100.000 auf der Flucht Aufruf zum Frieden in Kenia
02.01.2008, 06:57 UhrMehr als 100.000 Menschen sind angesichts der eskalierenden Gewalt in Kenia auf der Flucht. Fast 300 Menschen kamen nach Schätzungen des Roten Kreuzes und örtlicher Medien binnen weniger Tage ums Leben. Die internationale Gemeinschaft verstärkt unterdessen iren Druck auf die politischen Kontrahenten in Nairobi, die Krise beizulegen. Die USA und Großbritannien riefen zu einem Ende der Gewalt und zum Dialog auf. Die Afrikanische Union (AU) will in dem Konflikt vermitteln. Hintergrund ist der umstrittene Ausgang der Präsidentenwahl. Die Opposition spricht von Wahlfälschung.
US-Außenministerin Condoleezza Rice und ihr britischer Kollege David Miliband appellierten in einer gemeinsamen Erklärung an die rivalisierenden politischen Führer, für ein Ende der Gewalt zu sorgen. Es gebe unabhängige Berichte über gravierende Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung, kritisieren beide Politiker. Der südafrikanische Friedensnobelpreisträger und frühere Erzbischof Desmond Tutu wollte Berichten zufolge in dem Konflikt vermitteln. Der AU-Vorsitzende John Kufuor will nach Nairobi reisen und sich mit Kibaki treffen.
Opposition beharrt auf Massendemonstration
Die Opposition hat für Donnerstag zu einer Massendemonstration in Nairobi aufgerufen, die von der Regierung aber untersagt worden ist. Trotz dieses Verbots rief Oppositionsführer Raila Odinga seine Anhänger weiter zu der Demonstration gegen Wahlfälschungen auf. Odinga sagte der "Süddeutschen Zeitung", er erwarte bei dem im Zentrum der Hauptstadt Nairobi geplanten Protestmarsch eine Million Teilnehmer. Die Wahl vor Gericht anzufechten lehnte Odinga ab, weil alle Richter durch Präsident Mwai Kibaki kontrolliert seien. Zu Verhandlungen mit dem Amtsinhaber, den die Wahlkommission zum Sieger der Abstimmung am vergangenen Donnerstag erklärt hatte, sei er nur bereit, wenn Kibaki öffentlich eingestehe, dass er nicht mehr der rechtmäßige Präsident von Kenia sei. Odinga forderte, die Stimmen müssten unter unabhängiger Aufsicht neu ausgezählt werden.
Wahlleiter stand angeblich unter Druck
Der nationale Wahlleiter, Samuel Kivuitu, räumte erstmals Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sieges von Amtsinhaber Kibaki ein. Zugleich sprach er sich für eine unabhängige Untersuchung aus. "Ich weiß nicht, ob Kibaki gewonnen hat", zitierte ihn die Zeitung "Der Standard". Sowohl Regierung als auch Opposition hätten ihn unter Druck gesetzt, sagte der Wahlleiter. Die Wahlkommission hatte Präsident Kibaki am Sonntagabend mit 230.000 Stimmen Vorsprung vor seinem Rivalen Raila Odinga zum Sieger erklärt. Nach Auszählung der Stimmen in 90 Prozent der Wahlkreise hatte noch Odinga in Führung gelegen.
Menschen in Kirche verbrannt
Allein im zentralkenianischen Rift Valley sind nach Angaben des Roten Kreuzes rund 75.000 Menschen auf der Flucht. Im ebenfalls von Gewalt erfassten Westen des Landes fliehen immer mehr Menschen ins benachbarte Uganda. Die meisten von ihnen sind Kikuyu und damit Angehörige der Volksgruppe Kibakis. Im Ort Eldoret im Westen Kenias waren am Dienstag mindestens 35 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt, als ein Mob die Kirche anzündete, in der sie Zuflucht gesucht hatten. Aus Furcht vor Angriffen und Plünderungen verschanzen sich viele Menschen örtlichen Medienberichten zufolge in ihren Häusern oder in Polizeistationen und versuchen, sich zu bewaffnen.
"Ethnische Säuberungen"
Die Anhänger von Odinga und Kibaki machen sich gegenseitig für die Ausschreitungen verantwortlich. Ein Regierungssprecher warf Odingas Anhängern im Sender BBC "ethnische Säuberungen" vor. Odinga wiederum beschuldigte das Kibaki-Lager des "Völkermordes". Auf die Frage, ob er seine Anhänger zur Ruhe aufrufen werde, sagte Odinga: "Ich weigere mich, dem kenianischen Volk eine Narkose zu geben, damit es vergewaltigt werden kann."
Welthungerhilfe schließt Büro
Die Deutsche Welthungerhilfe schloss ihr Büro in der Hauptstadt Nairobi. Das teilte ein Sprecher der Hilfsorganisation in Bonn mit. Für die Beschäftigten der Niederlassung - derzeit acht Deutsche, ein Amerikaner und rund 100 Kenianer - sei eine Ausgangssperre verhängt worden. In dem ostafrikanischen Urlaubsland halten sich nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes zurzeit mehrere tausend deutsche Touristen auf.
Experte: Kein Bürgerkrieg
Nach Einschätzung des Afrikaexperten Professor Rolf Hofmeier besteht keine Gefahr eines Bürgerkriegs. "Insbesondere durch die USA und Großbritannien wird so viel Druck ausgeübt, dass dieses schlimmste Szenario verhindert werden kann", sagte der Experte vom Hamburger Institut für Afrika-Kunde in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Hofmeier rechnet damit, dass Polizei und Sicherheitskräfte in den kommenden Tagen die Lage unter Kontrolle bringen.
Deutsche in Kenia
In Berlin sagte eine AA-Sprecherin, die Botschaft versuche, Urlauber per SMS oder auch telefonisch über die Lage zu informieren. Den Betroffenen rät das Außenamt, Massenansammlungen zu meiden und möglichst in den Hotels zu bleiben. Jährlich besuchen etwa 200.000 deutsche Touristen das ostafrikanische Land. Deutschland stellt zudem mit fast 5000 Personen nach der früheren Kolonialmacht Großbritannien die größte dauerhaft in Kenia lebende ausländische Gemeinschaft.
Quelle: ntv.de