Zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban Afghanistans Frauen leiden
28.03.2012, 11:04 Uhr
Sich unverhüllt zu zeigen, trauen sich nur die wenigsten Frauen in Afghanistan.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Rund 400 Frauen aus Afghanistan sitzen im Gefängnis, weil sie gegen sogenannte "Sittengesetze" verstoßen haben. Das ist das Ergebnis eines Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Einige Frauen machten sich strafbar, weil sie vor häuslicher Gewalt flüchteten. Andere hatten außerehelichen Sex.
Als internationale Truppen aufnahmen, hoffte die Organisation Human Rights Watch noch darauf, dass die Menschenrechte am Hindukusch einen neuen Stellenwert bekommen. Rund zehn Jahre später ist diese Hoffnung enttäuscht – zumindest, wenn es um die Lage der Frauen geht. Viele von ihnen leiden noch immer so wie einst unter dem Regime der Taliban.
Zwar stieg nach dem Sturz der radikalen Islamisten die Zahl junger Schülerinnen stark an. Auch der Arbeitsmarkt öffnete sich ihnen zusehends. Doch noch immer sitzen laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation rund 400 Frauen wegen sogenannter "Sittenverbrechen" im Gefängnis, etwa weil sie vor einer Zwangsheirat oder häuslicher Gewalt geflüchtet waren. Laut Human Rights Warch verurteilten die Gerichte auch immer wieder den sogenannte "zina", den außerehelichem Geschlechtsverkehr – selbst wenn der nur das Ergebnis einer Vergewaltigung oder von war.
"Es ist schockierend, dass Frauen und Mädchen zehn Jahre nach dem Sturz der Taliban immer noch ins Gefängnis kommen, wenn sie vor häuslicher Gewalt oder einer Zwangsheirat fliehen", so Human-Rights-Watch-Direktor Kenneth Roth. "Präsident Hamid Karsai und Afghanistans Verbündete müssen entschlossen handeln, um dieser diskriminierenden und unmenschlichen Praxis ein Ende zu setzen."
Nichts als gutgemeinte Appelle

Trügerische Freiheit? Ein Gesetz verbietet es Frauen derzeit, vor ihren Ehemännern zu flüchten.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Laut der Organisation versucht Karsai schon seit einiger Zeit die Lage der Frauen zu verbessern. Doch meist bleibt es bei gutgemeinten Appellen und vereinzelten Begnadigungen. "Es ist schön, dass er das macht, das gleicht aber die zu Grunde liegende Ungerechtigkeit nicht aus", sagte Human-Rights-Watch-Expertin Heather Barr. Die Organisation wirft der Regierung schwere Versäumnisse vor.
Vor diesem Hintergrund fordert Human Rights Watch unter anderem, dass Afghanistans oberstes Gericht das Gesetz aufhebt, das Frauen die Flucht vor ihren Ehemännern verbietet. Zudem soll die Justiz Männer, die ihre Frauen misshandeln, künftig verschärft bestrafen.
Der Bericht wirft nicht nur ein düsteres Licht auf die Lage der Frauen in Afghanistan. Er zeigt auch, wie weit das Land noch davon entfernt ist, rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen.
Laut Human Rights Watch wurden Frauen "häufig auf Grundlage von 'Geständnissen' verurteilt, die in Abwesenheit von Anwälten gemacht und die von Frauen 'unterschrieben' wurden, die weder lesen noch schreiben können und denen das Geständnis nicht vorgelesen wurde". Sie wurden danach häufig zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, die mitunter zehn Jahre überstiegen.
Nach Entlassung droht Ehrenmord
Der Bericht basiert auf Interviews mit rund 60 Frauen, die in Afghanistan im Gefängnis sitzen oder als Frauenrechtlerinnen für die Rechte der Afghaninnen kämpfen. Mehrere Studien in Gefängnissen belegen laut der Organisation zudem, dass fast allen Mädchen, die in Afghanistan eingesperrt wurden, "Sittenverbrechen" vorgeworfen werden. Bei erwachsenen Frauen trifft dieser Anklagepunkt auf jede zweite zu.
Selbst wenn sich die Lage schnell verbessern sollte, wenn verurteilte Frauen wieder auf freien Fuß kommen, dürfte für viele die Angst bleiben. Einige der Frauen, die Human Rights Watch interviewte, berichteten, dass ihr Leben nach ihrer Entlassung allzu schnell vorbei sein könnte – weil Familienangehörige sie aus Gründen der "Ehre" ermorden.
Quelle: ntv.de, ieh/AFP