Politik

"Herzzerreißend, schockierend" Ban besucht Gaza-Stadt

Zwei Tage nach Beginn einer Waffenruhe im Gazastreifen hat sich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon "entsetzt" über das Ausmaß der Zerstörung geäußert. "Es ist herzzerreißend, es ist schockierend, mir fehlen die Worte", sagte Ban auf einer Pressekonferenz vor den Trümmern eines von Israel zerstörten UN-Lagerhauses in der Stadt Gaza. Ban forderte eine umfassende internationale Untersuchung aller Zivilopfer. Der UN-Generalsekretär kündigte an, dass hochrangige UN-Experten am Donnerstag nach Gaza kommen werden, um die Schäden und humanitären Bedürfnisse zu ermessen.

Anschließend besuchte Ban die israelische Grenzstadt Sderot, die immer wieder von militanten Palästinensern aus dem Gazastreifen beschossen worden ist. Nach israelischen Medienberichten äußerte Ban Verständnis für die Nöte der Einwohner Sderots, die in Angst leben müssten. Der UN-Generalsekretär habe die palästinensischen Raketenangriffe auf Israel als inakzeptabel verurteilt.

Stand des Rückzugs ungewiss

Unterdessen war weiterhin unklar, ob die israelische Armee noch im Laufe des Tages ihren Truppenabzug aus dem Gazastreifen abschließt. Sprecher der Armee und des Verteidigungsministeriums wollten entsprechende Berichte des Armeerundfunks nicht bestätigen.

Der Sender zitierte außerdem einen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, wonach die radikalislamische Hamas nach israelischen Schätzungen noch 1200 Raketen besitzt. Die Luftwaffe gehe davon aus, dass 80 Prozent aller Schmugglertunnel unter der Grenze vom Gazastreifen zu Ägypten zerstört worden seien.

Kein Treffen mit Hamas

Nach Angaben der Gesundheitsbehörde in Gaza sind bei der mehr als drei Wochen langen Militäroffensive Israels mindestens 1415 Menschen getötet und mehr als 5500 weitere verletzt worden. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es sich bei der Hälfte aller Todesopfer um Zivilisten handelt. Zudem wurden erstmals die enormen Schäden durch die dreiwöchige Militäroffensive konkreter beziffert. Die palästinensische Statistikbehörde PCBS schätzt die Schäden auf zwei Milliarden Dollar (1,5 Mrd. Euro).

Nach Angaben der Statistikbehörde wurden mindestens 22.000 private und öffentliche Gebäude beschädigt oder zerstört. Dies seien 14 Prozent aller Gebäude im Gazastreifen. Der saudische König Abdullah kündigte in Kuwait-Stadt an, Saudi-Arabien werde den Wiederaufbau im Gazastreifen mit einer Milliarde Dollar unterstützen.

UN-Generalsekretär Ban ist der bisher ranghöchste internationale Repräsentant, der sich vor Ort ein Bild vom Ausmaß der Schäden und der humanitären Krise gemacht hat. Die Eskalation der vergangenen Woche bezeichnete er als ein "kollektives politisches Scheitern". Ban traf während seines Kurzbesuches nicht mit Vertretern der radikal-islamischen Hamas zusammen. Die Hamas kontrolliert seit einem blutigen Putsch vom Juni 2007 den Gazastreifen. Ban nannte den Raketenbeschuss israelischer Zivilisten durch militante Palästinenser inakzeptabel.

Hamas feiert "Sieg"

Vor dem Eintreffen von Ban waren zehntausende Hamas-Anhänger zu einer Siegesfeier im Zentrum der Stadt Gaza geströmt. Viele schwenkten die grüne Hamas-Fahne. Die Hamas hatte zuvor dazu aufgerufen, den "Sieg des Widerstandes über die israelischen Besatzer" zu feiern. Aus Sicht des hochrangigen Hamas-Funktionärs Aschraf Abu Daya hat die große Beteiligung gezeigt, dass die Hamas-Bewegung nicht an den Folgen des Krieges zerbrochen sei. Israel hat nach seiner Darstellung eine einseitige Waffenruhe ausgerufen, nachdem die Armee von Hamas-Kämpfern besiegt worden sei.

Der UN-Generalsekretär war vor seiner Fahrt in den Gazastreifen in Jerusalem mit dem amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert zusammengetroffen. Beide hätten über Wege zur Stabilisierung der Waffenruhe und die Koordinierung von humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung gesprochen, teilte Olmerts Büro mit. Der Regierungschef habe erklärt, dass der Wiederaufbau des Gazastreifens nicht zu einer De-facto-Anerkennung der Hamas führen dürfe.

Livni stellt Bedingungen

Israels Außenministerin Zipi Livni hat unterdessen für die Öffnung der Grenzübergänge zum Gazastreifen eine Freilassung des verschleppten israelischen Soldaten Gilad Schalit zur Bedingung gemacht. Das eine könne nicht getrennt von dem anderen betrachtet werden, erklärte Livni. Nach israelischen Angaben wurden 80 Prozent der Schmugglertunnel der Hamas nach Ägypten während der Militäroffensive zerstört.

Bei der Wiedereröffnung der Grenzübergänge zwischen Israel und dem von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Gazastreifen werde es ohne Fortschritte bei der Freilassung Schalits kein Fortkommen geben, hieß es in einer Erklärung Livnis. Schalit war im Juni 2006 von Palästinensern im Gazastreifen entführt worden und befindet sich seitdem in der Gewalt der Hamas.

Sarkozy plant Nahost-Gipfel

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy will nach Informationen des "Figaro" eine internationale Nahost-Konferenz zur Aushandlung eines dauerhaften Friedens in Paris ausrichten. Im Mittelpunkt solle die Schaffung eines Palästinenserstaates stehen. Ein vorbereitendes Außenministertreffen solle "vermutlich Anfang Februar" in Ägypten stattfinden, berichtet das regierungsnahe Blatt. Die Friedenskonferenz danach sei dem lysepalast zufolge "eine Frage von Wochen".

Frankreich ist zudem zu Gesprächen mit der radikalislamischen Hamas innerhalb einer künftigen Palästinenserregierung bereit. "Wir sind bereit, mit einer Regierung der nationalen Einheit zu arbeiten", sagte der französische Außenamtssprecher Eric Chevallier in Paris. Voraussetzung sei, dass diese Regierung "die Grundsätze des Friedensprozesses respektiert und sich zu Verhandlungen mit Israel für die Schaffung eines Palästinenserstaates verpflichtet, der in Frieden und Sicherheit an der Seite Israels besteht".

Frankreich verlangte bisher von der Hamas vor Gesprächen, der Gewalt abzuschwören und Israel sowie die bisherigen Friedensabkommen mit dem jüdischen Staat anzuerkennen. Chevallier sagte nun dazu, der Gewaltverzicht sei aus Sicht von Paris dabei "absolutes Hauptelement".

Israel soll Einheitsregierung akzeptieren

Die Europäer fordern nach Informationen der arabischen Zeitung "Al-Sharq Al-Awsat" von Israel, die radikalislamische Hamas als Teil einer palästinensischen Einheitsregierung zu akzeptieren und die Blockade des Gazastreifens aufzugeben. Der israelische Ministerpräsident Olmert habe das bei einem Treffen mit den Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland, Großbritannien und anderen Staaten wütend abgelehnt.

EU-Entwicklungskommissar Louis Michel kündigte in Brüssel an, er wolle sich am Sonntag und Montag in Gaza ein Bild darüber machen, welche Hilfe am dringendsten notwendig sei. Die Prager EU-Ratspräsidentschaft teilte mit, drei tschechische Experten seien unterwegs, um den Bedarf an humanitärer Hilfe abzuschätzen.

Steinmeier-Plan für EU-Hilfe

In einem am Montag vorgelegten und mit Brüssel sowie der tschechischen Ratspräsidentschaft abgestimmten Plan warb Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier für ein gemeinsames Vorgehen der EU, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. Danach sollen Medikamente, Lebensmittel, Notunterkünfte und Treibstoff finanziert werden. In einem nächsten Schritt sollen Aktivitäten gegen den Waffenschmuggel unterstützt werden.

Eine Delegation von fünf deutschen Experten soll in Kürze nach Ägypten reisen und sondieren, wie das Land beim Kampf gegen den Transport von Waffen durch das Tunnelnetz an der Grenze zu Gaza unterstützt werden kann. Weiter werden in dem Steinmeier-Plan die Öffnung von Grenzübergängen, der Wiederaufbau in Gaza und die Wiederaufnahme des Friedensprozesses als Ziele genannt.

Gaza-Geberkonferenz in Ägypten

Auch die Mitgliedstaaten der Arabischen Liga erklärten, sie wollten den Palästinensern im Gazastreifen helfen, ihre zerstörten Häuser, Schulen und Werkstätten wieder aufzubauen. Zum Abschluss eines zweitägigen Wirtschafts- und Sozialgipfels in Kuwait erklärten die Mitgliedstaaten zudem, sie wollten gleichzeitig versuchen, die rivalisierenden Palästinenserfraktionen zu einen, allen voran die Fatah-Bewegung von Präsident Mahmud Abbas und die Hamas. Zur Koordinierung der Hilfsbemühungen soll auf Wunsch des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak Mitte Februar eine internationale Gaza-Geberkonferenz in Ägypten stattfinden.

Trotz Waffenruhe kamen im Gazastreifen derweil wieder drei Menschen ums Leben. Zwei Kinder starben in der Stadt Gaza, als sie mit liegengebliebener Kriegsmunition spielten und diese explodierte. Im nördlichen Gazastreifen wurde ein Palästinenser getötet. Die israelische Armee dementierte Berichte von Augenzeugen, wonach der Landwirt von israelischen Soldaten erschossen wurde.

Quelle: ntv.de

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