Politik

Beispielloser Terror in Israel "Bitte überprüfen Sie Ihre Meinung über den Nahostkonflikt"

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Am Dizengoff-Platz in Tel Aviv symbolisieren Teddys die entführten Kinder.

Am Dizengoff-Platz in Tel Aviv symbolisieren Teddys die entführten Kinder.

(Foto: REUTERS)

Als linksliberaler, homosexueller Friedensaktivist bitte ich Sie, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Was in Israel geschah, ist nicht nur eine weitere Episode des Nahostkonflikts. Meine Tante und mein Onkel wurden lebendig verbrannt, aber in den Videos der Hamas sieht man noch Schlimmeres. Ich bitte Sie alle, Ihre Meinung zu überprüfen.

Ich höre bereits europäische Stimmen, die Zweifel anmelden: "Wie kann das wahr sein? Ihr müsst übertreiben." Die Welt ist in einem Zeitalter, in der sich jeder aussucht, was er glauben will, und dazu neigt, nur das zu glauben, was ihm nützt. Als linksliberaler, homosexueller Friedensaktivist bitte ich Sie, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Unsere Nachbarn haben gerade gefesselte Babys bei lebendigem Leib verbrannt und Frauen zu Tode vergewaltigt und feierten dies öffentlich - kein Terroranschlag ist je so weit gegangen und es zeigt leider, warum wir all diese Jahre kämpfen. Sie können es mit eigenen Augen sehen, gefilmt von den Go-Pro-Kameras der Hamas oder im Livestream, als die Terroristen sich in die Social-Media-Konten der Opfer einloggten, um die Hinrichtungen an deren Angehörige zu übermitteln. Vielleicht haben Sie die Stimme des begeisterten Terroristen gehört, der seinen Vater anrief, um zu feiern, und dessen stolze, glückliche Eltern sagten: "Kill, kill, kill! Tötet sie!".

Ich habe die Hölle in dem medizinischen Zentrum gesehen, wo über 1500 Leichen identifiziert werden. Alle wurden innerhalb weniger Stunden abgeschlachtet. Ich weiß, dass selbst das Lesen der Beschreibungen unerträglich sein kann, aber ich bitte Sie, wenn Sie können, sich wenigstens ein Bild anzusehen, um das Ausmaß zu verstehen. Ich hinterlasse hier einen Link für Sie.

Ein pro-palästinensischer, liberaler Kibbuz, keine Siedlung

Meine Familie stammt aus Be'eri, dem kleinen Kibbuz, in dem der Angriff am 7. Oktober ebenfalls stattfand. Be'eri ist ein linker, pro-palästinensischer, liberaler, sozialistischer Kibbuz, wie die meisten der Gemeinden, die an diesem Tag ausgelöscht wurden. Es ist keine Siedlung, sondern liegt auf der israelischen Seite der Grenze. Als das Massaker begann, versteckte sich meine gutherzige Tante in ihrem Zimmer. Sie war ihr ganzes Leben lang eine Friedensaktivistin. Sie schrieb uns eine SMS: "Bitte betet für uns. Wir bleiben still in der Dunkelheit. Wir hören Schüsse um uns herum. So seltsam." Nach ein paar Minuten: "Es ist so beängstigend", "Explosionen und Schüsse um uns herum. Nah, sehr nah", "Wir hören Schreie, ich glaube, sie sind im Nachbarhaus. Wir versuchen, in der Dunkelheit auf den Matratzen im Schutzraum ruhig zu bleiben". "Hilfe, jemand ist im Haus", schrieb sie, "es sind viele", "ich habe Angst", "Hilfe". Das war das Ende.

Die dreijährige Yuli gehört zu den 14 deutschen Staatsbürgern, die aktuell von der Hamas entführt sind.

Die dreijährige Yuli gehört zu den 14 deutschen Staatsbürgern, die aktuell von der Hamas entführt sind.

(Foto: Familie)

Wir brachen unter der Hilflosigkeit zusammen. 16 Stunden lang kamen weder das Militär noch die Polizei zu meiner Familie. In jedem Haus, in das die Terroristen eindrangen, töteten sie mindestens ein Familienmitglied, um die anderen zu schocken und zur Kooperation zu bewegen. In einigen Häusern töteten sie alle Kinder. Dann brachten sie die anderen nach Gaza. Dreijährige, die sahen, wie ihre Eltern ermordet wurden, wurden allein nach Gaza gebracht. Meine Tante und mein Onkel wurden bei lebendigem Leib verbrannt, aber auf den Aufnahmen der Hamas sieht man noch Schlimmeres.

