Angaben der Polizei sprengte sich der Täter an einem Armeeposten in die Luft. In Dschalalabad im Osten des Landes wurden bei Raketeneinschlägen mindestens zehn Menschen verletzt. In der Provinz Dschawdschan im Norden des Landes wurde erneut ein Kandidat für die Provinzwahlen getötet. Er wurde aus einem Hinterhalt erschossen. Bei einem Bombenanschlag in der Provinz Badachschan wurden drei Wahlhelfer zusammen mit ihrem Fahrer getötet.

"Die Lage hier ist ernst"

Trotz der schlechten Sicherheitslage werden nach Einschätzung von Wahlkommission und Bundesregierung am Donnerstag mehr als 90 Prozent der Afghanen die Chance haben, die Stimme abzugeben. Präsident Hamid Karsai gilt als Favorit. Die afghanische Regierung rief zu einer vorübergehenden Nachrichtensperre am Wahltag auf, um die Wähler nicht durch Anschlagsmeldungen weiter zu verschrecken. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) geht davon aus, dass die Wahl von Gewalt, Betrug und geringer Beteiligung überschattet wird.

Blick auf die Szenerie des Selbstmordattentats aus einem beschädigten Haus.

Blick auf die Szenerie des Selbstmordattentats aus einem beschädigten Haus.

(Foto: REUTERS)

Die Taliban, die 2001 von einer internationalen Koalition unter Führung der USA von der Macht vertrieben worden waren, haben zum Boykott der Wahl aufgerufen, an der mehr als 15 Millionen Menschen teilnehmen können. Die islamischen Extremisten haben denjenigen mit Vergeltung gedroht, die ihre Stimme abgeben. Der Kommandeur der internationalen Afghanistan-Truppen, US-General Stanley McChrystal, räumte in Kabul ein, dass die Taliban derzeit so stark wie nie seit dem Sturz ihres Regimes Ende 2001 seien. "Die Lage hier ist ernst", sagte McChrystal. Dennoch sei die Sicherheitslage so, dass die Wahl an diesem Donnerstag "in den meisten Landesteilen" stattfinden könne.

Auch zwei Frauen kandidieren

Die zweite Präsidentenwahl nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 ist nicht nur für Amtsinhaber Karsai eine Nagelprobe. Auf dem Prüfstand steht auch die Strategie von US-Präsident Barack Obama, der den Kampf gegen die Taliban Anfang des Jahres mit einer Truppenaufstockung verstärkt hat. Am Montag hatte er noch einmal um Unterstützung für den Militäreinsatz geworben. Der Krieg sei es wert, geführt zu werden, sagte Obama vor Veteranen in Phoenix. Die Taliban seien zwar nicht über Nacht zu besiegen. Eine Stabilisierung des Landes sei für die USA aber von großer Bedeutung. "Diejenigen, die Amerika am 11. September 2001 angegriffen haben, verschwören sich, um es erneut zu tun." Der Kampf gegen die Taliban sei daher notwendig, um ein noch größeres Rückzugsgebiet für Al-Kaida zu verhindern.

Karsai geht zwar als Favorit in die Abstimmung. Umfragen zufolge dürfte dem 51-Jährigen aber eine Stichwahl nicht erspart bleiben. Härtester Rivale dürfte Ex-Außenminister Abdullah Abdullah werden, dessen Hochburgen vor allem im Einsatzgebiet der Bundeswehr im Norden Afghanistans liegen. Unter den zuletzt noch 31 Kandidaten sind auch zwei Frauen, die das höchste Staatsamt in dem konservativ-islamischen Staat anstreben.

Unterstützung vom umstrittenen Milizenführer

Offenbar um eine Stichwahl doch noch zu vermeiden, verbündete sich der vom Westen unterstützte Karsai mit dem früheren Milizenführer Abdul Raschid Dostum. Dem Usbeken werden Massaker und Misshandlungen während der Jahre des Bürgerkriegs vorgeworfen. Der erst am Sonntag aus dem Exil zurückgekehrte Ex-Kommunist hatte bei der Wahl 2004 selbst zehn Prozent der Stimmen eingesammelt und könnte mit seinem Engagement für Karsai den Ausschlag geben.

Mithilfe des Milizenführers Abdul Raschid Dostum will Karsai die Wahl doch noch gewinnen.

Mithilfe des Milizenführers Abdul Raschid Dostum will Karsai die Wahl doch noch gewinnen.

(Foto: REUTERS)

Für den Schutz der Wahl sind neben mehr als 100.000 ausländischen Soldaten rund 180.000 afghanische Soldaten und Polizisten im Einsatz. In mindestens 6500 der 7000 Wahllokale würden die Wähler auch abstimmen können, sagte der Afghanistan-Beauftragte der Bundesregierung, Bernd Mützelburg, in Berlin. Das gelte auch für den unruhigen Süden und Osten des Landes. Vor allem außerhalb der Großstädte sei die Sicherheitslage allerdings so schwierig, dass einige Wähler nicht die Möglichkeit haben würden, an den Abstimmungen teilzunehmen. Die Wahlkommission zeigte sich sogar überzeugt, noch mehr Wahllokale öffnen zu können. UN-Vertreter Kai Eide zeigte sich überzeugt, dass die Wahl ein Erfolg werden würde.

Großes Engagement der Afghanen

Mützelburg zeigte sich erstaunt, dass die Abstimmung mit so großem Engagement der Afghanen und lebhaften Debatten über die Kandidaten stattfinde. 17 Millionen Wähler hätten sich registriert. 50.000 Wahlurnen seien mit enormem logistischem Aufwand in die Wahllokale auch in abgelegenen Gegenden gebracht worden - mit mehr als 3000 Fahrzeugen und noch erheblich mehr angemieteten Eseln. Von 165.000 angestrebten Wahlhelfern seien 90 Prozent tatsächlich rekrutiert worden. Unregelmäßigkeiten seien allerdings dennoch nicht auszuschließen, es werde keine "europäische Wahl" werden. Instabil könne die Lage in den Tagen danach werden, falls es zu erheblichen Unstimmigkeiten komme oder unterlegene Kandidaten das Ergebnis infrage stellten.

Mit ersten offiziellen Ergebnissen wird am 3. September gerechnet. Sollte keiner der Kandidaten im ersten Durchgang die absolute Mehrheit erreichen, gehen die beiden Erstplatzierten voraussichtlich am 1. Oktober in die Stichwahl. Parallel finden Wahlen zu den Provinzvertretungen statt. Zehn Prozent der mehr als 3000 Bewerber sind Frauen. Unterdessen werden die Stimmen lauter, die vor Manipulationen bei der Abstimmung warnen. So gebe es nicht genügend Wahlbeobachter, sagte der Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig. "Wir stehen einer ganzen Reihe schwarzer Löcher gegenüber. Was in diesen schwarzen Löchern bei der Wahl passiert, kann man nicht sagen." Bereits bei der Präsidentenwahl vor fünf Jahren hatte es Unregelmäßigkeiten gegeben.

"Endloseinsatz wäre ein Desaster"

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, beim Besuch des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus im Oktober 2008.

Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei, beim Besuch des Bundeswehr-Feldlagers in Kundus im Oktober 2008.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Grünen-Politiker Wilfried Nachtwei forderte unterdessen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zu einer strategischen Generalinventur des Afghanistan-Einsatzes auf. "Der Einsatz droht ein Desaster zu werden, wenn die Bundesregierung nicht endlich zu Ehrlichkeit und Konsequenz findet", sagte er dem "Tagesspiegel". Nötig seien überprüfbare Ziele für die Aufbauanstrengungen, um auf dieser Grundlage eine Abzugsperspektive zu entwickeln. Ohne einen solchen Zeithorizont lande die deutsche Afghanistan-Strategie "beim Sankt-Nimmerleins-Tag" und "ein Endloseinsatz wäre in der Tat ein Desaster" sagte Nachtwei.

Schweinegrippe bei der Bundeswehr

Im nordafghanischen Masar-i-Scharif sind erstmals mehrere deutsche Soldaten an der Schweinegrippe erkrankt. Bei vier Soldaten sei die Infektion bestätigt worden, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos in Potsdam. Sie seien isoliert worden und nach deutschem Standard in medizinischer Behandlung. Wie sie sich mit der Schweinegrippe angesteckt hätten, werde derzeit noch geprüft. Die Krankheit könnte aus Deutschland eingeschleppt worden sein, da die Truppen am Hindukusch gerade ausgetauscht werden. Ob sich die Schweinegrippe weiter ausbreite, müsse abgewartet werden, sagte der Sprecher.

Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts

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