Gift-Skandal Aigner legt den Schalter um
14.01.2011, 14:30 Uhr
Aigner legte einen Zehn-Punkte-Plan vor.
(Foto: dapd)
Nach Tagen der Kritik geht Landwirtschaftsministerin Aigner in die Offensive. Ihr Zehn-Punkte-Plan sieht schärfere Kontrollen im Lebensmittelbereich vor. Die Kanzlerin kann sich mit den Maßnahmen offenbar besänftigen. Die Opposition ist weiter ungehalten und wirft ihr "Ideenklau" vor.
Agrarministerin Ilse Aigner ist offensichtlich entschlossen, im Dioxin-Skandal das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Sie kündigte einen Zehn-Punkte-Plan an, über den das Kabinett an diesem Mittwoch beraten will. Unter anderem sollen Futtermittelhersteller zu Tests verpflichtet und staatliche Kontrollen verschärft werden. Während die Opposition erwartungsgemäß kein gutes Haar an den Maßnahmen ließ, springt der Ministerin immerhin die Kanzlerin bei.
Laut Aigners Plan sollen die Futtermittelhersteller zur Prüfung der Zutaten verpflichtet werden und die Ergebnisse melden. Geplant sind auch eine Zulassungspflicht und eine vorgeschriebene Haftpflichtversicherung. Schon bei Fahrlässigkeit sollen Strafen fällig werden. Den Ländern will die Bundesministerin schlagkräftigere Kontrollen vorgeben.
Die Behörden müssen nach den Aigner-Plänen künftig überhöhte Grenzwerte zwingend im Internet auflisten. Außerdem sollen Privatlabors bedenkliche Mengen melden müssen. Die Herstellung von Futterfett und technischem Fett soll EU-weit getrennt werden. Auch ein Frühwarnsystem und eine Liste von Futtermitteln sind geplant.
Aigner gibt Fehler zu
"Wir müssen die Sicherheitsstandards erhöhen", forderte Aigner. "Die Pflicht der Futtermittelunternehmer zur Kontrolle ihrer Produkte wird deutlich verschärft." Die Wirtschaft müsse sich an die Regeln halten. Aber auch die Länderkontrollen müssten besser werden. "Das wird wohl auch zu einer Verschärfung und zu einer Ausweitung der Kontrollen führen müssen." Sicherheit dürfe keine Kostenfrage sein. Sie betonte: "Wir brauchen einen Wettbewerb um die beste Kontrolle."
Die Ministerin räumte Fehler in ihrer Reaktion auf den Dioxin-Skandal ein. "Vielleicht hätte ich noch mehr kommunizieren müssen nach außen." Das müsse aber Hand und Fuß haben. "Nein", entgegnete sie kurz auf die Frage nach einem Rücktritt und verteidigte ihre Politik. "In meinem Haus wurden alle Schritte eingeleitet, die wir einleiten konnten." Gleichzeitig griff sie die Opposition wegen ihrer "Scheinheiligkeit" an.
Merkel lässt Aigner den Rücken stärken
Unterstützung bekommt sie von der Kanzlerin, die Medienberichten zufolge noch vor wenigen Tagen einen kräftigen Rüffel an Aigner verteilt haben soll. Die Ministerin habe die volle Unterstützung der Kanzlerin, versicherte Regierungssprecher Steffen Seibert und stellte die Verdienste Aigners heraus - die Ministerin sei zunächst treibende Kraft bei der Bewältigung der aktuellen Krise und der damit verbundenen Sperrung von Höfen gewesen. Nun sorge sie dafür, dass die notwendigen Konsequenzen aus dem Skandal gezogen würden.