Im Nachbarhaus wurde eine sechsköpfige deutsche Familie, darunter die dreijährige "Yuli" genannte Yahel und der achtjährige Nave, entführt. Die Männer der Familie wurden abgeschlachtet, nur die Kinder und Frauen wurden lebend gefangen genommen. Wenige Minuten entfernt wurde mein Journalistenfreund zusammen mit seiner Frau getötet, während ihr vierjähriges Mädchen entführt wurde, das Blut ihrer Mutter bedeckte ihre gesamte Kleidung.

Diese Wunde wird niemals heilen

Wenn ich an die Dutzenden Kinder denke, die entführt sind, habe ich keinen Platz mehr in meinem Herzen, um über meinen eigenen persönlichen Verlust zu trauern. Die Tatsache, dass wir nicht in der Lage sind, die Babys und Kinder sofort nach Hause zu bringen, ist in meinen Augen ein völliger moralischer Bankrott. Ich glaube, dass wir uns nie davon erholen werden, die Gesichter der Kinder werden uns noch jahrzehntelang verfolgen und uns verändern, und zwar nicht auf eine gute Art.

Dazu passt, dass wir seit dem Massaker das Gefühl haben, dass es kein funktionierendes Land gibt, kein Land hinter der Flagge, vielleicht ein Heimatland. Nur Zivilisten, die allein kämpfen, um ihre Kinder zu retten, ein Volk.

Israel hatte in den vergangenen neun Monaten die populistischste, dysfunktionalste, unverantwortlichste Regierung unserer Geschichte. Wie in anderen Ländern auch gibt es Kämpfe zwischen Liberalen und Populisten. Religiöse, rechtsextreme Politiker versuchen, unsere Demokratie zu schwächen. Ich befürchte, dass dieses Desaster unserer Freiheit noch mehr schaden wird.

Wie leicht die Dinge zusammenbrechen. Die Hamas spürt diese Schwäche, und ihre erste Priorität und Taktik ist es, die israelische Gesellschaft zu brechen. Wir versuchen jetzt, uns neu zu erfinden und uns zu retten.

Die Realität ist komplizierter als ein Slogan

Ich höre junge liberale, westliche Aktivisten, die "Free Palestine, from the river to the sea" rufen, ohne zu wissen, dass dieser Slogan für die vollständige Auslöschung der Existenz Israels steht. Wissen sie aber, dass sie auch Menschen unterstützen, die Frauen wegen Ehebruchs, Homosexuelle, Säkulare und Minderheiten hinrichten und foltern? Meine progressiven Mitstreiter unterstützen oft solche Regimes und ich frage mich, ob sie das aus Unwissenheit tun oder aus einer verdrehten rassistischen Ideologie heraus, die glaubt, dass einige Nationen dazu verdammt sind, so zu leben. Ich bitte sie nur, zu erkennen, dass die Realität komplizierter ist als ein Slogan.

Ron Leshem

Ron Leshem

(Foto: Rachel Tine)

Ich weiß, dass Sie vielleicht auch zu mir sagen wollen: "Hör zu, ihr seid seit Jahrzehnten Besatzer und Unterdrücker. Deshalb gab es einen tragischen Terroranschlag, aber ein Terroranschlag ist kein Grund, in einen Krieg zu ziehen und die Armee gegen Zivilisten einzusetzen". Vielleicht möchten Sie darauf hinweisen, dass die Bilder israelischer Kinder mich verfolgen, dass ich aber die jahrelang getöteten palästinensischen Kinder nicht erwähne.

Sie sollen wissen, dass ich über jedes palästinensische Zivilopfer in Gaza weine. Mein Herz ist bei meinen geliebten palästinensischen Freunden, ich unterstütze die palästinensische Unabhängigkeit, aber sie kann nicht kommen, solange Hamas, Dschihad, Iran und ISIS die Kontrolle haben. Im Moment sind meine 80-jährigen Eltern in Tel Aviv ständigem Raketenbeschuss aus Gaza ausgesetzt, und auch sie unterstützen die palästinensische Unabhängigkeit.

