Politik

Ukraine will zwangsernähren Charité-Arzt reist zu Timoschenko

Der Fall Timoschenko wird zunehmend zur Belastung für die Regierung in Kiew.

Der Fall Timoschenko wird zunehmend zur Belastung für die Regierung in Kiew.

(Foto: dapd)

Der Zustand der ukrainischen Oppositionsführerin Timoschenko verschlechtert sich. Die Behörden machen klar, dass sie die Ex-Regierungschefin auch unter Zwang am Leben erhalten wollen. Derweil bekommt die sich im Hungerstreik befindliche 51-Jährige Hilfe aus Deutschland. Ein Arzt der Berliner Charité reist nach Charkow, um sie zu pflegen.

Die inhaftierte Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko soll ab der kommenden Woche von einem deutschen Arzt in der Ukraine behandelt werden. Timoschenko habe ihre vorläufige Zustimmung erteilt, dafür in ein Krankenhaus in Charkow verlegt zu werden, teilte der Chef der Berliner Klinik, Karl Max Einhäupl, mit. Ein Mediziner von der Charité werde dann umgehend mit ihrer Behandlung beginnen, wobei er von ukrainischen Ärzten unterstützt werde, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der deutschen und ukrainischen Ärzte, die Timoschenko zuvor zusammen untersucht hatten.

Einhäupl war zum dritten Mal in die Ukraine gereist, um die Politikerin zu besuchen. Die 51-Jährige leidet nach Angaben der deutschen Ärzte an einem Bandscheibenvorfall, aus dem sich chronische Schmerzen entwickelt haben. Einhäupl wird auch von deutschen Diplomaten begleitet. Die Bundesregierung hat mehrfach angeboten, Timoschenko in Deutschland behandeln zu lassen. Das Angebot einer Behandlung in Deutschland stehe, sagte ein Sprecher des Außenamtes in Berlin.

Karl Max Einhäupl, Vorstandschef der Charité soll offenbar Timoschenko nach Berlin holen.

Karl Max Einhäupl, Vorstandschef der Charité soll offenbar Timoschenko nach Berlin holen.

(Foto: dpa)

Die Justizbehörden der Ukraine wollen Timoschenko derweil möglicherweise zwangsernähren. "Wir werden sie auf jeden Fall nicht sterben lassen", sagte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Gefängnisses von Charkow, in dem die Oppositionsführerin inhaftiert ist, der ukrainischen Zeitung "Segodnja".

Auf ihrer Internetseite zitierte die Zeitung auch Timoschenkos Verteidiger Sergej Wlassenko. Er mache sich Sorgen, da die 51-Jährige mittlerweile stark geschwächt sei, sagte der Anwalt. Die Politikerin befindet sich aus Protest gegen ihre Behandlung im Co-Gastgeberland der Fußball-Europameisterschaft seit dem 20. April im Hungerstreik.

Ex-Regierungschefin baut gesundheitlich ab

Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft lehnte derweil ein Angebot des neu gewählten russischen Präsidenten Wladimir Putin ab, Timoschenko in Moskau behandeln zu lassen. Schon Deutschland sei darüber informiert worden, dass die ukrainische Gesetzgebung eine Pflege von Häftlingen im Ausland nicht vorsehe, sagte ein Sprecher in Kiew.

Über Tochter Jewgenija hält Julia Timoschenko den Kontakt zur Außenwelt.

Über Tochter Jewgenija hält Julia Timoschenko den Kontakt zur Außenwelt.

(Foto: dpa)

Russland bekräftigte jedoch seine Kritik an der Ukraine. Kremlchef Dmitri Medwedew werte den Fall Timoschenko als "politisch motiviert", teilte der Kreml in Moskau mit. Die Ex-Regierungschefin war wegen eines angeblich schlechten Gasvertrags mit Russland wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Moskau sieht den Fall daher auch als Angriff auf sich.

Derweil teilte Timoschenkos Tochter, Jewgenija Timoschenko, mit, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter täglich verschlechtere. Sie habe ihre Mutter am Donnerstag besucht, und diese sei "viel schwächer, als sie noch vor ein paar Tagen war", sagte Jewgenija Timoschenko im ZDF. Ihre Mutter müsse liegen und könne sich zurzeit "praktisch gar nicht bewegen".

Timoschenko will weiter hungern

Die Bitten der Familie, ihren Hungerstreik zu beenden, seien bisher erfolglos gewesen. "Sie hat aus verschiedensten Gründen ein Interesse an diesem Hungerstreik", sagte die 32-jährige Jewgenija Timoschenko. Ihre Mutter wolle "weiter für die Demokratie in der Ukraine" kämpfen.

Das Thema beschäftigt vor allem die internationale Politik, die uneins darüber ist, ob man wegen Unterdrückung Oppositioneller in der Ukraine der anstehenden Fußball-Europameisterschaft fernbleiben sollte. So hält die Menschenrechtsorganisation Amnesty International den von der EU-Kommission angekündigten Boykott der EM in der Ukraine für falsch. Seine Organisation rufe generell nicht zum Boykott solcher Veranstaltungen auf, sagte der Generalsekretär von Amnesty-Deutschland, Wolfgang Grenz, dem "Handelsblatt". "Aber Politiker und Sportfunktionäre, die in die Ukraine reisen, müssen die Gelegenheit nutzen, um auf die schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und von der ukrainischen Regierung einen besseren Menschenrechtsschutz fordern."

Dabei dürfe es nicht nur um Timoschenko gehen. "Es gibt Berichte über Folter zur Erpressung von Geständnissen", wer Polizeiübergriffe oder Korruption anprangere, werde teils mit konstruierten Anschuldigungen überzogen und mit Gewalt bedroht, sagte Grenz weiter.

Roth für politischen Boykott

Die EU-Kommission hatte angekündigt, dass ihre 27 Mitglieder den Spielen in der Ukraine fernbleiben werden. FIFA-Präsident Joseph Blatter hatte das scharf kritisiert. "Bevor sie von Boykott sprechen, sollte man sich überlegen, was das nach sich zieht", sagte der Chef des Fußball-Weltverbandes. "Die EM muss durchgeführt werden, wo sie ist."

Eine Verlegung der EM-Fußballspiele aus der Ukraine wäre auch aus Sicht der Bundesregierung nicht sinnvoll. Regierungssprecher Steffen Seibert: "Der Ukraine die Spiele wegzunehmen, ist keine Lösung." Die Entscheidung, ob deutsche Regierungsmitglieder Spiele boykottieren, hängt auch von der weiteren Entwicklung ab, wie Seibert deutlich machte.

Dem widersprach Grünen-Chefin Claudia Roth, die sich für einen politischen Boykott der Spiele einsetzt. "Sport und Politik sind nicht zu trennen", sagte Roth der "Passauer Neuen Presse". Westliche Politiker sollten sich nicht für eine Kulisse missbrauchen lassen, die am Ende nur "dem diktatorischen Regime in Kiew" helfe. Die Vergabe der Eishockey-WM an Weißrussland bezeichnete Roth auch als "Riesenfehler". Machthaber Alexander Lukaschenko sei "ein brutaler Diktator", der auch vor willkürlichen Hinrichtungen nicht zurückschrecke und die Menschenrechte mit Füßen trete.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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