"Schwer wie ein Drogenentzug" Bundespräsident enttäuscht
20.03.2010, 08:03 UhrLange Zeit schwieg er. Nun endlich äußert sich der Bundespräsident - und geht mit der Regierung hart ins Gericht. Die ersten Monate seien "enttäuschend gewesen". Zugleich warnt Köhler vor schuldengetriebenem Konsum und schließt auch Steuererhöhungen nicht aus.
Bundespräsident Horst Köhler ist von der bisherigen Regierungsarbeit der schwarz-gelben Koalition enttäuscht. "Bei der Ernennung der Bundesregierung im Oktober habe ich ein paar Sätze gesagt, mit Bedacht: Ihr habt eine ordentliche Mehrheit. Das Volk erwartet jetzt tatkräftiges Regieren", sagte Köhler dem "Focus". "Daran gemessen waren die ersten Monate enttäuschend." Das Gute sei, dass sich die Beteiligten darüber selbst klar seien. Inzwischen trete in der Koalition Realismus ein.
"Es geht um einen neuen Aufbruch zu Reformpolitik", sagte Köhler dem Magazin. "Wir brauchen Langfristigkeit in der politischen Gestaltung und müssen Abstand nehmen von kurzlebigen Programmen." Eindringlich rief Köhler zu einem Abbau der Staatsschulden auf. "Wir müssen weg von schuldengetriebenem Konsum. Davon wieder runter zu kommen, ist schwer wie ein Drogenentzug, aber unumgänglich für nachhaltiges Wachstum, das allen Menschen dient", sagte Köhler.
Köhler: Kein Spielraum für Steuersenkungen
Im Koalitionsstreit über Steuersenkungen warnte Köhler vor allzu großen Entlastungen: "Ich sehe derzeit keinen Spielraum für massive Steuersenkungen. Das wäre ein Vabanque-Spiel." In einem Gesamtkonzept sei die steuerliche Begünstigung von Forschung und Innovation in den Unternehmen sinnvoll, aber auch die Mittelschicht müsse entlastet werden. "Die wird ja immer wieder vergessen in der Diskussion", sagte Köhler. "Diejenigen, die sich an die Regeln halten und Steuern zahlen, die müssen sich doch manchmal richtig verladen vorkommen. Ein junges Ehepaar mit zwei Kindern, das kommt gerade mal so hin. Für die Mittelschicht muss etwas geschehen."

Angela Merkel und Guido Westerwelle hatten sich für Köhler als Bundespräsident eingesetzt.
(Foto: dpa)
Köhler sprach sich in dem "Focus"-Interview für eine internationale Abgabe auf Finanztransaktionen aus. "Die Finanzindustrie muss sichtbar an der Bewältigung der Kosten der Krise beteiligt werden", sagte er. "Wir brauchen auch Geld, um neue, dynamische Kräfte zu wecken. Deshalb kann ich nicht ausschließen - und ich sage das ganz bewusst -, dass auch Steuererhöhungen nötig sein können." Deutschland müsse mehr Geld für Bildung ausgeben.
"Fast ein Drittel unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung wenden wir auf für staatliche Sozialleistungen, aber nur gut sechs Prozent für Bildung", kritisierte Köhler. "Angesichts dieser Relation müssen wir uns eigentlich vor unseren Kindern schämen. Dazu toben in der Bildungspolitik parteipolitisch gefärbte Kämpfe um Schulstrukturen, die keinem Lehrer und keinem Kind helfen."
Köhler lässt warten
Zuletzt war in der Opposition Kritik an Köhler laut geworden, da er bislang zu den zentralen politischen Konfliktthemen geschwiegen hatte. Der Parlamentarische Gchäftsführer der SPD, Thomas Oppermann hatte Köhler aufgefordert, als "moralische Instanz" mehr für Klarheit in den Streitfragen der Politik zu sorgen. In den vergangenen Wochen gab es wiederholt Stimmen aus dem Bundestag, die nach mehr Orientierung von Seiten des Staatsoberhaupts verlangten. Auch in den Parteien und Fraktionen ist Köhlers Zurückhaltung inzwischen Gesprächsthema.
Seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Juli 2009 hatte Köhler keine großen Reden mehr gehalten. Verschiedene Personalwechsel auf wichtigen Abteilungsposten im Bundespräsidialamt wurden zusätzlich als "Krise im Präsidialamt" gedeutet. Köhler habe noch kein richtiges Konzept für seine zweite Amtszeit gefunden, wurde spekuliert.
Gelegenheit zu einem direkten Gespräch mit dem Bundeskabinett wird der Bundespräsident am 23. März haben. Für diesen Tag hat er die Mitglieder der Regierung zu einem Abendessen ins Schloss Bellevue eingeladen.
Quelle: ntv.de, rts/dpa