Politik

Alarm auf Knopfdruck Atomkraftwerke üben den Störfall

Klemmende Ventile, abgerissene Leitungen, Druckverlust: für solche Szenarien wird das deutsche Kernkraftwerks-Personal trainiert. Die Reaktorfahrer üben in einem bundesweiten Simulatorzentrum in Essen - und haben die Bilder von Fukushima dabei im Kopf.

Originalgetreu nachgebaut: Im Simulationszentrum der deutschen Kraftwerksbetreiber in Essen üben Mitarbeiter eines Atomkraftwerkes eventuelle Störfälle.

Originalgetreu nachgebaut: Im Simulationszentrum der deutschen Kraftwerksbetreiber in Essen üben Mitarbeiter eines Atomkraftwerkes eventuelle Störfälle.

(Foto: dpa)

Schichtführer Ulrich Kastner nickt, dann drückt der Reaktorfahrer den Roten Knopf: Schnellabschaltung von einem Kernkraftwerk aus Volllast. Keine Alarmsirene wie im Hollywood-Film, aber plötzlich blinken rote, grüne und durchsichtige Lampen auf dem etwa zehn Meter langen Steuerpult. Die Digitalanzeige an der Wand mit der Kraftwerksleistung läuft rasend schnell rückwärts von 1300 Megawatt auf Null. Nach wenigen Sekunden steht der Block des bayerischen Kraftwerks Gundremmingen - zumindest in der Simulation. Das Manöver findet nämlich nicht in Bayern statt, sondern im zentralen Simulatorzentrum der deutschen Kernkraftwerksbetreiber in Essen.

13 Leitstände von Atomkraftwerken sind hier - jeweils für zweistellige Millionenbeträge - originalgetreu mit allen Schaltern und Geräten nachgebaut worden. Zweimal im Jahr müssen die Leitstellen-Mannschaften der deutschen Atomkraftwerke in Essen eine Woche lang ihre Kenntnisse auffrischen. Nur so behalten sie ihre Lizenz. Das geht vom Normalbetrieb mit dem regulären An- und Abfahren der Anlage bis zu kniffeligen Fehlern und der Schnellabschaltung im Störfall. "Ich kann hier jeden Regler und jedes Ventil stören", sagt Ausbilder Klaus Talleur. "Das Team muss dann erst mal den komplexen Fehler eingrenzen - und dabei ruhigbleiben."

Interne "Chemie" kann lebenswichtig sein

Bei dem Training ist nicht nur die Technik entscheidend, sondern auch die Zusammenarbeit im Team. Im Ernstfall kann die interne "Chemie" lebenswichtig sein. Zum realistischen Training gehören Übungsschichten bis Mitternacht. Die Katastrophe von Fukushima sei dabei natürlich in den Köpfen aller Mitarbeiter, sagt Gundremmingen-Schichtführer Kastner. "Die Diskussion wird ständig geführt - auch mit Bekannten und dem Ehepartner."

Auch das 1:10 Glasmodell eines Druckwasser-Reaktors dient zu Übungszwecken.

Auch das 1:10 Glasmodell eines Druckwasser-Reaktors dient zu Übungszwecken.

(Foto: dpa)

Ein schweres Erdbeben, dann ein Tsunami und danach ein tagelanger Ausfall der Energieversorgung mit drohender Kernschmelze wie in Japan - solche Gefahren sieht Kastner für deutsche Kraftwerke aber nicht. In Gundremmingen etwa sind die Stromnetze für die Kühlung dreifach vorhanden, außerdem stehen für jeden Block sechs Diesel-Notstromaggregate bereit, zählt Kastner auf. Ein einziges reicht aus. Wenn alle Stricke reißen, gibt es noch eine mobile Pumpe mit eigener Energieversorgung, die Kühlwasser aus der Donau ziehen würde. Erdbeben wie in Japan sind nach aller statistischen Wahrscheinlichkeit in Deutschland ausgeschlossen.

Das Risiko bleibt

Und dennoch: Fehler können immer passieren und sich überraschend zu Fehlerketten addieren. Komplette Risikofreiheit ist schon theoretisch kaum möglich. "Man muss entscheiden, wie weit man die Eintrittswahrscheinlichkeit von Ereignissen unterstellt", sagt der Schulungsleiter des Simulatorzentrums, Jochen Kruip. Genau das gehört zu den Themen, über die die Politik und die Atombranche bei dem dreimonatigen Moratorium nachdenken. Sollten die Rahmenbedingungen für Atomkraftwerke Richtung "Null Risiko" verändert werden, würde dies auch alle Schulungsinhalte beeinflussen, sagt Kruip.

Quelle: ntv.de, Rolf Schraa, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen