Politik

Rationierung und Priorisierung Ärzte sehen sich als Opfer

Vier Monate vor der Bundestagswahl fordern Deutschlands Ärzte eine völlig neue Politik gegen die angeblich immer stärkere Auszehrung des Gesundheitswesens. "Man dreht uns den Hahn zu und macht uns für die Trockenheit verantwortlich", sagte Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe zu Beginn des 112. Deutschen Ärztetags in Mainz. Mit den ständig neuen Anweisungen der Regierung gegen die Interessen von Ärzten und Patienten müsse Schluss sein. Bei Krankenkassen und Bundesregierung biss Hoppe auf Granit. Sie forderten mehr Beweglichkeit der Mediziner.

"Mangelversorgung ist in Deutschland leider Realität", sagte Hoppe unter dem Beifall der 1200 Zuhörer. Sterbende, Schwerstkranke, psychisch Kranke, Pflegebedürftige und Behinderte würden wegen Stress in Kliniken und Heimen, Unterfinanzierung und Personalmangel zu oft alleingelassen. Die Schwachen hätten besonders unter "der verdeckten Rationierung" zu leiden. Unter den Ärzten sei der Unmut nie so groß gewesen.

Freie Ärzte schließen wieder

Rund 30.000 Arztpraxen blieben nach Angaben der Organisation Freie Ärzteschaft wegen einer Streikaktion geschlossen. Die Freie Ärzteschaft ist eine vergleichsweise kleine Medizinerorganisation und machte in der Vergangenheit durch radikale Forderungen auf sich aufmerksam. Branchenkenner hatten bei früheren Streiks ihre Angaben über geschlossene Praxen wiederholt angezweifelt.

Der Politik warf Hoppe Unehrlichkeit vor: "Ich will eine Diskussion provozieren, in der die Politik Farbe bekennen muss." Der Kammer-Präsident stellte klar, sein umstrittener Vorschlag für eine Priorisierung müsse erst breit diskutiert werden. Ein Gesundheitsrat solle dann vorschlagen, welche Therapien für welche Patienten zur Verfügung stünden und worauf verzichtet werden müsse. Hoppe warnte: "Mit den Mitteln, die uns heute zur Verfügung stehen, werden wir den medizinischen Fortschritt zukünftig nicht mehr in den Praxen und Kliniken abbilden können." Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) entgegnete, "Ausschlusskriterien für bestimmte Versorgungsgrade" seien keine Lösung.

Gesundheitsstaatssekretär Klaus Theo Schröder sagte, alle könnten heute am Fortschritt der Medizin teilhaben. Er betonte die Notwendigkeit der von den Ärzten attackierten Regulierungen: "Man kann ein System mit begrenzten Ressourcen nicht ohne Mengensteuerung fahren." Mit 357 Ärzten pro 100.000 Einwohner liege Deutschland aber deutlich über EU-Durchschnitt von 326 Ärzten. "Von dem Grundvermögen des Systems, von den objektiven Möglichkeiten kann wirklich niemand behaupten, wir hätten eine Rationierung." Schröder vertrat Ministerin Ulla Schmidt (SPD), die bei einem Treffen zur Schweinegrippe in Genf war.

Einig bei der Honorarreform

Hoppe zeigte mit Schröder demonstrativ Übereinstimmung bei den Chancen der umstrittenen Honorarreform für die Praxisärzte - in anderen Punkten lieferten sie sich einen Schlagabtausch. So verteidigte Schröder, dass die Versorgung immer stärker auch mit Einzelverträgen etwa zwischen Kassen und Hausärzten geregelt werde. Hoppe erwiderte, am Ende könnten die Kassenärztlichen Vereinigungen nur noch "aufputzen, was übrig bleibt". Das kollektive System einer sicheren Versorgung werde so nicht am Leben gehalten.

Barmer-Chef Johannes Vöcking forderte von den Ärzten, lieber über "eine Entrümpelung des Systems" zu reden. "Der Kranke kommt in der aktuellen Auseinandersetzung nur am Rande vor", kritisierte der Chef des AOK-Bundesverbandes, Herbert Reichelt. Der Chef der KKH-Allianz, Ingo Kailuweit, forderte die Ärzteschaft zu Reformen auf. "Wir haben viel Fehldiagnostik, unberechtigte stationäre Behandlungen, nicht ausreichende Qualität", sagte Kailuweit.

Quelle: ntv.de, dpa

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