"Ab sofort Dienst nach Vorschrift" Ärzte starten ihre Proteste
10.09.2012, 15:38 UhrDie nun anlaufenden Proteste der Ärzte um höhere Honorare richten sich nach Verbandsangaben vor allem gegen die Krankenkassen, nicht gegen die Patienten. Zunächst sollen Anfragen der Kassen nur eingeschränkt beantwortet werden, Bonushefte sollen nicht mehr abgestempelt werden.
Im Honorarstreit mit den Kassen haben die niedergelassenen Ärzte die Gangart verschärft und erste Proteste gestartet. Die Aktionen in den Praxen richten sich nach Angaben der Ärzteverbände in erster Linie gegen die "Kassenbürokratie", doch auch Patienten könnten die Auswirkungen bereits zu spüren bekommen. Mittwoch ist ein Aktionstag geplant, an dem die Ärzte ohne ihre Praxishelferinnen arbeiten sollen.
Zu den Protesten hatten rund 30 ärztliche Berufsverbände mit 100.000 Mitgliedern aufgerufen. "Ab sofort machen die Ärzte Dienst nach Vorschrift", erklärte der Vorsitzende des Verbandes niedergelassener Ärzte (NAV-Virchow-Bund), Dirk Heinrich. So sollten Anfragen der Kassen etwa zu Krankschreibungen oder zu Reha-Maßnahmen von den Ärzten gar nicht oder nur eingeschränkt beantwortet werden. Die Kassen verschickten jährlich rund sechs Millionen Anfragen, für die niedergelassene Ärzte nahezu eine Million Arbeitsstunden zusätzlich aufwenden müssten, kritisierte der Verband.
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte "gezielte Nadelstiche" gegen die Kassen angekündigt. Einem KBV-Sprecher zufolge ist damit zu rechnen, dass die Protestwelle ab Dienstag "ihre volle Wucht" entfalten wird. So wollten die Ärzte auch Bonushefte für spezielle Bonusprogramme der Kassen vorerst nicht mehr abstempeln. Beim Branchenführer Barmer GEK etwa nehmen rund 500.000 Versicherte am Bonusprogramm "aktiv pluspunkten" teil, bei dem es Punkte für die Teilnahme an Raucherentwöhnungskursen, Blutspendeaktionen, Ernährungskursen, Krebsvorsorge, Impfungen sowie Mitgliedschaft im Fitnessstudio gibt. "Längst nicht alle Angebote müssen also beim Arzt wahrgenommen werden", sagte ein Sprecher. Sollte tatsächlich ein Arzt eine Untersuchung nicht abstempeln, werde die Kasse unbürokratisch im Sinne des Versicherten handeln.
Proteste gegen Kassen gerichtet
Mit den Protesten wollen die Ärzte ihren Forderungen nach deutlich mehr Honorar Nachdruck verleihen. Die Ärztevertreter betonten, die Protestaktionen richteten sich in erster Linie gegen die Krankenkassen und nicht gegen die Patienten. Es könne aber sein, dass Patienten am Rande betroffen seien, erklärte Heinrich. Die Ärzteschaft entscheidet zudem in einer bis Mittwoch laufenden Urabstimmung über weitere Aktionen und auch Praxisschließungen. Auf die Patienten könnten damit erhebliche Wartezeiten zukommen.
Gesundheitsminister Daniel Bahr von der FDP rief zur Besonnenheit auf. Ärzte und Kassen sollten den Honorarstreit beilegen: "Es wäre ein Armutszeugnis der Selbstverwaltung, wenn Ärzte und Krankenkassen hier nicht beweisen, dass sie gemeinsam die Vergütung für Ärzte regeln können."
Der Spitzenverband der Kassen (GKV) nannte es "bedauerlich", dass die Patienten von den Protesten nicht verschont blieben. "Wer, wenn nicht die Patienten, leidet darunter, wenn die Ärzte ihre Praxishelferinnen nicht arbeiten lassen", erklärte GKV-Sprecher Florian Lanz. Die Kassen setzten auf einen Fortgang der Verhandlungen.
"Ende der Stimmungsmache" gefordert
Der Spitzenverband der Kassenärzte hatte die Honorarverhandlungen mit den Kassen am Montag vergangener Woche abgebrochen. Die Ärzte lehnen einen Schlichterspruch ab, der den Kassenärzten für das nächste Jahr eine Honorarerhöhung von 270 Millionen Euro zugestanden hat. Sie fordern stattdessen 3,5 Milliarden Euro mehr.
Bevor es am kommenden Samstag eine weitere Schlichtungsrunde gibt, wollen sich die Spitzen von KBV und Kassenverband zunächst in kleiner Runde treffen. NAV-Chef Dirk Heinrich forderte "die Rücknahme des Honorarbeschlusses, den Beginn von Neuverhandlungen sowie ein Ende der Stimmungsmache und Schmutzkampagne gegen die Ärzteschaft". Es gehe auch um das zukünftige Miteinander von Kassen und Ärzten.
Die Freie Ärzteschaft warnte vor faulen Kompromissen. "Wir Ärzte dürfen nicht zulassen, dass jetzt kleine Zugeständnisse der Kassen an die KBV den ärztlichen Protest wieder aufweichen", warnte Verbandsvize Wieland Dietrich. Falls die Kassen nicht zu einer adäquaten Honorierung bereit seien, müssten die ärztlichen Leistungen "an die skandalös niedrigen Kassenzahlungen angepasst werden". Das Nettoeinkommen der Praxisärzte aus dem Topf der gesetzlichen Kassen beträgt im Schnitt 5442 Euro pro Monat.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa