Unruhen in Uiguren-Provinz China reagiert mit Härte
08.07.2009, 15:52 UhrUm die Lage in der Provinz Xinjian zu beruhigen, schickt die chinesische Staatsmacht zehntausende Soldaten in die Region. Sie sollen Uiguren und Han-Chinesen voneinander trennen - die Lage bleibt aber angespannt. Präsident Hu nimmt wegen der Zusammenstöße mit mehr als 150 Toten nicht am G8-Gipfel teil.

In Lauerstellung: Angehörige der Uiguren verschanzen sich hinter einer Barrikade. Sie trauen dem vermeintlichen Frieden nicht.
(Foto: REUTERS)
Angesichts der blutigen Unruhen in der Uiguren-Region Xinjiang hat Chinas Präsident Hu Jintao seine Teilnahme am G8-Gipfel in Italien überraschend abgesagt. Hu kehrte in der Nacht zum Mittwoch nach China zurück. Drei Tage nach dem Gewaltausbruch in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi erklärten die Behörden, die Lage sei unter Kontrolle, auch wenn Reporter von erneuten Übergriffen berichteten.
Mit eiserner Hand hat ein Großaufgebot an Sicherheitskräften die Situation weitgehend stabilisiert. So sind Bereitschaftspolizisten in Ürümqi ausgeschwärmt, um die Unruhen einzudämmen. Als sie aus einer Ansammlung von etwa 1000 protestierenden Han-Chinesen heraus mehrere mutmaßliche Anführer festnahmen, kam es zu Handgemengen. "Lasst sie frei, lasst sie frei", riefen die Demonstranten. Durch die massive Präsenz der Sicherheitskräfte beruhigte sich die Lage aber zumindest im Stadtzentrum: Zehntausende schwer bewaffnete Sicherheitskräfte bezogen auf einer Hauptverkehrsader Stellung, und teilten die Stadt faktisch zwischen Han-Chinesen und Uiguren auf. Gepanzerte Truppentransporter patrouillieren, während Hubschrauber die Situation aus der Luft beobachten.
Eine uigurische Grundschullehrerin in Ürümqi schilderte, sie habe gehört, dass Banden von Chinesen mehrere Schulen gestürmt hätten, darunter ihre eigene. "Sie schlugen jeden, den sie auf der Straße sahen, solange es nur ein Uigure war", berichtete sie. Staatsmedien sprachen von "kleineren Zusammenstößen". Ein BBC-Reporter hatte dagegen den Eindruck, dass die Bevölkerung sich offenkundig sicherer fühle. Auf den Straßen trügen nur noch wenige Menschen Stöcke zu ihrer Verteidigung bei sich.
Am Wochenende waren bei den schwersten ethnischen Zusammenstößen seit Jahrzehnten in der Region nach offiziellen Angaben 156 Menschen getötet worden. Peking wirft im Exil lebenden Uiguren vor, hinter den Ausschreitungen zu stecken. Die Uiguren machen dagegen die chinesische Seite für die Gewalt verantwortlich.
Internet-Zugang ist gesperrt
In der Nacht zum Mittwoch war eine Ausgangssperre über die Stadt verhängt worden, nachdem Tausende Han-Chinesen am Vortag bewaffnet mit Stöcken, Messern und Metallstangen durch die Straßen gestürmt waren und Wiedergutmachung, teils auch blutige Rache gegenüber den muslimischen Uiguren gefordert hatten. Die nächtlichen Festnahmen gingen nach Aussage von Anwohnern weiter. Außer in einem von ausländischen Reportern bewohnten Hotel war der Internet-Zugang gesperrt.

Chinas Staatsmacht versucht mit einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften die Lage zu beruhigen.
(Foto: AP)
Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, dass viele Geschäfte geschlossen hätten. Vielerorts seien Nahrungs- und Wasservorräte knapp. Gemüse koste zwei- oder dreimal so viel wie vor den Unruhen. Die meisten Menschen seien zu Hause geblieben, Arbeitgeber hätten ihren Mitarbeitern freigegeben. Das Staatsfernsehen hatte zuvor berichtet, viele Geschäfte und Märkte hätten wieder geöffnet.
Hu bleibt in China
Chinas Staatspräsident Hu Jintao sagte wegen der Unruhen in der Provinz Xinjiang seine Teilnahme am G8-Gipfel in Italien ab. Kanzlerin Angela Merkel hatte dort mit ihm über die Unruhen sprechen wollen. Seit dem Gewaltausbruch am Sonntag, bei dem 1080 Menschen verletzt wurden, nahmen die Sicherheitskräfte nach offiziellen Angaben 1434 Menschen fest.
Nach Angaben des Uigurischen Weltkongresses kamen bei den Unruhen weit mehr Menschen ums Leben, als von Peking zugegeben wird. Der Uigurische Weltkongress (WUC) sprach gar von 800 Toten. Die genaue Zahl sei schwer zu bestätigen, sagte WUC-Generalsekretärin Dolkun Isa am Mittwoch in München. "Mit Sicherheit waren es jedoch mehrere hundert." Viele Menschen seien bei Lynchangriffen chinesischer Gruppen gestorben. München ist die Deutschlandzentrale des WUC.
Die in den USA lebende Uiguren-Führerin Rebiya Kadeer warf Peking vor, den Konflikt angeheizt zu haben. "Die chinesische Regierung ist bekannt dafür, die nationalistischen Tendenzen unter den Chinesen zu fördern", schrieb die Vorsitzende des WUC in der US-Zeitung "The Wall Street Journal". Chinas "brutale Reaktion" auf die Unruhen werde die Situation noch verschärfen. Der Dalai Lama zeigte sich "zutiefst betrübt und besorgt" über die Lage in Xinjiang. In einer Mitteilung forderte das Oberhaupt der Tibeter die chinesischen Behörden zur Zurückhaltung auf. Peking müsse in einem "Geist des Verständnisses und der Weitsichtigkeit" mit der Situation umgehen. Amnesty International Deutschland rief China auf, unabhängige Beobachter in der Unruheprovinz zuzulassen.
Russland stellt sich hinter Führung
Zusammen mit Tibet ist die Provinz Xinjiang eines der politisch sensibelsten Gebiete Chinas. Mit Grenzen zu Russland, der Mongolei, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Afghanistan, Pakistan und Indien verfügt sie über eine strategisch wichtige Lage, reichlich Erdölreserven und Chinas größte Erdgasförderung. Die Bevölkerungsmehrheit in der sonst von muslimischen Uiguren bewohnten Provinz stellen Han-Chinesen.
Das Nachbarland Russland stellte sich unterdessen hinter die chinesische Führung. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen seien eine rein interne Angelegenheit, erklärte das Außenministerium in Moskau. Die Initiatoren der Proteste hätten Menschen angegriffen und verprügelt, Autos in Brand gesetzt und Läden geplündert.
Quelle: ntv.de, AFP/rts/dpa