Und Sie sollen auch dies wissen: Israel hat sich vor 18 Jahren aus dem Gazastreifen zurückgezogen und die dortigen Siedlungen aufgelöst. Die Hamas hat die Macht übernommen und eine religiös-fundamentalistische Diktatur errichtet. Die vielen Milliarden Dollar, die aus Gaza ein neues Singapur machen sollten, wurden allesamt in den Aufbau einer Dschihad-Kriegsmaschinerie und eines endlosen Arsenals von Raketen investiert, die seit Jahren auf israelische Städte abgefeuert werden. Von Krankenhäusern und Schulen aus abgefeuert werden, um Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen.

Über Ron Leshem

Ron Leshem ist Autor, schreibt Hit-Serien wie "Euphoria" und Bestseller wie den später auch verfilmten Soldatenroman "Beaufort". "Mir geht es beim Schreiben darum, Empathie zu schüren, denn ohne verlieren wir die Demokratie", sagte Leshem auch mit Blick auf seine Heimat Israel in einem ntv-Interview. Er wurde 1976 in Tel Aviv geboren und lebt aktuell in Boston.

Die Hamas behauptet, sie habe 500 Kilometer an unterirdischen, bombensicheren Tunneln gebaut, aber Zivilisten dürfen sich dort nicht schützen. Es gibt eine Grenze zu Ägypten, doch die europäische Linke würde Ihnen sagen, dass Gaza ein Freiluftgefängnis ist, weil Israel iranische Schiffe daran hindert, unaufhörlich Waffenlieferungen hinzubringen. Menschen aus Gaza dürfen die Grenze überqueren, um in Israel zu arbeiten.

Die Friedensgespräche sind immer daran gescheitert, dass die palästinensische Seite gegen jede Art von Waffenkontrolle war. So wie der Iran, der Atomwaffen besitzt. Wenn man einem Dschihadistenregime, das Frauen und Schwule hinrichtet, die Freiheit gibt, Menschen zu töten, ist man der Nächste. Wenn man ihnen in ihrer eigenen Sprache zuhört, sagen sie ausdrücklich, dass sie Juden abschlachten werden, bis der Islam das ganze Land kontrolliert. Christen und Homosexuelle werden die Nächsten sein. Die Hamas ist nicht an einer echten Befreiung beteiligt.

Ich bitte Sie, zu erkennen, dass die Realität komplizierter ist als ein Slogan. Das jüngste Massaker kann Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, warum die Israelis all die Jahre wachsam und verängstigt waren.

Es wird nicht bei Israel aufhören

Wenn wir zulassen, dass Meinungsäußerungen oberflächlich, kindisch, schwarz-weiß sind, wenn wir unsere Meinungen nur auf der Grundlage der sozialen Medien bilden, wenn uns das Grundwissen fehlt und wir Lügen glauben, werden Demokratien niemals überleben. In einer anspruchsvollen, komplexen Realität werden uns Populisten und Ignoranten in einen viel größeren, globalen Krieg hineinziehen.

Wenn wir einen eskalierenden Krieg verhindern wollen, muss die Welt maximalen Druck auf die Hamas ausüben, damit sie die Geiseln sofort und bedingungslos freilässt. Deutschland, das selbst 14 Staatsangehörige unter den Geiseln hat, muss seine ganze Kraft einsetzen, um sie innerhalb von Stunden nach Hause zu bringen.

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Zurechnungsfähige, vernünftige Kräfte in der arabischen Welt müssen sich für die Befreiung des palästinensischen Volkes von der Tyrannei einer fundamentalistischen, ISIS-ähnlichen Diktatur in Gaza einsetzen. Die Israelis, die in diesem Monat einen brutalen Völkermord erlebt und jegliches Gefühl der Sicherheit verloren haben, müssen wissen, dass die Welt Verständnis und Einfühlungsvermögen zeigt und bereit ist, ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Die Welt darf angesichts einer solchen Grausamkeit nicht schweigen. Es ist der einzige Weg, der zu palästinensischer Unabhängigkeit, Wohlstand, Sicherheit und einem Leben nebeneinander führt.

Quelle: ntv.de

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