Guantnamo-Haft Besser als ihr Ruf
29.10.2002, 17:34 UhrDass er einmal um die halbe Welt reisen würde, noch dazu in einem US-Militärflugzeug, hätte sich Faiz Mohammad nie träumen lassen. Ein Jahr nachdem die US-Armee den zahnlosen, von Arthritis geplagten Greis aus dem afghanischen Dorf Deh Rawud auf den Marinestützpunkt Guantnamo auf Kuba geflogen hatte, kehrte Faiz am Sonntag in sein Heimatland zurück - reingewaschen vom Verdacht, mit den radikalislamischen Taliban und der Terrororganisation El Kaida gemeinsame Sache gemacht zu haben. Faiz ist einer der ersten drei Afghanen, die die USA aus dem Gefangenenlager Guantnamo in ihre Heimat zurückschickten. Der alte Mann ist froh, wieder in vertrauter Umgebung zu sein, und er ist tief verwirrt.
"Ich habe doch nichts Böses getan", erzählt Faiz nach seiner Ankunft in Afghanistan. Steif und fest behauptet er, bereits 105 Jahre alt zu sein. Seine Festnahme sei aus heiterem Himmel gekommen: "Ich war krank und wollte in die Stadt gehen, um mich untersuchen zu lassen. Plötzlich sind Helikopter gelandet. Die Amerikaner haben jeden festgenommen. Sie haben mich verhört. Ich habe nur die Wahrheit gesagt. Dann haben sie mir die Augen verbunden."
An Bord eines Militärflugzeugs ließ Fais die kargen Gebirgszüge seiner Heimat zurück und fand sich plötzlich im tropischen Kuba wieder, mit mehreren hundert anderen Terrorismus-Verdächtigen. Bei allem Ungemach kann Faiz seiner Haftzeit auch gute Seiten abgewinnen: Die Amerikaner hätten ihn gut behandelt, "es gab genug zu essen, genug Kleidung und alle sechs Tage eine Dusche."
Nach den Anschlägen vom 11. September und dem Sturz der Taliban-Herrschaft im vergangenen Jahr hatten die USA begonnen, mutmaßliche islamische Extremisten auf ihrem Militärstützpunkt an der kubanischen Küste zu internieren. Rund 625 Verdächtige sind derzeit in dem Lager. Die meisten kommen wie Faiz Mohammad von weit her, aus Afghanistan, Pakistan, aus den arabischen Staaten - insgesamt aus 40 Ländern. Am Wochenende hatten die USA erstmals vier Gefangene zurückgeschicht, drei Afghanen und einen Pakistaner. Zunächst standen sie noch auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram unter Arrest, am Mittwoch dürfen sie endlich zu ihren Familien nach Hause. "Wir schicken diejenigen Leute heim, die kein Sicherheitsrisiko darstellen und die keine Verbindung zum Terrorprojekt der El Kaida haben", sagt der US-Sondergesandte in Afghanistan, Zalmay Khalilzad.
Der ebenfalls zurückgekehrte Afghane Jon Mohammad sehnt sich danach, nach all den Monaten in Guantnamo endlich wieder seine Frau und seine drei Kinder sehen zu können. Er erzählt eine ähnliche Geschichte wie Fais: Auch er wurde von amerikanischen Soldaten festgenommen, dann wurden ihm "mit irgend etwas die Augen verbunden", und unvermittelt fand er sich in Guantnamo wieder. Jon gibt zu, auf der Seite der Taliban gekämpft zu haben. "Aber ich war nie ein richtiger Taliban", behauptet der 34-Jährige. "Die Taliban haben mich gezwungen, bei ihnen mitzumachen. Jedes Dorf musste einige Kämpfer stellen."
Der stämmige Mann mit dem fülligen Vollbart stellt seinen Bewachern in Guantnamo alles in allem ein gutes Zeugnis aus: "Ihr Verhalten war gut. Manche Amerikaner sind sogar freundlicher als Afghanen. In den letzten zwei Wochen haben wir sogar Fußball miteinander gespielt, und sie waren traurig, als wir abgereist sind."
Der dritte freigelassene Afghane gibt sich schweigsamer. Er sei 90 Jahre alt, erzählt Mohammad Sidik. Sonst sagt er nicht viel. Müde sitzt er auf seinem Bett, sein Kopf kippt immer wieder nach vorne. Auf dem Bett liegt ein blauer Marinesack, den er wie die beiden anderen von den Amerikanern bekommen hat. Darin findet sich das Nötigste für den Neubeginn in Afghanistan: Kleidung, Hygieneartikel und ein Koran.
(Von Sbastien Blanc, AFP)
Quelle: ntv.de