Politik

"Harmlos war er nicht" Anhörung im Fall Kurnaz

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat jegliche Mitverantwortung der früheren rot-grünen Bundesregierung an der fast fünfjährigen Internierung von Murat Kurnaz im Gefangenenlager Guantnamo zurückgewiesen. Die Verantwortung für die Haft liege allein bei den USA, die sich in Entscheidungen über Freilassungen aus Guantnamo zu keiner Zeit und von niemanden hätten reinreden lassen, sagte der Ex-Kanzleramtschef im BND-Untersuchungsausschuss. Zugleich verteidigte Steinmeier die damals getroffene Entscheidung, Kurnaz im Falle einer Freilassung nicht nach Deutschland einreisen zu lassen.

Die Nachrichtendienste hätten den in Bremen geborenen Türken damals als Sicherheitsrisiko eingestuft. Steinmeier verwies auf Hinweise, wonach Kurnaz die Absicht gehabt habe, an der Seite der Taliban in Afghanistan zu kämpfen. Die damalige Entscheidung, eine etwaige Wiedereinreise nach Deutschland zu verhindern, halte er auch heute noch nicht nur für vertretbar, sondern für geboten. Es habe damals eine einvernehmliche Verständigung gegeben, dass Kurnaz bei einer Freilassung in die Türkei hätte einreisen sollen. Schließlich sei die Türkei für Kurnaz kein Niemandsland gewesen, sondern das Land seiner Staatsbürgerschaft. Steinmeier: "Ich kann darin keine unvertretbare Härte erkennen."

Vorwürfe nicht untermauert

Der Minister sagte, die zahlreichen Vorwürfe gegen die frühere rot-grüne Bundesregierung und auch gegen seine Person seien durch die Arbeit des Ausschusses nicht untermauert worden. Es sei damals darum gegangen, in "schwierigen Zeiten einen Kompass zu bewahren". Dabei habe immer der Grundsatz gegolten, "größtmöglichste Sicherheit für die Menschen in Deutschland zu schaffen, ohne die Grenzen des Rechtsstaates zu überschreiten." Das sei auch im Fall Kurnaz geschehen. Steinmeier begründete in seiner Eingangserklärung, bis Anfang 2006 habe es weder ein formelles noch ein informelles Angebot der USA zur Freilassung von Kurnaz gegeben.

"Harmlos war er nicht"

Auch der frühere Bundesinnenminister Otto Schily verteidigte die Einreisesperre für Kurnaz mit dem Hinweise auf dessen Einstufung als Sicherheitsrisiko. "Er mag von Menschen in seiner Umgebung irregeleitet worden sein, harmlos war er nicht", sagte der SPD-Politiker vor dem BND-Untersuchungsausschuss.

Dem widerspreche auch nicht die Tatsache, dass Kurnaz strafrechtlich nichts habe nachgewiesen werden können. Es gebe viele Hinweise, dass Kurnaz bei seiner Festnahme in Pakistan Ende 2001 eigentlich auf dem Weg zur Terror-Ausbildung in Afghanistan gewesen sei. Im Fall Kurnaz hätten sich daher alle Beteiligten völlig korrekt verhalten.

Es sei die Pflicht der Sicherheitsbehörden gewesen, alles nur Erdenkliche zu tun, die Gefahr des Terrorismus abzuwehren, betonte Schily. Die höchst erfolgreiche Terror-Abwehr dürfe nicht in Misskredit gebracht werden. Er selbst sei stolz auf die Leistung der Sicherheitsbehörden. Der alten Bundesregierung wird vorgeworfen, Kurnaz' Freilassung im Herbst 2002 blockiert zu haben. Die alte Regierung hat dies bestritten.

"Ich trage die politische Verantwortung"

Wie Steinmeier betonte Schily, von einem US-Angebot im Herbst 2002 zur Freilassung von Kurnaz wisse er nichts. Persönlich sei er mit dem Fall Kurnaz ohnehin nicht befasst gewesen, ihm sei darüber nur berichtet worden. Dennoch trage er die politische Verantwortung. Das Bundesinnenministerium sei zentral verantwortlich für die Einschätzung der Gefährlichkeit von Kurnaz gewesen. Damit nahm Schily den Druck von Steinmeier (SPD), der in der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) Kanzleramtschef war.

Auch an der "Präsidentenrunde" Ende Oktober 2002 im Kanzleramt habe er nicht teilgenommen, sagte Schily. Bei dem Treffen hatten sich die Chefs der Sicherheitsbehörden verständigt, im Fall einer Freilassung von Kurnaz dessen Wiedereinreise nach Deutschland abzulehnen. Stattdessen sollte der in Bremen geborene Türke in die Türkei ausreisen.

"Rot-Grün hat gegen eigene Grundsätze gehandelt"

Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan festgenommen und dann über Afghanistan Anfang 2002 in das US-Lager auf Kuba gebracht worden. Erst im Sommer vergangenen Jahres kam er frei. Die Einreisesperre gegen ihn war mit einer angeblichen "Sicherheitsgefährdung" begründet worden.

Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) trägt die rot-grüne Bundesregierung eine "klare Mitverantwortung" für die lange Internierungsdauer von Kurnaz. "Die damalige Regierung hat sich nicht dafür eingesetzt, dass der erwiesenermaßen unschuldige Kurnaz früher aus der fast fünfjährigen, menschenrechtswidrigen Haft entlassen wurde", sagte die Generalsekretärin von ai-Deutschland, Barbara Lochbihler."

Lochbihler warf der ehemaligen Regierung Schröder vor, sie habe gegen ihre eigenen Grundsätze gehandelt: "Wenn man die Menschenrechte wie Rot-Grün zur Leitlinie der eigenen Politik erklärt, dann dürfen die Sicherheitsinteressen nicht das alles Entscheidende sein. Dann muss man doch im konkreten Einzelfall reagieren, wenn klar wird, dass die Rechte eines Menschen massiv verletzt werden."

Schmerzensgeld für Kurnaz

Der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Manfred Nowak, hat Deutschland aufgefordert, Kurnaz Schmerzensgeld zu zahlen. Im Bayerischen Rundfunk verglich Nowak den Fall Kurnaz mit einem ähnlichen Fall aus Kanada: Dem unschuldig nach Syrien verschleppten und dort unter Folter gefangen gehaltenen syrisch-stämmigen Kanadier Maher Arar habe Kanada 10,5 Millionen kanadische Dollar als Schmerzensgeld gezahlt.

Quelle: ntv.de

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