Wirtschaft will Dialog China nicht verschrecken
15.04.2008, 17:39 UhrDie deutsche Wirtschaft hat vor den ökonomischen Folgen eines möglichen Boykotts der Olympischen Spiele in China gewarnt. "Wir setzen auf Dialog statt Boykott", sagte der Chef des weltgrößten Chemiekonzerns BASF, Jürgen Hambrecht, dem "Handelsblatt".
"Panikmache" der Menschenrechtler
"Einschr änkungen der geschäftlichen Beziehungen würden die deutsche Wirtschaft - und damit uns alle - empfindlich in einem wichtigen Wachstumsmarkt treffen." Menschenrechtler warf Hambrecht daraufhin "Panikmache" vor. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) telefonierte unterdessen erneut mit seinem chinesischen Amtskollegen Yang Jiechi.
Deutschlands Exporteure fürchten, dass die chinesische Führung Aufträge für Großprojekte in andere, weniger kritische Länder vergeben könnte. Hambrecht, der Chef des Asien-Pazifik-Ausschusses (APA) der Wirtschaft ist, sagte, das Engagement westlicher Firmen in China leiste einen wichtigen Beitrag zur weiteren Öffnung der asiatischen Großmacht. Eine Isolierung Chinas würde "keine Erfolge zeigen, sondern eher das Gegenteil erreichen".
"Wandel durch Handel" gescheitert
Dagegen sieht der Asienreferent der Menschenrechtsorganisation "Gesellschaft für bedrohte Völker" (GfbV), Ulrich Delius, den "vom APA seit Jahren propagierten Kurs vom Wandel durch Handel" in China als gescheitert an. Handel allein trage nicht zur Verbesserung der Menschenrechtslage bei. Zudem brauche die Volksrepublik Deutschland als Absatzmarkt seiner Produkte in gleichem Maße wie die deutsche Exportwirtschaft China. Delius: "Selbstzensur darf nicht die Antwort Europas auf die Verhaftung von mehr als 4000 Tibetern sein."
Kritik an AI-Bericht
China hat unterdessen die Forderung von Amnesty International zurückgewiesen, die Todesstrafe abzuschaffen. Die Bedingungen dazu seien nicht gegeben, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Peking. Zudem entspreche dies nicht dem Willen des Volkes. Nach den ai-Statistiken ist China, neben dem Iran, der Staat, in dem 2007 die meisten Todesurteile vollstreckt wurden. Insgesamt wurden mindestens 1252 Menschen in 24 Staaten hingerichtet, davon 470 in China und 317 im Iran.
Die Zahl der Hinrichtungen ist in China wie in vielen anderen Ländern ein Staatsgeheimnis. Amnesty geht jedoch davon aus, dass sie deutlich zurückgegangen ist, seitdem das oberste chinesische Gericht Anfang 2007 für sich das Recht beanspruchte, alle Todesurteile zu bestätigen. Die Sprecherin in Peking erklärte, die Todesstrafe werde inzwischen nur "bei den schwersten Vergehen" angewandt.
Steinmeier appelliert
Steinmeier appellierte in dem neuerlichen Telefonat mit Yang an Chinas Führung, zur Lösung der Tibet-Frage den Dialog mit Vertretern der tibetischen Religion und Kultur zu suchen. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte mit Blick auf einen Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über die weltweite Anwendung der Todesstrafe: "Dass ausgerechnet in China die meisten Hinrichtungen (mindestens 470 in 2007) stattfanden, steht in eklatantem Widerspruch zur Olympischen Idee, die auch den Schutz der Menschenwürde zum Ziel hat."
FDP-Stiftung weist Vorwürfe zurück
Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung wies indes Vorwürfe chinesischer Medien über ihre angebliche Drahtzieher-Rolle bei den weltweiten Tibet-Protesten der vergangenen Wochen zurück. Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua hatte zuvor gemeldet, dass eine im Mai 2007 von der Naumann-Stiftung vorbereitete Konferenz dazu gedient habe, im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in Peking weltweit Proteste zu organisieren.
Der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung, Wolfgang Gerhardt, sagte in Berlin, die Tagung habe pro-tibetische Gruppen lediglich unterstützen sollen. "Dass wir deren Engagement steuern, ist aber barer Unsinn." Die Stiftung setze sich seit mehr als 15 Jahren für eine friedliche Lösung des Tibet-Konflikts ein, sagte Gerhardt. Dazu werde der Dialog von Exiltibetern mit China und mit pro-tibetischen Gruppen unterstützt. Um nichts anderes sei es auch bei der von den chinesischen Medien kritisierten Konferenz in Brüssel gegangen.
Flagge am Nordpol
Ein norwegischer Polarforscher hat derweil nach eigenen Angaben die Flagge Tibets am Nordpol gehisst, um auf die Menschenrechtslage in der von China kontrollierten Himalaya-Region aufmerksam zu machen. Er wolle die Regierungen weltweit anspornen, sich bei China für Tibets Rechte einzusetzen, schrieb Inge Solheim in einer E-Mail an eine Nachrichtenagentur.
Man müsse die Tibeter unterstützten, auch wenn damit der Verlust von Geschäftsabschlüssen oder die Eintrübung der Beziehungen zu China riskiert werde. "Wer will denn Geschäftspartner oder Freund einer brutalen Tyrannei sein?", schrieb Solheim. Der Nachricht war ein Foto beigefügt, das den Forscher zeigt, wie er auf einem Eisblock stehend die tibetische Flagge schwenkt.
Erneute Proteste in Tibet
In einem Kloster in der Nähe der tibetischen Hauptstadt Lhasa hat es Berichten von Exiltibetern zufolge erneut Proteste gegeben. Nach Angaben des Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) wurde eine unbekannte Zahl Mönche aus dem Drepung-Kloster festgenommen. Sie hätten gegen eine "patriotische Erziehungskampagne" der Behörden protestiert. Weitere Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt. Wie die International Campaign for Tibet erklärte, wurden seit Beginn der Unruhen Mitte März fast 4000 Menschen festgenommen. Etwa die Hälfte der Festgenommenen befinde sich aber wieder auf freiem Fuß.
Fackellauf in Neu-Delhi
In der indischen Hauptstadt Neu Delhi protestierten zwei Tage vor dem offiziellen olympischen Fackellauf mehr als 50 Exiltibeter gegen Pekings Tibet- und Menschenrechtspolitik. Während eines Protest-Fackellaufs riefen Anhänger des Tibetischen Jugend-Kongresses zu einem Boykott der Olympischen Spiele in Peking auf. Die Polizei nahm nach Augenzeugenberichten alle Teilnehmer der Aktion fest.
Als erste deutsche Olympiasiegerin kündigte Judo-Kämpferin Yvonne Bönisch an, sie werde nicht an der Eröffnungsfeier teilnehmen.
Quelle: ntv.de