Politik

Rechtspolitiker Wieland über den NSU-Prozess "Anwälte haben das Recht, sich zu blamieren"

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe.

(Foto: REUTERS)

Die Rechtsanwälte von Beate Zschäpe quälen die Hinterbliebenen der NSU-Opfer mit zahllosen Anträgen, die den Prozess verzögern. Immer wieder bricht im Saal 101 des Münchener Oberlandesgerichts Tumult aus. Im Interview mit n-tv.de verteidigt Grünen-Rechtsexperte Wolfgang Wieland die Verteidiger.

n-tv.de: Befangenheitsanträge, die Forderung, in einen anderen Saal zu wechseln - für viele Außenstehende entsteht der Eindruck, die Verteidiger von Beate Zschäpe und ihren Mitangeklagten verzögern mit unzähligen Anträgen bewusst den NSU-Prozess. Ist das so?

Wolfgang Wieland: Der Begriff "verzögert" ist schon kritisch zu sehen. Die Verteidiger stellen Anträge, das ist ihr Job. Das gibt es immer am Anfang eines Prozesses. Ein Gericht muss dem auch Platz einräumen. Die Anträge sind teils guter Qualität, teils schlechter Qualität. Aber die Verteidiger haben auch das Recht, sich zu blamieren.

Wie meinen Sie das?

Wenn die Verteidiger von Frau Zschäpe nun sagen, dass der alte Plenarsaal des Bundestages oder das Bonner Kongresszentrum ein geeigneter Ort für diesen Prozess wären, dann ist das etwas merkwürdig, weil sie sich zuvor zu Recht immer wieder gegen einen Schauprozess gewehrt haben.

Herrscht zu Recht der Eindruck vor: Der Prozess kommt besonders schleppend voran?

Wolfgang Wieland ist Rechtsanwalt und Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Wolfgang Wieland ist Rechtsanwalt und Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wenn bereits am zweiten Tag die Anklageschrift verlesen wurde, muss man mal daran erinnern, wie lange das in den alten Verfahren gegen die RAF gedauert hat. Da war es mitnichten so, dass am zweiten Tag die Anklageschrift verlesen wurde.

Kürzlich sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel dennoch, dass hier "rechte Szene-Anwälte" versuchen, den Prozess "zu torpedieren".

Es ist diffamierend, mit dem Begriff Szene-Anwälte so zu agieren. Es gibt eine Anwältin, die als NPD-Aktivisten bekannt geworden ist, der man auch eine geistige Nähe zu dem Gedankengut der Angeklagten sicherlich nicht zu Unrecht unterstellt. Ein Großteil der Anwälte kommt aber nachweislich nicht aus der Szene. Ich finde grundsätzlich, dass die Politik sich zurückhalten sollte, was diesen Prozess angeht.

Auch Sie äußern sich.

Sie können sagen, dass ich Ihnen ein Interview gebe, ist dann inkonsequent - aber ich gebe es auch deshalb, weil ich selber Strafverteidiger bin und weil es mir eben wichtig ist, zu sagen: Angeklagte haben ihre Rechte. Verteidiger nehmen sie wahr. Und Nebenklagevertreter nehmen die Rechte der Hinterbliebenen wahr. Alle sollen im Gerichtssaal zu Gehör kommen. Das A und O ist ein ordentliches Verfahren. Wir haben beim NSU zwei Sphären. Wir hier im Bundestag und in den Landtagen haben durch die Untersuchungsausschüsse zu klären: Wer hat versagt? Warum wurde die Mordserie nicht früher gestoppt? Warum konnte das Terrortrio untertauchen? Ob die Angeklagten in München schuldig sind oder nicht, hat alleine das Gericht zu beurteilen und nicht Kenan Kolat vom Türkischen Bund, der bereits lebenslänglich gefordert hat.

Die Verteidiger von Beate Zschäpe: Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm (v.l.).

Die Verteidiger von Beate Zschäpe: Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm (v.l.).

(Foto: picture alliance / dpa)

Und doch ist es nachvollziehbar, dass gerade die Menschen, die sich den Nebenklägern besonders verbunden fühlen, wünschen, dass die Richter ihre Interessen berücksichtigen. Für die Nebenkläger ist schließlich jeder Prozesstag eine Belastung. Stimmt da das Gleichgewicht zwischen den Interessen der Angeklagten und den Interessen der Opferangehörigen?

Ich sehe nicht, dass in München eine Seite bisher nicht zu ihrem Recht gekommen ist. Die Nebenkläger haben in Deutschland ihr "Neben" in der Bezeichnung, weil sie neben der staatlichen Anklage stehen. Die Hauptangriffslinie tragen die Bundesanwälte vor. In unserem System vernimmt auch das Gericht sehr aktiv die Zeugen. Das angelsächsische Modell, bei dem das Gleichgewicht zwischen Nebenklage und Verteidigung im Mittelpunkt steht, haben wir bei uns nicht.

Zschäpes Verteidiger wagen so manch eine Provokation. Vor Gericht kommt es immer wieder zu hitzigen Wortgefechten.

Wortgefechte sind normal in Strafprozessen. Das Wort ist die schärfste Waffe, im Grunde die einzige Waffe des Verteidigers, und die muss er einsetzen. Man sieht den Verteidigern an, dass sie die Situation auskosten und dass sie nicht so gestrickt sind, dass es ihnen unangenehm wäre, im Blitzlichtgewitter zu stehen. Es ist eine Profilierungschance für sie. Ihnen vorzuwerfen, es nur deshalb zu tun, halte ich aber nicht für berechtigt. Wer nicht eitel ist in diesem Metier, der werfe den ersten Stein.

Mal angenommen, Beate Zschäpe hätte all das getan, was man ihr vorwirft. Würden Sie ihre Verteidigung übernehmen?

Nein, ich stünde nicht zur Verfügung in diesem hypothetischen Fall. Aber nehmen wir Anders Behring Breivik aus Norwegen als Beispiel. Daran wird deutlich, worauf es mir ankommt. Jemanden einen Boden zu bereiten, um seine Hasstiraden zu verbreiten, dazu wäre ich nicht bereit. Bezogen auf die Angeklagten im NSU-Prozess muss man differenziert vorgehen. Da gibt es ja auch wenigsten einen, möglicherweise zwei Angeklagte, die sich gelöst haben von ihrem rechtsextremen Weltbild. Das ist eine andere Situation. Bei Angeklagten, die womöglich beanspruchen, dass sie irgendwann darstellen dürfen, warum ihre Taten gerechtfertigt sind, ziehe ich für mich eine Grenze.

Auch Angeklagten, die auf ihrer Gesinnung beharren, die keine Reue zeigen und vielleicht sogar stolz sind auf ihre Taten, steht in Deutschland ein Strafverteidiger zu. Andersfalls könnte der Rechtsstaat nicht funktionieren. Müssten nicht alle Rechtsanwälte zu so einem Mandat bereit sein?

Nicht jeder Verteidiger ist dafür geeignet. Es gibt Anwälte, die schlicht und ergreifend sagen, ich verteidige jeden nach den Regeln der Kunst. Und die sagen: Ich mache mich mit ihnen nicht gemein, aber wie der Zahnarzt die Zähne zieht, wenn es wehtut, verteidige ich sie - ohne Skrupel, ohne nach rechts oder links zu gucken. Solche Anwälte brauchen wir auch, und ich breche nicht den Stab über sie.

Mit Wolfgang Wieland sprach Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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