Bereits 17 Tote und Hunderte Verletzte in Ägypten Armee trennt die Demonstranten
05.07.2013, 02:17 Uhr
Auf dieser Brücke stießen die rivalisierenden Gruppen aufeinander.
(Foto: AP)
In Kairo toben seit Einbruch der Dunkelheit Straßenschlachten zwischen Anhängern und Gegnern des vom Militär gestürzten Präsidenten Mursi. Den ganzen Tag über hatten Zehntausende Islamisten ihrer Wut Luft gemacht. Landesweit gibt es 17 Tote. Die Armee trennt die Lager voneinander. Auf der Sinai-Halbinsel erobern islamistische Kämpfer einen Gouverneurssitz.
Im Zentrum von Kairo haben sich Anhänger und Gegner des abgesetzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi rund um den Tahrir-Platz Straßenschlachten geliefert. An der Brücke des 6. Oktober bewarfen sich beide Seiten mit Pflastersteinen. Islamisten versuchten, über die Brücke in Richtung des Tahrir vorzudringen und prallten dabei auf ihre Gegner, die auf dem Platz demonstrieren.
Bei Zusammenstößen kamen laut Staatsfernsehen 17 Menschen ums Leben. 315 seien verletzt worden, heißt es derzeit. Zuletzt verließen einige Menschen den Tahrir-Platz, auf dem die größte Demonstration stattfindet. Das könnte ein erstes Zeichen der Entspannung sein. Die Armee erklärte, die Parteien voneinander zu trennen. "Wir beziehen keine Seite", sagte ein Sprecher.
Zwischenzeitig wurde vom türkischen Fernsehen berichtet, dass Mursi noch in der Nacht freigelassen werden sollte. Dann werde er sich über Rundfunk und Fernsehen an die rivalisierenden Seiten wenden und einen Wahltermin verkünden. Aus Ägypten selbst wurde diese Meldung nicht bestätigt.
In der Region Nord-Sinai stürmten bewaffnete Anhänger Mursis den Sitz des Gouverneurs. Die Kämpfer lieferten sich zunächst ein Feuergefecht mit Sicherheitskräften, diese gaben das Gebäude in El-Arisch schließlich auf. Die Mursi-Anhänger hissten die schwarze Fahne der militanten Islamisten.
Zuvor hatten Zehntausende Menschen im ganzen Land gegen die Absetzung des Islamisten Mursi demonstriert. Die Demonstranten berufen sich darauf, dass der Präsident frei gewählt wurde und der Putsch darum illegal war. Der Führer der Muslimbruderschaft, Mohammed Badia, war überraschend beim Protest der Islamisten gegen die Absetzung Mursis in Kairo aufgetreten. Die Sicherheitsbehörden hatten am Donnerstag mitgeteilt, dass Badia verhaftet worden sei. "Wir werden Mursi auf unseren Schultern ins Amt zurück tragen", rief Badia Zehntausenden Anhängern der Bruderschaft zu. "Wir werden für ihn unsere Seelen opfern." Am Abend rief er die Anhänger der Organisation dazu auf, so lange auf der Straße zu bleiben, bis Mursi wieder in sein Amt eingesetzt ist.
Gegen Badia liegt ein Haftbefehl der Armee vor. Nach Angaben seines Anwalts, wollte Badia sich zwar stellen, "er wusste aber nicht, welche Behörde dafür zuständig ist". Der Anwalt bestätigte jedoch, dass zwei Führungsmitglieder der Bruderschaft, Saad al-Katatni und Monim Abdel Maksud, sowie Badias Vorgänger Mohammed Mehdi Akif verhaftet wurden.
Militär hält die Massen fern
Am Nachmittag waren die Demonstranten vor den Sitz der Republikanischen Garden marschiert, wo Mursi angeblich festgehalten wird. Dort eröffneten die Soldaten das Feuer. Zwei Menschen starben, mehrere wurden verletzt. Die Muslimbruderschaft hatte zu den Protesten aufgerufen.
Ein Militärsprecher bestritt später, dass die Armee mit scharfer Munition auf die Demonstranten geschossen habe. Die Sicherheitskräfte hätten lediglich Platzpatronen und Tränengas eingesetzt. Aus Sicherheitskreisen hieß es anschließend, auch auf dem Sinai und in der Suez-Region habe es Zusammenstöße zwischen Armee und Mursi-Anhängern gegeben.
In Armeekreisen hatte es vor den Zusammenstößen noch geheißen, man wolle die Mursi-Anhänger gewähren lassen. "Wir lassen sie demonstrieren und dahin gehen, wo sie hin wollen", sagte ein Vertreter des Militärs. Es sollte nur eingeschritten werden, um eine direkte Konfrontation von Anhängern beider Lager zu verhindern. In dem Aufruf von Mursis Gegnern war von einer Konterrevolution der Islamisten die Rede. Jetzt gelte es, die Revolution zu verteidigen.
Mansur löst das Parlament auf
Unterdessen löste der ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur mit einer seiner ersten Weisungen das Parlament auf. Damit bekräftigte er eine Entscheidung der Militärführung, die am Mittwoch den bisherigen Amtsinhaber Mursi abgesetzt und zugleich auch die Verfassung aufgehoben und das Parlament aufgelöst hatte. Mansur war am Donnerstag als vorübergehender Nachfolger Mursis vereidigt worden.
Die Auflösung bezieht sich auf den sogenannten Schura-Rat, das Oberhaus der Volksvertretung. Das Unterhaus hatte der Verfassungsgerichtshof im Juni des Vorjahres aufgelöst, weil bei dessen Wahl gegen die Wahlordnung verstoßen worden war. Der Schura-Rat nahm dann in der Folge die Aufgaben beider Kammern wahr.
Die Afrikanische Union (AU) schloss Ägypten wegen des Umsturzes aus ihren Reihen aus. Der Machtwechsel in Kairo "entspreche nicht der Verfassung Ägyptens", lautete die Begründung des AU-Sicherheitsrates in Addis Abeba.
Der deutsch-ägyptische Autor und Politologe Hamed Abdel-Samad, der nach einem Vortrag über "religiösen Faschismus" mit Morddrohungen belegt worden war, nannte den Umsturz am Nil einen "Sieg der Hoffnung". Bei den angekündigten Neuwahlen sei mit einer deutlichen Niederlage der Muslimbrüder zu rechnen, schrieb er in einem Gastbeitrag der "Bild"-Zeitung.
USA meiden weiter das Wort "Putsch"
Vom Umgang der Armee mit den Anhängern der Islamisten dürfte auch die Entscheidung über weitere Hilfen der USA für die ägyptischen Streitkräfte abhängen. Die USA unterstützen das Militär am Nil mit jährlich 1,5 Milliarden Dollar. Sollten sie zu dem Ergebnis kommen, dass die Armee einen demokratischen gewählten Präsidenten aus dem Amt geputscht habe, müssten sie die Hilfe einstellen. Die USA haben wie Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort Putsch bislang vermieden. Dagegen sprach der deutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel von einem nicht gerechtfertigten Militärputsch.
Quelle: ntv.de, ppo/che/dpa/AFP/rts