Trauer in Erfurt Brief der Steinhäusers
02.05.2002, 08:52 UhrMehrere Thüringer Zeitungen sind auch heute mit Trauerflor auf der Titelseite erschienen und haben große Traueranzeigen veröffentlicht. "Der Thüringer Landtag trauert mit den Bürgerinnen und Bürgern des Freistaates Thüringen um die Opfer des schrecklichen Verbrechens", heißt es in einer halbseitigen Anzeige, die Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht und die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD und PDS unterschrieben haben.
"Nichts wird jemals so sein, wie es einmal war", schreiben die Lehrer und Schüler des Gutenberg-Gymnasiums sowie deren Eltern in einer ebenfalls halbseitigen Anzeige. "Unsere bitteren Tränen fließen scheinbar unaufhaltsam zu Ehren der sinnlosen Opfer der grausamen Tat."
Offener Brief der Steinhäusers
Die Familie des Todesschützen hat in einem offenen Brief ihre Trauer, Verzweiflung und Hilflosigkeit über die Bluttat im Gutenberg-Gymnasium ausgedrückt. "Uns tut es unendlich Leid, dass unser Sohn und Bruder so ein entsetzliches Leid über die Opfer und ihre Angehörigen, die Menschen in Erfurt und Thüringen, über ganz Deutschland gebracht hat", heißt es in dem in der "Thüringer Allgemeinen" und der "Thüringischen Landeszeitung" veröffentlichten Schreiben.
"Seit dieser schrecklichen Tat fragen wir uns immer und immer wieder, woher der Hass und die Verzweiflung von Robert kamen und warum wir nichts davon vorher erfahren haben", schreibt die Familie Steinhäuser weiter. "Wir waren bis zu dieser brutalen Wahnsinnstat eine ganz normale Familie und haben Robert anders gekannt."
Abitur-Sonderregelung
Nach der Bluttat hat Thüringens Kultusminister Michael Krapp (CDU) Sonderregelungen für den Abiturienten-Jahrgang des betroffenen Gutenberg-Gymnasiums in Aussicht gestellt. "Es muss in diesem Fall individuell festgelegt werden, wie die Schüler zu einem vollwertigen Abschluss kommen", sagte er im ZDF.
Gleichzeitig wies Krapp Kritik am Thüringer Schulsystem zurück, nach dem Jugendliche ohne Abschluss die Schule verlassen müssen, wenn sie nicht zum Abitur zugelassen werden. Die Rekonstruktion der Schullaufbahn des 19-jährigen Todesschützen Robert Steinhäuser zeige vor allem die individuellen schulischen Schwierigkeiten des Attentäters auf.
Die Mehrheit der Deutschen lehnt einer Umfrage des Instituts Forsa zufolge die Einführung von Sicherheitskontrollen an Schulen ab. 65 Prozent der tausend Befragten sprachen sich trotz der Bluttat gegen solche Maßnahmen aus.
Trauermarsch am 1. Mai
Rund 2.500 Menschen hatten in Erfurt mit einem Trauermarsch der Opfer der beispiellosen Bluttat vom vergangenen Freitag gedacht. "Wir teilen gemeinsam Trauer, Schmerz, Sprachlosigkeit und Ohnmacht", sagte die ver.di-Landeschefin Claudia Rühlemann während der Kundgebung zum 1. Mai. Aus Respekt vor den Toten und Angehörigen sei zurzeit politischer Streit unangebracht. "Mich befremdet der Aktionismus derer, die so schnell schon wieder schnelle Antworten parat haben, um sie in Gesetze zu gießen. "
Landesweit beteiligten sich in Thüringen knapp 6.000 Menschen an Kundgebungen, bei denen die Gewerkschaften auf ein Rahmenprogramm mit Musik und Attraktionen für Kinder verzichteten. Parteipolitiker waren tags zuvor von den Rednerlisten gestrichen worden.
Trauerfeier mit Rau und Schröder
Bei einer zentralen Trauerfeier am Freitag auf dem Domplatz wollen neben anderen Spitzenpolitikern Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) sowie Bundespräsident Johannes Rau der Opfer gedenken. Im Anschluss ist ein ökumenischer Gottesdienst vorgesehen. (n-tv und n-tv.de übertragen die Trauerfeier am Freitag, 3.Mai, ab 11 Uhr live.)
Robert Steinhäuser hatte am Freitag vergangener Woche 16 Menschen und sich selbst erschossen. Inzwischen haben die Gerichtsmediziner die Obduktion der Opfer abgeschlossen. Nach dem vorläufigen Obduktionsergebnis starben die Getöteten durch Kopf-, Bauch- und Rückenschüsse aus der Pistole Steinhäusers.
Quelle: ntv.de