Politik

"Grenze zwischen Töten und Sterben" BGH entscheidet über Sterbehilfe

Darf ein Mensch einem anderen beim Sterben helfen? Der Bundesgerichtshof will in drei Wochen eine Grundsatzantwort liefern. Er verhandelt den Fall eines Anwalts, der zu Sterbehilfe geraten hatte.

hand.jpg

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Bundesgerichtshof (BGH) will die rechtlich umstrittene Abgrenzung zwischen passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe klären und dazu ein Grundsatzurteil am 25. Juni verkünden. Bei der Verhandlung wurde deutlich, dass die Umsetzung des Patientenwillens dabei stärker in den Vordergrund rücken wird. Ärzte und Betreuer, die diesem Willen Geltung verschaffen, wären dann womöglich besser vor Strafe geschützt.

In dem verhandelten Fall lag eine Frau rund fünf Jahre in einem Heim im Wachkoma und wurde künstlich ernährt, bis ihre Tochter auf Anraten des nun angeklagten Anwalts den Schlauch der Magensonde durchschnitt. Zuvor hatte sich das Heim trotz ärztlicher Anordnung und einer Patientenverfügung der Frau geweigert, die künstliche Ernährung einzustellen.

Der Anwalt der Tochter, der renommierte Patientenrechtler Wolfgang Putz, war deshalb vom Landgericht Fulda wegen gemeinschaftlichen versuchten Totschlags zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Die Tochter wurde freigesprochen, weil sie dem Rat des Anwalts "irrtümlich" gefolgt war. Am Freitag forderte nun selbst der Vertreter der Bundesanwaltschaft auch den Freispruch von Putz.

Zulässiges "Unterlassen" oder "aktives Tun"

Das Gericht will der Vorsitzenden Richterin Ruth Rissing-van Saan zufolge grundsätzlich prüfen, wie weit Sterbehilfe gehen kann und wo die Grenze "zwischen Töten und natürlichem Sterben" verläuft. Seit der Gesetzesreform vom September 2009 müssen Patientenverfügungen zwar beachtet werden und etwa ein zum Betreuer bestelltes Familienmitglied dem Willen des Kranken "Geltung" verschaffen. Andererseits verbietet der nicht veränderte Paragraph 216 im Strafgesetzbuch weiterhin die "Tötung auf Verlangen" durch sogenanntes aktives Tun.

Dass seitdem etwa das Abschalten eines Beatmungsgerätes durch einen Arzt rechtlich als zulässiges "Unterlassen" einer lebensverlängernden Therapie bewertet wird, das Durchtrennen eines Schlauches aber unzulässiges "aktives Tun" sein soll, "ist keinem Laien zu erklären", sagte die Vorsitzende Richterin.

Putz' Anwalt Gunter Widmaier argumentierte, dass das "Durchtrennen der Versorgungsleitung" der komatösen Frau "naturalistisch betrachtet sicherlich aktives Handeln war, aber keine Tötung sei". Die Tochter habe nur "das Aufdrängen einer rechtswidrigen Behandlung durch ungefragte selbsternannte Lebensschützer" beenden wollen.

"Das Sterben retten"

Bundesanwalt Lothar Maur plädierte dafür, das Dilemma über das Betreuungsrecht zu lösen. Wenn es der Wille eines unheilbar Kranken ist, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, und wenn sein Betreuer und Arzt diesen Willen umsetzen, dürfe das nicht als strafbares Töten auf Verlangen bewertet werden. Einen Schlauch wie im aktuellen Fall durchzuschneiden, sei dann zwar aktives Tun, es sei aber "gerechtfertigt", weil der Patientenwillen "Vorrang" habe.

In seinem Schlusswort bat Putz den BGH, "das Sterben zu retten". Das Gericht möge ein Urteil zu fällen, das den Ärzten bei der Sterbehilfe "den Rücken stärkt und ihnen die Angst nimmt, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen".

Die Deutsche Hospiz Stiftung bezeichnete den Rat des Anwalts und den Schritt der verzweifelten Tochter am Freitag gleichwohl als unzulässige "Wild-West-Methoden". Der BGH solle klarstellen, dass "der Patientenwille nicht zum Spielball fremder Interessen" werden dürfe, erklärte die Stiftung.

Quelle: ntv.de, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen