"Harte Zeiten liegen vor uns" Cameron zückt den Rotstift
06.10.2010, 19:09 Uhr
Sparen, Kürzen, Hoffnungen enttäuschen: David Cameron.
(Foto: dpa)
In diesem Jahr muss Großbritannien weitere 150 Milliarden Pfund Schulden aufnehmen. Für Visionen bleibt da kein Spielraum. Die Konservativen müssen sparen - und wissen kaum noch, bei wem.
David Cameron bot alles auf: Sogar sein sechs Wochen altes Töchterchen Florence und Ehefrau Samantha mussten herhalten, damit die Fotografen wenigstens ein paar hübsche Fotos vom Parteitag seiner Konservativen schießen konnten - dem ersten, den die Tories nach 13 Jahren Labour wieder als Regierungspartei erleben.
Der Rest der Konferenz der Regierungspartei in Birmingham war eher trist: Sparen, Kürzen, Hoffnungen enttäuschen. Zum Ende hin musste sich Premierminister Cameron sogar bei seinen Wählern entschuldigen, weil er ihnen vor der Wahl im Mai das volle Ausmaß der Kürzungspläne verschwiegen hatte.
Mit seiner einstündigen Grundsatzrede setzte der glänzende Redner noch einmal gekonnt einen Schlussakkord - die Delegierten applaudierten stehend. Doch inhaltlich konnte er ihnen nicht viel weiterhelfen. Anlass für die miese Stimmung zuvor war eine Äußerung von Camerons Schatzkanzler George Osborne. In einem Interview hatte er am Montag gesagt, dass wohlhabendere Familien künftig kein Kindergeld mehr bekommen sollen. Einsparvolumen: eine Milliarde Pfund (1,15 Milliarden Euro).
Die Pläne der Regierung sehen vor, das Kindergeld ab 2013 zu streichen, wenn mindestens ein Verdiener im Haushalt mehr als 43.000 Pfund verdient. In der Praxis heißt das, dass eine allein erziehende Mutter mit 44.000 Pfund Bruttoeinkommen keine Unterstützung mehr erhält, ein Ehepaar mit zusammen 85.000 Pfund aber sehr wohl. "Ist das gerecht?", muss sich Cameron nicht nur von der Opposition fragen lassen.

David Cameron und seine Frau Samantha standen nach der Rede gemeinsam auf der Bühne.
(Foto: REUTERS)
Der Chef der traditionell als familienfreundlich geltenden Tories aber weicht aus und sagt, auch die Besserverdienenden müssten beim Sparkurs mitziehen. In seiner Rede versucht er die Sparmaßnahmen in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Von "Fairness" ist da viel die Rede und von der britischen Nation, die zusammenrücken müsse.
Doch die in solchen Fällen nicht ganz unbekannte Entschuldigung, das neue Kabinett habe nicht wissen können, was die unverantwortlich agierende Vorgängerregierung hinterlassen habe, wirkt wiederum nicht besonders fantasievoll. Schon am Tag nach der Kindergeld-Ankündigung Osbornes ruderte Cameron zurück und ließ verkünden, die Regierung plane einen Freibetrag für Ehepaare. Beobachter fragen sich, ob das Hin und Her ungeschickt ist oder gezielte Salamitaktik.
Das Gerangel ums Kindergeld steht nur stellvertretend für zahllose andere Beispiele. Die Zukunft der atomaren Abschreckung, die Finanzierung der Universitäten, die Ausstattung der Polizei: All die kontroversen Diskussionen zeigen, wie es um die britischen Staatsfinanzen bestellt ist. Nämlich bitter. Das ganze Ausmaß soll am 20. Oktober bekanntgegeben werden. "Es liegen harte Zeiten vor uns", sagt Cameron. Die Haushaltslage könne man nur als "katastrophal" bezeichnen, gibt er freimütig zu.
Eines ist aber schon jetzt klar: Die staatliche Hilfe, um die kollabierenden Banken aus dem Sumpf zu ziehen, hat das Defizit explosionsartig wachsen lassen. In diesem Jahr muss Großbritannien weitere 150 Milliarden Pfund Schulden aufnehmen - trotz des Sparhaushalts. Das sind mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP); der EU-Stabilitätspakt erlaubt drei Prozent. Der gesamte Schuldenberg wird sich in den nächsten Jahren bis auf 70 Prozent des BIP erhöhen - auch hier wird die EU-Grenze von 60 Prozent gesprengt.
Während Außenminister William Hague auf dem Parteitag in Birmingham weiter in Gedanken an gute, alte Kolonialmachtzeiten schwelgt und davon redet, "unseren Einfluss in der Welt" erhalten zu müssen, gehen den britischen Innenpolitikern allmählich die Ideen aus, wem sie noch etwas wegnehmen sollen, um Haushaltslöcher zu stopfen. So sollen beispielsweise die Häftlinge in den Gefängnissen mehr tun und künftig die Kosten für Opfer-Entschädigungen zum Teil selbst hereinarbeiten. Solche Vorschläge kommen zumindest in Teilen der Öffentlichkeit gut an - fast so gut wie die Bilder von der kleinen Florence Cameron.
Quelle: ntv.de, Michael Donhauser, dpa