Interview mit Wolf Jobst Siedler "Berlin benötigt Dauerlösung"
12.06.2001, 13:22 Uhrn-tv.de: Herr Siedler, in der Öffentlichkeit wurde in der vergangenen Woche der Vorschlag laut, Berlin solle sich am Beispiel von Washington D.C. in den Vereinigten Staaten orientieren. Der Bundestag soll demnach praktisch die volle politische und finanzielle Verantwortung für Berlin übernehmen. Der Bundespräsident wäre gleichsam der Oberbürgermeister. Sind Sie auch der Meinung, dass Berlin einen Sonderstatus erhalten soll?
Siedler: Bereits 1991 habe ich gesagt, das Washington D.C.-Modell wäre das einzig angemessene - die Stadt sozusagen als Bundesunmittelbare Sonderzone. Mein Argument fand man amüsant, aber hat es nicht ernsthaft aufgegriffen. Für Berlin ist es aber die einzige Möglichkeit. Bereits das alte Berlin wurde von Preußen finanziert und dem mächtigen Deutschen Reich, dem größten Industriestaat Europas. Leider glaube ich, dass die Idee nur wenig Chancen hat. Weder die Bundesregierung noch der Berliner Senat sind bereit, sich den Vorschlag ans Bein zu binden.
n-tv.de: Was braucht die Stadt jetzt?
Siedler: Eine Dauerlösung ist nötig. Es hilft nicht, dass immer wieder ad hoc-Mittel bewilligt werden. Die Probleme werden nicht bewältigt werden, indem man Berlin 100.000 oder 2 Mrd. DM gibt. Die Stadt muss auf gesunde Füße gestellt und wieder dauerhaft lebensfähig werden.
n-tv.de: Soll die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mehr Kulturaufgaben des Landes übernehmen?
Siedler: Weder die Stiftung noch ihr Präsident, Klaus Dieter Lehmann, werden sicher gerne mehr übernehmen, denn man übernimmt nicht gerne eine Pleiteinstitution.
n-tv.de: Wie sehen Sie eine Fusion von Berlin-Brandenburg unter den gegebenen Umständen?
Siedler: Zur Verschmelzung von Berlin und Brandenburg habe ich gleich nach der Wende gesagt, es ist eine reizende, aber sinnlose Idee. Der Einäugige stützt den Blinden. Beide Länder haben ein ungeheures Defizit. Eine Fusion würde niemandem helfen.
n-tv.de: Wie muss eine Dauerlösung für Berlin Ihrer Ansicht nach aussehen?
Siedler: Es müssten alle Institutionen vom Bund übernommen werden, die nicht eine lokale Berliner Aufgabe sind - also die fast zwanzig Museen der Museumsinsel, zumindest eines der drei Opernhäuser, die Mahnmale für die Verbrechen des Dritten Reiches und eine der drei Berliner Universitäten. Alles das sind Aufgaben, die Berlin stellvertretend für den Bund übernimmt, die Stadt allein kann das niemals tragen.
n-tv.de: Können Persönlichkeiten von außen Berlin den Weg aus der Krise weisen?
Siedler: Importe von draußen können wichtig sein, wie das Beispiel von Weizsäcker zeigt. Aber ich sehe keine solche Figur, da die beiden interessantesten Vorschläge unpraktikabel sind. Mit Schäuble, der stärksten Person, würde die Spendenaffaire dauerhaft an die Hauptstadt gebunden werden. Und wenn Klaus Töpfer von der Umweltbehörde aus Nairobi nach Berlin kommen würde, kämen die alten Vorwürfe zurück, all die an den Haaren herbeigezogenen Argumente, dass er zu viele Gelder als ehemaliger Bundesbauminister bezogen hat. Natürlich hat die Weltstadt Berlin immer von Nichtberlinern Befruchtung erfahren, eher war es eine Ausnahme, dass jemand in Berlin geboren war, der in Berlin Karriere machte. Aber wie die Dinge heute stehen, muss es wohl ein Berliner sein, der die Stadt aus dem Sumpf zieht, in den sie, auch durch eigene Schuld, geraten ist. Der neue Fraktionsvorsitzende Frank Steffel scheint ein geeigneter Mann zu sein, und mit ihm würde wirklich der Generationswechsel vollzogen, nach dem jedermann ruft.
Quelle: ntv.de