Seibert fügte hinzu, der Aktionsplan zeige, "dass sie willens und in der Lage ist, diese treibende Kraft dabei zu sein, dass wir im Sinne unserer Verbraucher, im Sinne von Lebensmittelsicherheit, die notwendigen Konsequenzen ziehen". Es handele sich um ein sehr schwieriges Problem, um das sich viele Gedanken gemacht werden müssten. "Keiner macht sich diese Gedanken im Moment vehementer als die zuständige Ministerin." Ihre Vorschläge würden den notwendigen Prozess in Schwung bringen, zeigte sich Seibert überzeugt.
Opposition ist unzufrieden
Die frühere Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat den Aktionsplan als unzureichend kritisiert. "Aktionsplan steht drauf, ist aber nicht drin. Der Text lässt viele Fragen offen", bemängelt die Grünen-Politikerin auf der Fraktionsklausur ihrer Partei in Weimar. Wenn Aigner eine Positivliste für zulässige Bestandteile von Futtermitteln nur auf EU-Ebene umsetzen wolle, "können Sie die nächsten zehn Jahre warten". Künast warb für eine deutsche Vorreiterrolle: Führe Deutschland eine Positivliste ein, würden nach ihren Worten auch ausländische Hersteller wegen der Bedeutung des deutschen Marktes unter Druck geraten, deren Vorgaben einzuhalten.
Auch die von Aigner angekündigten strengeren Regeln, um die Beimischung von Industriefetten zu Futtermitteln künftig zu verhindern, gehen Künast nicht weit genug. Zulässig bliebe demnach etwa die Beimischung von altem Pommesfett oder sogar von Klärschlämmen, erklärte die Grünen-Fraktionschefin. "Wir wollen aber gute Futtermittelfette", zum Beispiel aus Rapsöl. Künast warf Aigner vor, ihr Aktionsplan enthalte zwar gute Überschriften, den Text darunter aber "hätte die Futtermittelwirtschaft auch selber schreiben können", weil er ihr kaum neue Pflichten auferlege.
Auch die SPD im Bundestag hält die Vorschläge für unzureichend. "Sie läuft der Krise und den notwendigen Maßnahmen weiter hinterher. Keine Aussage zum Informantenschutz, zur Senkung der Grenzwerte, zur Beprobung aller Lieferungen, zur Volldeklaration aller Inhaltsstoffe", kritisierte SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Zugleich habe Aigner einige Vorschläge der SPD übernommen.
"Ideenklau" warf Aigner auch der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel vor. Der Zehn-Punkte-Plan enthalte wenig Neues verglichen mit den zehn Punkten, die Nordrhein-Westfalens Landesregierung vor einer Woche vorlegte, rügte der Grünen-Politiker. Aigner mache sich mit ihrem Krisenmanagement überflüssig. "Wenn das alles ist, brauchen wir keine Bundesverbraucherschutzministerin. Das schaffen die Länder auch alleine", wetterte Remmel.
Getestete Eier zu einem Viertel belastet
Im Dioxin-Skandal sind mehr als ein Viertel der bisher getesteten Eier mit dem Gift belastet. Das gab der Leiter für Lebensmittelsicherheit im Bundesverbraucherministerium, Bernhard Kühnle, bekannt. Von 83 Proben lägen 23 oberhalb des Höchstwertes. Bei Schweinefleisch sei von 33 Proben eine über dem Dioxin- Höchstgehalt und eine am Höchstgehalt registriert worden. Bundesweit sind noch 396 Betriebe gesperrt und werden auf Dioxinbelastung untersucht. Aigner sieht aber weiterhin keine Gesundheitsgefahr.
Dioxinverdächtiges Schweinefleisch aus Sachsen-Anhalt ist auch nach Tschechien und Polen gelangt, gab der Abteilungsleiter zu. Es gebe aber keine Chargen mehr, die zurückgeholt werden könnten. 180 Schweine, die Dioxin-Futter bekamen und im Dezember von Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt geliefert wurden, sind inzwischen verarbeitet worden und wohl gegessen. Man könne dieses Fleisch nicht mehr testen und auch nicht kalkulieren, ob es belastet war.
Quelle: ntv.de, cba/dpa/AFP/rts