Politik

Weltrekord ja, aber jetzt reicht's Belgien ergreift die Chance

Endlich geschafft. Elio Di Rupo, designierter Premier und Sozialdemokrat, könnte schon Anfang Dezember seinen Eid ablegen.

Endlich geschafft. Elio Di Rupo, designierter Premier und Sozialdemokrat, könnte schon Anfang Dezember seinen Eid ablegen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mehr als 530 Tage ohne Regierung - das ist ein unrühmlicher Weltrekord. Nun ist der Stillstand in Belgien nach eineinhalb Jahren beendet. Die Koalition verordnet den Bürgern ein Sparprogramm, um den Etat zu sanieren - und gibt damit ein Signal an die nervösen Finanzmärkte.

Den Europa- und den Weltrekord hatte Belgien schon gebrochen - mit mehr als 530 Tagen ohne Regierung. Nach wie vor schien keine schnelle Lösung in Sicht. Doch dann riss der Ratingagentur Standard & Poor's der Geduldsfaden. Die Bonitätswächter überbrachten die schlechte Nachricht und stuften die Kreditwürdigkeit Belgiens herab. Ein Schock für das Kernland der Euro-Zone.

Und plötzlich ging alles ganz schnell: Über Nacht einigten sich sechs Parteien in Koalitionsverhandlungen auf milliardenschwere Einsparungen im Haushalt. Mit dem Sparbudget vom Samstag ist der Weg frei für eine neue Regierung aus Sozialisten, Christdemokraten und Liberalen. Der designierte Premier und Sozialdemokrat Elio Di Rupo könnte schon Anfang Dezember seinen Eid ablegen.

Welle der Erleichterung

Eineinhalb Jahre nach der Wahl durchflutet eine Welle der Erleichterung das Land. König Albert II., der wie kein anderer für das vereinte Belgien steht, zeigte sich in nüchternen Worten "erfreut". Der Bundesstaat zerbricht nicht. Das Niederländisch sprechende Flandern und das Französisch sprechende Wallonien bleiben trotz aller Gegensätze vereint. Die Hängepartie hatte das zerrissene Land verunsichert, das seit seiner Gründung vor 180 Jahren immer wieder Gefahr läuft, vom Zwist zwischen beiden Landesteilen zerrieben zu werden.

Es war eine Einigung in allerletzter Minute, ohne Druck von außen kaum vorstellbar. Die Herabstufung der Bonität "war eine Bombe, die die politische Krise gelöst hat", schrieb die Zeitung "Le Soir". Die sechs Parteien aus beiden Teilen des Landes wollen als Regierung nun an einem Strang ziehen.

EU-Kommission droht Konsequenzen an

Das ist auch dringend nötig. Der politische Stillstand, das fehlende Budget und die drängenden Reformen hatten Zweifel an der wirtschaftlichen Stabilität der Monarchie genährt. Der Schuldenstand beträgt mehr als 96 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Risikoaufschläge für zehnjährige Staatsanleihen kletterten zuletzt auf fast sechs Prozent.

Es war eine Einigung in letzter Minute: die sechs Parteien im Gespräch.

Es war eine Einigung in letzter Minute: die sechs Parteien im Gespräch.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die EU-Kommission hatte Belgien unlängst vor Konsequenzen gewarnt. Mitte Dezember muss Brüssel der EU-Kommission einen überzeugenden Etat vorlegen, sonst drohen Strafen. Dank Rotstift und höheren Steuern soll das Defizit 2012 auf 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken - das wäre vorbildlich und unter den erlaubten drei Prozent. "Die Vereinbarung besteht den europäischen Test brillant", sagte der flämische liberale Parteivorsitzende Alexander De Croo.

Sprachenstreit weiterhin ungelöst

Trotz der guten Nachrichten steht das Land vor Herausforderungen - politisch wie wirtschaftlich. Der schwelende Sprachenstreit ist mit der Reform des umstrittenen Wahlbezirks im Umland von Brüssel nur eingedämmt, nicht gelöst. Seit Jahrzehnten ist er ein Hauptgrund für die Kurzlebigkeit belgischer Regierungen. Viele Flamen sind es nach wie vor leid, dass sie den ärmeren Süden des Landes seit Jahrzehnten mit Hilfsgeldern in Milliardenhöhe unterstützen müssen.

Im Parlament wird die flämische N-VA unter ihrem Führer Bart De Wever eine starke Opposition bilden. Die N-VA hatte bei den Wahlen 2010 rund 28 Prozent der Stimmen geholt und tritt für die Autonomie Flanderns ein. De Wever hält Belgien für "ein gescheitertes Land". Gegen das Sparpaket giftete der schwergewichtige Flame: "Das ist ein Desaster." Die neue "linke" Regierung werde nicht lange überleben.

Neues Vertrauen möglich?

Ökonomen sind zudem skeptisch, ob eine neue Regierung und ein Sparhaushalt tatsächlich neues Vertrauen in der Finanzwelt schaffen. "Das wird die Panik an den Märkten nicht stoppen können", sagte der Ökonom Paul de Grauwe von der Universität Löwen dem "Soir".

Denn die Situation des Bankensektors bleibt prekär. So mehren sich die Anzeichen, dass die Kosten für die staatliche Rettung der belgisch-französischen Großbank Dexia ausufern könnten. Vier Milliarden Euro zahlt Belgien für die Übernahme des belgischen Arms der Dexia, weitere 54 Milliarden Euro staatliche Garantien.

"Nicht auf Auslandskapital angewiesen"

Doch vieles spricht dafür, dass Belgien die Krise in den Griff bekommt. "Belgien geht es wirtschaftlich gut und das Land hat in den 90er Jahren gezeigt, dass es seinen Schuldenstand nach unten fahren kann", sagte Daniel Gros, Leiter des Brüsseler Centre for European Policy Studies (CEPS). Im Gegensatz zu anderen Krisenstaaten sei Belgien nicht auf Kapital aus dem Ausland angewiesen: "Die einheimischen Ersparnisse sind sehr hoch und die Belgier glauben an ihren Staat. Der kann sich mit Anleihen bei den Bürgern Geld leihen."

Quelle: ntv.de, Marion Trimborn, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen