Konsultationen trotz Dissens Annäherung an der Newa
02.10.2008, 18:58 UhrTrotz fortdauernder Meinungsunterschiede in der Georgien-Frage wollen Deutschland und Russland ihre Partnerschaft ausbauen. Beim Südkaukasus-Konflikt vertrete Berlin weiter eine andere Meinung als Moskau, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in St. Petersburg.
Zwar würden sich Russland und die EU wieder dem Punkt normaler Beziehungen nähern. Es gebe aber weiter "keine zufriedenstellende Situation", was die Achtung von Georgiens territorialer Integrität durch Moskau angehe. Medwedew nannte die deutsch-russischen Beziehungen bei den Regierungskonsultationen "einen Faktor der Stabilität für den gesamten euro-atlantischen Raum". Der russische Gazprom-Konzern gab am Rande des Treffens überraschend bekannt, dass er dem deutschen Versorger Eon nun doch den Zugang zu einem Gasfeld in Westsibirien ermöglicht.
Schuldzuweisung an USA
Merkel nannte das militärische Vorgehen Russlands im August gegen Georgien erneut "unverhältnismäßig". Einen Tag nach dem Beginn der EU-Beobachtermission im Südkaukasus mahnte die Kanzlerin an, den von Medwedew und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vereinbarten Sechs-Punkte-Plan zur Konfliktlösung in Georgien in die Tat umzusetzen.
Medwedew sagte, er halte eine Rückkehr zum "Kalten Krieg" für unmöglich. "Wir in Russland glauben, dass diese Zeiten für immer vorbei sind. Man kann nicht die Berliner Mauer wieder aufbauen." Die Kontakte zwischen Berlin und Moskau unterlägen "keiner politischen Konjunktur", unterstrich das russische Staatsoberhaupt.
Medwedew bot angesichts der weltweiten Bankenkrise die Mitarbeit Russlands an einer Reform der internationalen Finanzwelt an und gab den USA die Schuld an den Turbulenzen. Die Bestrebungen eines Staates, die Spielregeln zu bestimmen, seien gescheitert. Russland sei bereit, an der Entwicklung "alternativer Finanzzentren" und neuer gemeinsamer Spielregeln für das internationale Bankensystem mitzuwirken.
Finanzminister Peer Steinbrück hatte zuvor mit seinem russischen Kollegen Alexej Kudrin über die Krise gesprochen. Merkel erklärte, ihr sei bewusst, dass ohne die Einbeziehung Russlands und der Schwellenländer viele Probleme nicht gelöst werden könnten.
Eon an Gasfeld beteiligt
Medwedew forderte alle Ostsee-Anrainer-Staaten auf, die geplante Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland zu unterstützen. Die Vorteile des Projekts seien "offensichtlich". Merkel nannte die Pipeline "wichtig, auch für andere Länder".
Am Rande des Treffens einigte sich der deutsche Eon-Konzern nach jahrelang vergeblichen Verhandlungen mit Russlands Monopolisten Gazprom auf eine Beteiligung am Gasprojekt Juschno-Russkoje. Danach steigt Eon mit 25 Prozent minus einer Aktie ein. Aus dem Feld Juschno-Russkoje in Westsibirien soll das Gas für die Ostseepipeline nach Deutschland gepumpt werden.
Über einen möglichen NATO-Beitritt der früheren Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine sagte Merkel, es werde im NATO-Außenministerrat im Dezember eine erste Bewertung geben, ob beide Länder die Voraussetzungen erfüllen. "Nicht mehr und nicht weniger." Es müsse allen Ländern möglich sein, Mitglied zu werden. Ebenso müsse aber die NATO die Möglichkeit haben, die Aufnahme in jedem Einzelfall zu prüfen.
Dialog aufrecht erhalten
Russland lehnt den Beitritt beider Länder strikt ab. Zur möglichen Wiederaufnahme der Verhandlungen über das geplante EU-Russland-Partnerschaftsabkommen sagte die Kanzlerin, beide Seiten würden sich "dem Punkt nähern, wo die Bedingungen erfüllt" seien. "Wir sollten nun auch von unserer Seite die Bedingungen einhalten."
Medwedew betonte vor dem Hintergrund der Kaukasus-Kontroverse, es sei die Pflicht der Politik, im Dialog zu bleiben. Es liege in den Händen aller, die Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Anlässlich des "Tags der Deutschen Einheit" an diesem Freitag dankte Merkel dem Kremlchef für den Anteil Russlands an der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990.
Beide Seiten sprachen in St. Petersburg, der Geburtsstadt Medwedews, zudem über die Zukunft des von Moldawien abtrünnigen Gebietes Transnistrien und die Lage auf dem Balkan, aber auch über bilaterale Initiativen in der Gesundheitsvorsorge. Parallel zu den Konsultationen fand in Russlands zweitgrößter Stadt das Diskussionsforum "Petersburger Dialog" mit Vertretern der Zivilgesellschaften beider Länder statt.
Europarat fordert Zulassung von Beobachtern
Der Europarat hat Russland unterdessen aufgefordert, Beobachter der EU und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Südossetien und Abchasien hineinzulassen. Außerdem sollte Moskau die einseitige Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen georgischen Regionen zurücknehmen, hieß es in einer Entschließung, die die Abgeordneten aus den 47 Europaratsländern in Straßburg mit großer Mehrheit verabschiedeten.
Die Parlamentarier verlangten zudem eine unabhängige internationale Untersuchung, um die Verantwortung für den Ausbruch des Krieges festzustellen. "Beide Seiten haben es versäumt, die Spannungen zu verringern und so wurde die militärische Intervention zur Option für beide Konfliktparteien. Dies ist für die Versammlung inakzeptabel", hieß es in der Entschließung. EU-Beobachter hatten am Mittwoch mit der Überwachung der Waffenruhe und des vereinbarten russischen Truppenabzugs begonnen, allerdings nur in den von Russland eingerichteten Pufferzonen um Südossetien und Abchasien.
Quelle: ntv.de