Politik

Ägyptens Präsident Mursi besucht Berlin Auf Merkel lastet gewaltiger Druck

Bei den jüngsten Krawallen in Ägypten starben mehr als 50 Menschen, Hunderte erlitten Verletzungen.

Bei den jüngsten Krawallen in Ägypten starben mehr als 50 Menschen, Hunderte erlitten Verletzungen.

(Foto: REUTERS)

Die Verbrechen des Mubarak-Regimes sind noch nicht aufgeklärt. Und die Sicherheitskräfte sorgen auch unter Nachfolger Mursi für Blutvergießen. Wenn der Präsident aus Kairo an diesem Mittwoch auf Kanzlerin Merkel trifft, kann sich die CDU-Politikerin diplomatischen Smalltalk nicht leisten.

Kurz vor dem Berlin-Besuch von Mohammed Mursi überschlagen sich die Ereignisse in Ägypten. Seit Tagen geht die Opposition auf die Straße, protestiert gegen den Machthaber in Kairo. Und Mursi reagiert mit Gewalt. Er ruft den Ausnahmezustand aus, lässt Militär und Polizei zurückschlagen. Etliche Menschen sterben. Doch unter Kontrolle bekommt der Präsident die Lage nicht. Im Gegenteil: Seine militärische Führungsriege spricht schon von einem drohenden "Staatskollaps".

Kurzum: Wenn Mursi an diesem Mittwoch bei seinem Antrittsbesuch in Deutschland auf Kanzlerin Angela Merkel trifft, gibt es viel Gesprächsstoff. Wer glaubt, dass angesichts der blutigen Zusammenstöße in Kairo vor allem Mursi unter Druck steht, irrt allerdings.

"Mursi ist eine große Enttäuschung"

Menschenrechtsorganisationen kündigten schon vor Tagen Kundgebungen an. Auf den Plakaten der Teilnehmer dürften nicht nur Schmähungen des ägyptischen Präsidenten prangen, sondern auch deutliche Forderungen an die deutsche Bundeskanzlerin.

Eine Karikatur von Präsident Mubarak: Kritiker werfen ihm vor, die Macht im Staate wie ein Krake an sich zu reißen.

Eine Karikatur von Präsident Mubarak: Kritiker werfen ihm vor, die Macht im Staate wie ein Krake an sich zu reißen.

(Foto: REUTERS)

"Merkel muss die Menschenrechte auf die Agenda bringen", sagte Ruth Jüttner, Nordafrika-Referentin für Amnesty International n-tv.de vor Mursis Ankunft. Und mit diesem Appell spielt sie nicht nur auf die jüngsten Gewalteskalationen an den Brennpunkten Port Said, Ismailia und Suez an. Die Amnesty-Expertin kritisiert, dass die Regierung Mursi die Gräultaten des Despoten Hosni Mubarak nie erschöpfend untersucht hätte. "Auch zwei Jahre nach der Revolution gibt es keine transparente Aufklärung der Gewalt gegen Demonstranten. 800 Menschen sind damals gestorben."

Entscheidend erscheint aber auch: Laut Jüttner hat sich das Vorgehen der Sicherheitskräfte seit jenen blutigen Tagen kaum verändert. "Polizisten und sogenannte 'Ordnungskräfte' wurden nur selten angeklagt, fast immer gab es Freisprüche." Und auch heute gebe es, wenn es denn zu Verfahren komme, keine Transparenz. Jüttner sagt: "Mursi hat versprochen, die Ziele der Revolution zu wahren. Für Amnesty International ist seine Politik aber eine große Enttäuschung."

Armee mit Polizeirechten

Die Regierung Mubarak versuchte schon vor Mursis Abflug, ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Nachdem sie mit dem Ausruf des Ausnahmezustands der Armee weitreichende Polizeibefugnisse wie Festnahmen von Demonstranten erteilte, die bis zu den Parlamentswahlen im Frühjahr gelten sollen, hieß es: Die neuen Befugnisse seien ein Balanceakt. Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi sagte, die Soldaten müssten auf der einen Seite lebenswichtige Einrichtungen schützen. Auf der anderen Seite wollten sie die Konfrontation mit Ägyptern vermeiden, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen.

Das Ergebnis dieses Balanceakts bisher: Allein in den vergangenen Tagen starben mehr als 50 Menschen, Hunderte wurden verletzt.

Angst vorm totalen Chaos

Dass es der Regierung Mubaraks nicht gelingt, die Lage zu beruhigen, hat laut der Abgeordneten der Grünen, Kerstin Müller, vor allem einen Grund: Die Opposition nimmt die Ausrufung des Ausnahmezustands als "Schritt der Eskalation" wahr.

Mit Sonderrechten ausgestattet, darf die Armee jetzt auch Polizeiaufgaben übernehmen.

Mit Sonderrechten ausgestattet, darf die Armee jetzt auch Polizeiaufgaben übernehmen.

(Foto: REUTERS)

"Die ägyptische Opposition hat den Eindruck, dass hier eine islamistische Diktatur durchgesetzt werden soll", sagte sie n-tv.de. "Die Justiz wird gleichgeschaltet, das gewählte Parlament ist immer noch nicht zusammengetreten, die Verfassung ist einseitig islamistisch." Kanzlerin Merkel forderte sie daher auf, "Tacheles" zu sprechen, getreu der Linie: "Ja, wir reden mit euch, aber eine islamistische Diktatur ist nicht akzeptabel."

Dazu gehört für Müller auch, dass sich Merkel für eine Regierung der nationalen Einheit einsetzt. Die ist laut der Grünen nämlich der einzige Weg, "ein totales Chaos" zu verhindern.

Dass Menschenrechtler und Opposition den Druck auf Merkel nun derart erhöhen, hat eine Ursache: Sie sind sich einig, dass Merkel in Ägypten tatsächlich Einfluss nehmen kann. Und Argumente für diese Einschätzung gibt es eine ganze Reihe.

Der deutsche Einfluss

Mursi ist auf den guten Willen der Bundesregierung angewiesen. Deutschland ist Ägyptens drittwichtigster Handelspartner. Und auch die deutschen Touristen sorgen trotz der Unruhe für einen stetigen Geldfluss. Nicht zu unterschätzen ist zudem das Gewicht der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit Kairo. Merkels Minister, Dirk Niebel, machte hier vor ein paar Wochen deutlich, welche Hebel der Bundesrepublik zur Verfügung stehen.

"Es besteht die Gefahr, dass das diktatorische System des gestürzten Präsidenten Mubarak wieder auflebt, nur diesmal mit anderen Personen", sagte er der "Frankfurter Rundschau". Er fügte hinzu: Nur wenn Ägypten sich hin zu mehr Demokratie entwickelt, werde Deutschland Mursi unterstützen. Im gleichen Atemzug sagte der Liberale Verhandlungen über weitere Entwicklungskooperationen ab. Und einen Schuldenerlass in Höhe von 240 Millionen Euro verschob er auf ein unbestimmtes Datum.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen