Madrid-Attentäter vor Gericht Angeklagter schweigt
15.02.2007, 07:17 UhrIn einem der bislang größten Terror-Prozesse Europas müssen sich in Spanien 29 Angeklagte für die Anschläge auf Madrider Nahverkehrszüge verantworten. Knapp drei Jahre nach den Attentaten im Stil der radikal-muslimischen Al-Kaida wurde das Verfahren am Donnerstag unter beispiellosen Sicherheitsvorkehrungen in der spanischen Hauptstadt eröffnet. Bei den Anschlägen starben 191 Menschen. Der erste zur Befragung aufgerufene Angeklagte verweigerte die Aussage.
Das Gericht beschäftigte sich zunächst mit den drei Männern, denen die Anstiftung zu der Tat vorgeworfen wird. Ein vierter so genannter Ideologe der Gruppe von insgesamt rund 40 Komplizen war unter den sieben Hauptverdächtigen, die sich drei Wochen nach den Anschlägen in einer Wohnung in die Luft sprengten, um ihrer Verhaftung zu entgehen.
"Ich weiß nichts von diesen Vorwürfen und bei allem Respekt werde ich keine Frage beantworten", sagte Rabei Osman Sayed Ahmed, der als erster Rede und Antwort stehen sollte. Auch als Staatsanwältin Olga Sanchez ihm Aussagen vorhielt, wonach er die Anschläge als "meinen Plan" bezeichnet haben soll, schwieg er. In Jeans und weißem Jackett hörte sich der Mann, der in der einschlägigen Szene als "Mohammed, der Ägypter" bekannt war, die Liste der Vorwürfe ungerührt an. Ahmed wurde bereits im vergangenen Jahr von einem italienischen Gericht für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt.
Die Attentäter hatten ihre Sprengsätze am 11. März 2004 - auf den Tag genau zweieinhalb Jahre nach den Al-Kaida-Anschlägen in den USA - in vier vor allem von Berufspendlern genutzten Nahverkehrszügen gelegt und per Mobiltelefon gezündet. 191 Menschen wurden getötet, rund 2.000 weitere Menschen verletzt.
Opfer und Angehörige konnten den Prozess von einem Raum unterhalb des Gerichtssaales aus unter psychologischer Begleitung verfolgen. Viele sahen dem Auftakt des Prozesses mit Wut, die anderen voller Bangen entgegen. Das Verfahren wird zudem live im spanischen Fernsehen und im Internet übertragen.
Urteile werden nicht vor Oktober erwartet. Für die Beweisaufnahme sind fünf Monate veranschlagt. 610 Zeugen und mehr als hundert Experten sollen gehört werden. Das Material der Staatsanwaltschaft umfasst mehr als 100.000 Seiten. Anklage und Verteidigung sind durch jeweils rund 25 Juristen vertreten.
Unter den 29 Angeklagten sind 20 arabischer Abstammung, die meisten davon aus Marokko. Neun Spaniern wird vorgeworfen, den Attentätern bei der Beschaffung des Sprengstoffes geholfen zu haben. Der spanische Hauptkontaktmann muss sich genauso wie mehrere der arabischen Angeklagten für terroristischen Mord und versuchten Mord verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert insgesamt Haftstrafen von mehr als 200.000 Jahren.
Zum Auftakt des Verfahrens verstärkte Spanien seine Sicherheitsvorkehrungen massiv. Die allgemeine Terror-Warnstufe wurde von niedrig auf mittel hochgesetzt und in ganz Madrid sind verstärkt Patrouillen und Überwachungsmaßnahmen angeordnet. Hunderte Polizisten bewachten das Gerichtsgebäude bereits vor dem Morgengrauen. "Der Sicherheitseinsatz ist spektakulär", sagte ein Mitarbeiter des Gerichts. "Es ist unglaublich viel Überwachung angeordnet, die man gar nicht wahrnimmt."
Drei Jahre danach ist auch die politische Diskussion nicht beendet: Am ersten Prozesstag veröffentlichte die rechtslastige Tageszeitung "El Mundo" erneut Artikel, die eine angebliche Verbindung zwischen den Anschlägen und der baskischen Separatistenorganisation ETA belegen sollen.
Die Bomben explodierten drei Tage vor einer Parlamentswahl, und die damals konservative Regierung lastete die Tat schnell der ETA an. Als dann aber immer mehr Hinweise auf ein islamitisches Motiv auftauchten und die Anschläge in einem Video als Rache für die spanische Beteiligung am US-Krieg im Irak bezeichnet wurden, entzogen die Spanier in Massen ihrer Regierung das Vertrauen. Die nachfolgenden Sozialisten holten die spanischen Soldaten wie versprochen umgehend aus dem Irak zurück.
Jane Barrett, Reuters
Quelle: ntv.de