Interview mit dem Parteienforscher Peter Lösche "Angela Merkel hat ihren Laden nicht im Griff"
25.06.2001, 16:36 Uhrn-tv.de: In den vergangenen Tagen wurde in der CDU immer wieder Kritik an Parteichefin Angela Merkel laut. Unter anderem wird ihr "Führungsschwäche" vorgeworfen. Hat Angela Merkel ihren Laden im Griff?
Lösche: Angela Merkel hat ihren Laden offenkundig nicht im Griff. Ihre eigentliche Stärke ist, dass es in der CDU im Moment keine personelle Alternative zu ihr gibt. Ihr größtes Problem ist, dass sie die spezifische Struktur der CDU noch nicht verstanden hat. Sie geht davon aus, dass die "Basis" der Partei ihre Stütze ist. Die eigentlichen Machtzentren der CDU sind jedoch die Landesverbände. Diese müsste sie umwerben.
n-tv.de: Beruhen Merkels Probleme nur auf diesem Missverständnis?
Lösche: Nein, ein weiteres Problem ist, dass Angela Merkel gegenüber den sie umgebenden Personen sehr, sehr misstrauisch ist. Sie bezieht dieses Misstrauen auf ihre DDR-Sozialisation. Einerseits ist dies positiv, weil eine Parteichefin fähig sein muss, Intrigen zu wittern. Andererseits braucht man in ihrer Position aber auch zwei bis drei Leute, denen man absolut vertrauen kann. Die hat Angela Merkel nicht.
n-tv.de: Das Auftreten Helmut Kohls nach dem Bruch der großen Koalition in Berlin hat abermals die Frage nach den Kräfteverhältnissen in der CDU aufgeworfen. Unterminiert das "System Kohl" immer noch Angela Merkels Macht?
Lösche: Das "Netzwerk Kohl" ist zwar zerrissen, besteht und funktioniert in Teilen jedoch noch immer. Insofern ist mit Helmut Kohl nach wie vor zu rechnen. Dies gilt zumal Kohl jemand ist, der - im Gegensatz zu Angela Merkel - die Struktur der CDU glänzend verstanden und durchschaut hat.
n-tv.de: In der Frage der Kanzlerkandidatur spitzt sich bei der Union alles auf die Namen Angela Merkel und Edmund Stoiber (CSU) zu. Wer wäre Ihrer Ansicht nach der geeignetere Kandidat?
Lösche: Im Moment wäre dies Edmund Stoiber. Er verkörpert längst nicht das "typische" Bild eines Bayern, wie es etwa Franz Josef Strauß getan hat. Daher wird ihm die Tatsache, dass er aus Bayern stammt, auch nicht so stark schaden.
n-tv.de: Edmund Stoiber hält seine Kandidatur nach wie vor offen. Wird er in den Ring steigen?
Lösche: Sollte eine Wahlniederlage absehbar sein, wird Stoiber nicht antreten und sich "verheizen" lassen - auch wenn dies sicher seine letzte Chance sein wird, Kanzler zu werden.
n-tv.de: Eine solche Wahlniederlage der Union bei der Wahl 2002 galt lange Zeit als wahrscheinlich. Welche Chancen räumen Sie der Union gegenwärtig ein?
Lösche: Die Aussichten für die Union sind besser geworden. Wahlkämpfe erstrecken sich bei uns inzwischen ja schon über zwei Jahre, und SPD und CDU haben den Bundestagswahlkampf auch bereits eröffnet. Die Stimmung geht in dieser langen Wahlkampfzeit jedoch immer relativ stark hin und her, und ein Wechsel von fünf Prozent der Wähler kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Gerade vor dem Hintergrund der schwachen konjunkturellen Entwicklung im Moment kann es für die SPD auch noch abwärts gehen - man kann die CDU also längst nicht abschreiben.
n-tv.de:Angenommen, Stoiber verzichtet auf die Kandidatur. Liefe dann alles auf Angela Merkel hinaus oder hat die Union noch Alternativen?
Lösche: Dann läuft alles auf Angela Merkel hinaus. Sie wird zwar in der Hoffnung auf eine Minimalchance in die Wahl ziehen, aber letztlich - das weiß Angela Merkel auch selbst - wird sie dann geopfert. Und sie kennt auch bereits ihren Nachfolger. Der ist momentan Ministerpräsident in Hessen und heißt Roland Koch.
Peter Lösche, Jahrgang 1939, ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Göttingen
Quelle: ntv.de