Dutzende Tote bei Straßenschlachten Ägypten erlebt erneut eine blutige Nacht
27.07.2013, 05:43 Uhr
Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi lieferten sich in Nasr City Straßenschlachten mit der Polizei.
(Foto: dpa)
Showdown am Nil: Militär und verfeindete Islamisten rufen Millionen Anhänger auf die Straße. Die Armee droht nach Ablauf eines 48-Stunden-Ultimatums mit härterer Gangart. Was das heißt, ist unklar. Menschen sterben in Ägypten bereits jetzt. "Sie schießen, um zu töten", sagt ein Sprecher der Muslimbruderschaft.
In Ägypten sind bei erneuten Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern des abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi Dutzende Menschen ums Leben gekommen, darunter zehn bei Zusammenstößen zwischen Polizei und Mursi-Anhängern in Nasr City. Wie der arabische Nachrichtensenders Al-Dschasira berichtete, wurden außerdem etwa 500 Menschen verletzt. Drei Menschen seien von Schüssen getötet worden, erklärten die Ärzte des provisorischen Lazaretts in Nasr City nach Angaben des Senders.
Bei Zusammenstößen in der Hafenstadt Alexandria wurden mindestens sieben Menschen getötet. Diese Zahl nannte das ägyptische Gesundheitsministerium nach Angaben von Al-Dschasira. Hunderttausende Gegner und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi gingen im ganzen Land auf die Straße.
In Kairo sollen 31 Menschen durch Sicherheitskräfte getötet worden sein. Die Kräfte hätten bei einem Protest gezielt auf Anhänger Mursis geschossen, sagte ein Sprecher der Muslimbrüderschaft, die Mursi nahe steht. "Sie schießen nicht, um zu verletzen, sie schießen, um zu töten", sagte der Sprecher. Demonstranten seien an Kopf und Brust getroffen worden. Zunächst habe die Polizei mehrfach Tränengas gegen Demonstranten eingesetzt. Dann hätten die Sicherheitskräfte aus nächster Nähe geschossen.
Innenminister Mohammed Ibrahim kündigte laut "Al-Ahram" in einem privaten Fernsehsender an, dass in Kürze die Pro-Mursi-Proteste in Giza und Nasr City "legal" aufgelöst würden. Anwohner hätten sich über die Demonstrationen beschwert.
Am Samstagabend läuft ein 48-Stunden-Ultimatum des Militärs ab: Die Islamisten sollen sich bis dahin am sogenannten Versöhnungsprozess beteiligen - sonst drohe eine härtere Gangart. Die über die Medien verbreitete Aufforderung hatte den Titel "Letzte Chance". Das Militär hatte den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens am 3. Juli nach tagelangen Massenprotesten gegen ihn abgesetzt. Seither haben die Behörden rund 600 Muslimbrüder verhaftet, unter ihnen den einflussreichen Vize-Vorsitzenden Chairat al-Schater.
US-Militärhilfe kann weiter fließen
Mursi sitzt derweil weiter in Untersuchungshaft. Der Ex-Präsident wird beschuldigt, sich mit der palästinensischen Hamas-Bewegung zur "Ausführung feindlicher Akte" in Ägypten abgesprochen zu haben. Die radikal-islamische Hamas herrscht seit 2006 im benachbarten Gazastreifen. Mursi wird unter anderen ein Gefängnisausbruch während der Revolution von 2011 vorgeworfen, den er mit Hilfe der Hamas organisiert haben soll. Die Vorwürfe bilden die rechtliche Grundlage für die anhaltende Festsetzung Mursis, gegen den bislang keine Anklage erhoben worden war.
Die Untersuchungshaft wird in der Regel für 15 Tage verhängt und dann stets um jeweils weitere 15 Tage verlängert. Die Muslimbrüder bezeichneten die Anschuldigungen als lächerlich. "Wir alle wissen, dass die Vorwürfe nur aus der Fantasie einiger weniger Generäle und einer Militärdiktatur entspringen", sagte ein Sprecher der Muslimbrüder. Er kündigte an, die Proteste würden fortgesetzt.
Zwar hat das Militär versichert, mit der Entmachtung Mursis eine Rückkehr zur Demokratie anzustreben. In Ägypten und dem Ausland wächst jedoch die Sorge, dass dies den Streitkräften nur als Vorwand dient, um sich selbst wieder dauerhaft die Macht zu sichern. So löst der Machtkampf international Sorgen aus. Die USA, die das ägyptische Militär jährlich mit 1,3 Milliarden Dollar unterstützen, hatten ihren Unmut über das jüngste Vorgehen der Streitkräfte damit zum Ausdruck gebracht, dass sie die Lieferung von Kampfflugzeugen vom Typ F-16 zunächst aussetzten.
Allerdings gingen sie nicht soweit, die Entmachtung Mursis als Putsch zu bezeichnen. In diesem Fall müssten Hilfszahlungen eingestellt werden. Aus US-Regierungskreisen verlautete, die Gesetze schrieben nicht vor, dass sich die USA formell äußern müssten, ob in Ägypten ein Putsch stattgefunden habe oder nicht. Zudem sei es nicht im Interesse der USA, sich festzulegen..
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts