"Ist das viel, ist das wenig?" Bericht belastet 18 Jesuiten
15.02.2011, 15:27 Uhr
Allmählich wird klar, was hinter den Mauern des Aloisius-Kollegs geschah.
(Foto: dpa)
Rund ein Jahr nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals am Bonner Aloisius-Kolleg wird der Abschlussbericht zu den Vorfällen veröffentlicht. Darin werden 23 Beschäftigte belastet. An dem privaten Gymnasium des Jesuitenordens sollen Patres über Jahrzehnte hinweg Schüler sexuell missbraucht haben.
Am Bonner Jesuitengymnasium Aloisius-Kolleg sind 50 Jahre lang Jungen sexuell missbraucht und misshandelt worden. Ein Pater tat dies 40 Jahre lang, ohne jemals Schwierigkeiten zu bekommen. Das ist das Ergebnis eines Untersuchungsberichts. Die Taten wurden demnach vom Jesuitenorden weniger vertuscht als vielmehr gar nicht wahrgenommen. Ein Schuldbewusstsein sei häufig nicht vorhanden gewesen, urteilte das Untersuchungsteam unter Leitung der Juristin Julia Zinsmeister.
Das Aloisius-Kolleg ist eine Eliteschule mit angeschlossenem Internat. Zu den ehemaligen Schülern gehören viele Prominente, darunter Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der Entertainer Stefan Raab.
In dem Untersuchungsbericht werden insgesamt 23 ehemalige Mitarbeiter der Schule belastet, darunter 18 Jesuiten. Die meisten Fälle stammen aus den 50er und 60er Jahren. Es geht dabei nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern auch um Gewalt und Psycho-Terror. Schüler wurden blutig geschlagen und zutiefst gedemütigt. Einer der ehemaligen Schüler sagte, er habe das Gefühl, dass ihm am Aloisius-Kolleg die Haut abgezogen worden sei. Andere verteidigen die Schule bis heute und sagen, es gehe nur um wenige Einzelfälle.
"Pater Georgs" Herrschaftsraum
Der Bericht enthält 58 Schilderungen über Missbrauch und Misshandlung, was jedoch bei weitem nicht vollständig sei, wie die drei Autorinnen betonten. Mehr als die Hälfte der Fälle betrifft einen Pater, der 40 Jahre lang bis 2008 an der Eliteschule tätig war und auch Rektor wurde. Er misshandelte und missbrauchte demnach "Generationen von Schülern", ohne dass je gegen ihn eingeschritten wurde.
Dieser sogenannte "Pater Georg" machte Tausende Fotos von nackten oder halbnackten Jungen, die er zum Teil sogar veröffentlichte und ausstellte. Sie erfüllen zwar nicht den Tatbestand der Kinderpornografie, eine "erotische Komponente" räumte er jedoch selbst ein. Der Pater baute das Kolleg nach Zinsmeisters Worten zielstrebig zu seinem " Herrschaftsraum" aus. Inzwischen ist er tot, und die Taten wären auch verjährt.
Zinsmeister machte die Kultur des Jesuitenordens für die Taten mitverantwortlich. "Die Organisationskultur muss sich öffnen für Kritik", forderte sie.
Wiedergutmachung "muss wehtun"
Das Oberhaupt der deutschen Jesuiten, Stefan Kiechle, sprach in einer Reaktion von "Bestürzung und Beschämung". Er wies aber auch darauf hin, dass in dem betreffenden Zeitraum 245 Jesuiten am Aloisius-Kolleg gearbeitet hätten. Fünf davon würden nun "wegen sexualisierter Gewalt" beschuldigt. "Ist das viel, ist es wenig?", fragte Kiechle. "Jeder einzelne Fall ist schrecklich, und jeder einzelne ist zu viel."
Der Orden hat Missbrauchsopfern auch an anderen Jesuiten-Schulen 5000 Euro als "symbolisches Zeichen" angeboten. Ehemalige Schüler, die selbst missbraucht worden sind, bezeichneten diese Summe als "Peanuts". Es müsse ein Betrag sein, der dem Jesuitenorden auch weh tue, sagte der Altschüler Jürgen Repschläger.
Das Bekanntwerden sexueller Übergriffe auf Schüler an der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg hatte Mitte Januar 2010 eine Lawine in Deutschland ausgelöst. Immer mehr verjährte Missbrauchsfälle an weiteren Jesuiten-Schulen, in kirchlichen Einrichtungen und auch an anderen Schulen kamen ans Licht.
Die katholische Kirche hat sich nach jüngsten Angaben ihres Missbrauchsbeauftragten, Bischof Stephan Ackermann, inzwischen auf Summen zur Entschädigung der Opfer geeinigt. Eine konkrete Zahl wurde aber noch nicht genannt. Ackermann hatte Anfang Februar mit Blick auf den 5000-Euro-Vorschlag der Jesuiten erklärt: "Damit sind Orientierungen gegeben." Er bezog sich dabei auch auf den Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro, auf den sich der Runde Tisch Heimkinder verständigt hatte - das wären rund 2000 bis 4000 Euro pro Opfer.
Quelle: ntv.de, dpa