Lebenslang für Regimekritiker China steckt Tohti für immer hinter Gitter
23.09.2014, 17:48 Uhr
Tohti während der Gerichtsverhandlung.
(Foto: REUTERS)
Der Konflikt zwischen Uiguren und Chinesen eskaliert. Mit dem Bürgerrechtler Tohti verschwindet einer der bekanntesten Vertreter der muslimischen Minderheit im Gefängnis. Die Empörung ist groß.
In einem ungewöhnlich harten Urteil ist in China der uigurische Bürgerrechtler Ilham Tohti zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht in Ürümqi befand den renommierten Pekinger Wirtschaftsprofessor des "Separatismus" schuldig, wie sein Anwalt Li Fangping der Nachrichtenagentur dpa telefonisch aus der Hauptstadt der Unruheregion Xinjiang in Nordwestchina berichtete.
Der 44-jährige Ökonom gilt als gemäßigte Stimme des muslimischen Turkvolkes im Nordwesten, das Unterdrückung durch die herrschenden Chinesen beklagt. Das Urteil stieß auf scharfe Kritik von Menschenrechtsgruppen und Exil-Uiguren. Die Europäische Union verurteilte die Strafe als "völlig ungerechtfertigt". Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte, Christoph Strässer (SPD), zeigte sich "bestürzt". "Tohti ist uns bekannt als Befürworter des Dialogs. Er tritt für die Verständigung zwischen Uiguren und Han-Chinesen ein." Strässer beklagte Rechtsverstöße und bedauerte, dass keine europäischen Beobachter zugelassen worden seien.
Das Gericht warf dem Menschenrechtsaktivisten vor, die Politik der Regierung gegenüber Minderheiten, Religion sowie die Wirtschafts- und Familienplanung "angegriffen" zu haben, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete. Auch habe er die Ursachen von Unruhen in Xinjiang "verdreht" und damit "ethnischen Hass" entzündet. Über seine Webseite habe Tohti andere Uiguren ermutigt, "zu Gewalt zu greifen". Er habe heimlich eine "Separatisten-Gruppe" geformt. "Ich weise das entschieden zurück", rief der 44-Jährige nach der Urteilsverkündung empört, als ihn Polizisten aus dem Saal des Gerichts brachten.
Freie Meinungsäußerung
"Das kann man nicht hinnehmen", sagte sein Anwalt. "Wir werden auf jeden Fall Berufung gegen das Urteil einlegen." Tohti sei unschuldig, beteuerte Li Fangping: "Was er getan hat, liegt völlig im Rahmen der freien Meinungsäußerung." Die Europäische Union übte scharfe Kritik an dem Verfahren, in dem die Rechtsstaatlichkeit nicht gewahrt worden sei. Ein EU-Sprecher in Peking forderte die "sofortige und bedingungslose Freilassung" von Tohti und seinen Unterstützern. China solle außerdem die Rechte aller Minderheiten und die Freiheit der Meinungsäußerung respektieren.
Die Bundesregierung müsse als Reaktion den Menschenrechtsdialog mit China aussetzen, forderte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen. "Dies ist ein schwarzer Tag für alle Bemühungen um mehr Rechtsstaatlichkeit in der Volksrepublik", sagte Asien-Experte Ulrich Delius. "Die Bundesregierung muss nun ein deutliches Zeichen setzen." Das "Unrechtsurteil" werde die Spannungen zwischen Uiguren und Chinesen noch weiter anheizen, warnte Delius wie andere Experten.
Harte Urteile
Das harte Urteil reiht sich in die Kampagne gegen Terrorismus und Separatismus ein, die Chinas Führung nach einer Serie von Anschlägen und blutigen Zwischenfällen in Xinjiang ausgerufen hat. "Es ist ein schändliches Urteil, das keine Grundlage in der Wirklichkeit hat", sagte William Nee von Amnesty International. "Tohti hat friedlich daran gearbeitet, Brücken zwischen den ethnischen Gruppen zu bauen, und wurde dafür mit politisch motivierten Vorwürfen bestraft." Der Bürgerrechtler kritisierte zwar die Pekinger Regierung für ihren Umgang mit seinem turkstämmigen Volk, beschrieb sich aber selbst immer als chinesischen Patrioten, der sein Heimatland liebe.
Er war im Januar in seiner Heimatstadt Peking festgenommen worden, wurde aber im fernen Ürümqi vor Gericht gestellt. Mit Studenten hatte Tohti eine Webseite für die muslimische Minderheit geschaffen. Sieben von ihnen wurden unter ähnlichen Separatismusvorwürfen festgenommen.
Auch die Menschenrechtsgruppe Chinese Human Rights Defenders (CHRD) verurteilte die "Verfolgung" von Tohti, der nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt habe. "Das Gericht hat keine Beweise, um die Separatismus-Anklage zu unterstützen", sagte Renee Xia von CHRD. "Der Prozess war ungerecht." Die Regierung versuche, ihm die Schuld für die jüngsten Gewaltakte in die Schuhe zu schieben und die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen politischen Versagen abzulenken, das zu wachsenden Spannungen beigetragen habe.
Quelle: ntv.de, sba/dpa