"Regionaler Krieg" Bundeswehr will Klarheit
15.12.2009, 14:20 UhrDer Bundeswehrverband hat den Bundestag aufgefordert, schnellstmöglich Klarheit über den Einsatz in Afghanistan zu schaffen. In Kundus gebe es einen "regionalen Krieg und deswegen muss das auch so bezeichnet werden", sagte der Vorsitzende des Verbandes, Ulrich Kirsch, bei n-tv. Die Soldaten erwarteten, "dass der Deutsche Bundestag das zur Kenntnis nimmt und dementsprechend auch feststellt, dass hier nun das Völkerstrafrecht gilt und nicht nationales Recht."
Zugleich forderte er eine schnelle Prüfung im Untersuchungsausschuss des Bundestags, der sich ab Mittwoch konstituiert und voraussichtlich erst im Januar seine Arbeit beginnt. Da es keinen Stillstand in Afghanistan gebe, sei es "unheimlich dringend", dass der Ausschuss jetzt seine Arbeit aufnehme. "Das Parlament muss sich jetzt damit befassen und nicht irgendwann. Und die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ist hier ganz besonders gefordert, auch ein deutliches Signal nochmal in Richtung der Soldatinnen und Soldaten zu senden."
Merkel vor Untersuchungsausschuss
Der Grünen-Obmann im Verteidigungsausschuss, Omid Nouripour, kündigte indes an, dass Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als erster Zeuge noch im Januar vor dem Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre aussagen solle. Darüber seien sich SPD und Grüne einig. "Relativ bald danach" solle auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geladen werden. Es spreche einiges dafür, dass dieser Termin noch vor der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London liege, sagte Nouripour.

Merkel soll nach dem Willen der Opposition die "Karten auf den Tisch legen".
(Foto: picture alliance / dpa)
Nach Angaben des verteidigungspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, liegen aus der Opposition bereits mehr als hundert Anträge für den Ausschuss vor. Arnold plädierte dafür, dass der Ausschuss generell öffentlich tagen sollte. Gut 50 Anträge beziehen sich demnach darauf, welche Zeugen geladen werden sollen. Neben der Vernehmung von Soldaten beantragt die SPD auch die Zeugenvernehmung des früheren Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU), des bereits entlassenen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und von Oberst Georg Klein, der den Luftangriff vom 4. September angeordnet hatte.
Die Union sieht dagegen keinen Anlass für eine Stellungnahme Merkels. Die Kanzlerin habe sich bereits im September im Bundestag zu dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff im Norden Afghanistan positioniert, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier. Davon habe sie nichts zurückzunehmen. Man müsse nun "den Dingen ihren Gang lassen". Auch CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich hält eine Stellungnahme Merkels für unnötig: "Ich wüsste nicht, was die Bundeskanzlerin sagen sollte."
Aktuelle Stunde im Bundestag
Altmaier verwies darauf, dass die Unionsfraktion für Mittwoch eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu dem umstrittenen Luftangriff angesetzt habe. "Das ist ein Zeichen dafür, dass wir mit Offenheit an die Dinge herangehen." In der Aktuellen Stunde wird nach CSU-Angaben auch Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu den Abgeordneten sprechen. Altmaier fügte hinzu, die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag stehe "geschlossen" hinter Guttenberg.
Guttenberg: Kein Strategiewechsel

Guttenberg lehnt einen Rücktritt ab.
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Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kritisierte indes in der ARD diejenigen, "die jetzt laut schreien, wie es sein kann, dass Taliban überhaupt Ziel" sein können. "Sie sollten sich daran erinnern, dass sie damals auch informiert wurden, dass das Teil dessen ist, was die Soldaten da unten jetzt machen können. Die Bundeswehr hat entgegen manchem politisch kommuniziertem Bild - insbesondere aus Teilen der Opposition dieser Tage - bereits vor dem 4. September mehr Möglichkeiten des Vorgehens gehabt, als es manche darstellen."
Dies sei kein Strategiewechsel, sagte der Verteidigungsminister. "Ich würde es notwendige Anpassung an Realitäten nennen. Es gibt die Möglichkeit, aktiv offensiv gegen Taliban beispielsweise vorzugehen; in engen klaren Kriterien, die auch die Verhältnismäßigkeit mit beinhalten müssen."
Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour forderte im Bayerischen Rundfunk den Minister auf, seinen "Sinneswandel" zu erklären. "Wir werfen ihm vor, dass er zu dem Einsatz gesagt hat "angemessen und zwangsläufig" - zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm Berichte vorlagen, die substanziell nicht anders waren als die, die er jetzt hat, wo er sagt: doch nicht angemessen. Das ist schon sehr merkwürdig."
Streit um Mandat

In Kundus starben auch zahlreiche Zivilisten.
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Nouripour sieht gezielte Tötungen nicht vom Bundestags-Mandat für den Afghanistan-Einsatz gedeckt. Die Abgeordneten hätten die Bundeswehr mit einem robusten Mandat ausgestattet, damit sie "sich selbst und natürlich die Zivilbevölkerung" schützen könne. "Das ist ja genau das, was schiefgegangen ist an diesem Abend am 4. September. Gezielte Tötungen sind im Völkerrecht milde gesagt umstritten, aus meiner Sicht sogar eindeutig illegal."
Dagegen hat der frühere Bundeswehr-Kommandeur in Kundus, Oberst Georg Klein, der den Angriff anforderte, aus Sicht des Augsburger Völkerrechtlers Hans-Peter Folz legitim gehandelt. "Es ist in einem nicht zwischenstaatlichen Konflikt absolut zulässig, nicht nur Selbstverteidigung zu üben, sondern auch den Gegner aktiv zu bekämpfen", sagte Folz der "Stuttgarter Zeitung". "Der Befehl zum Bombenangriff war für sich genommen nicht rechtswidrig." Der Beschuss der Tanklastzüge sei vom Mandat des Bundestages gedeckt.
Deutlich mehr Taliban-Angriffe
Laut "Bild"-Zeitung wurden in diesem Jahr bis Mitte Dezember bereits 69 eindeutigen Angriffe beziehungsweise Anschläge von Taliban-Kämpfern auf das Bundeswehrlager in Kundus gezählt, mehr als doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Damals seien es 31 Angriffe gewesen, im Jahr 2007 lediglich neun, heißt es unter Berufung auf interne Berichte der Bundeswehr.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa