Politik

Fragen und Antworten Darum geht es im NSU-Prozess

Am Rande einer Gegendemonstration zu einer NPD-Kundgebung am 1. Mai.

Am Rande einer Gegendemonstration zu einer NPD-Kundgebung am 1. Mai.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach dem Hickhack um die Sitzvergabe für die Presse soll der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier Helfer des NSU nun am kommenden Montag beginnen. Zwischen 2000 und 2007 soll die Terrorzelle zehn Menschen umgebracht haben. Doch warum findet der Prozess in München statt und welche Strafen drohen den Angeklagten? Alles was man wissen muss.

Worum geht es in dem Verfahren?

Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, sie sollen den NSU gebildet haben.

Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos, sie sollen den NSU gebildet haben.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Münchner Richter haben mit dem NSU-Prozess eines der bedeutsamsten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte zu führen. Jahrzehnte nach dem Nazi-Regime werden dem "Nationalsozialistischen Untergrund" zehn rassistisch motivierte Morde zur Last gelegt - acht Opfer waren türkisch- und eines griechischstämmig, zudem starb eine Polizistin.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht allein für die Taten verantwortlich sind. Nach ihrer Überzeugung haben die beiden Männer zusammen mit Beate Zschäpe eine terroristische Vereinigung gebildet und die Morde gemeinsam geplant. Der Hauptangeklagten Zschäpe wird vorgeworfen, als Mittäterin an den zehn Morden, mehreren Mordversuchen, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Banküberfällen beteiligt gewesen zu sein.

Außerdem soll sie mit dem Anzünden der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße schwere Brandstiftung und versuchten Mord begangen haben, da sich während des Feuers in der Nachbarwohnung eine 89-jährige Frau befunden hat. Durch die Verpuffung hatte sich eine Wand hinter dem Sofa der Nachbarin so verschoben, dass sie hätte einstürzen können.

Die übrigen vier Angeklagten Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. sollen dem Trio dabei geholfen haben, ihre Straftaten zu begehen. Diese Hilfsleistungen sind noch nicht verjährt und müssen daher juristisch verfolgt werden.

Warum findet der Prozess in München statt?

Polizeibeamte untersuchen 2006 nach einem Mord in Dortmund einen Kiosk auf Spuren. Die Tat wird auch dem NSU zugeschrieben.

Polizeibeamte untersuchen 2006 nach einem Mord in Dortmund einen Kiosk auf Spuren. Die Tat wird auch dem NSU zugeschrieben.

(Foto: dpa)

Das NSU-Verfahren ist ein Staatsschutzverfahren, weil politisch motivierte Delikte verhandelt werden, die die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik gefährden. Staatsschutzverfahren werden in erster Instanz von Oberlandesgerichten geführt, nach dem Urteil bleibt nur eine Revisionsmöglichkeit beim Bundesgerichtshof. Fünf der zehn Morde, für die der NSU verantwortlich gemacht wird, wurden in Bayern verübt, deshalb bekam der 6. Strafsenat des OLG München den Prozess. Der eigens umgebaute Sitzungssaal A 101 des Strafjustizzentrums in der Nymphenburger Straße gerät allerdings bei dem Verfahren mit mehr als hundert Beteiligten - Richter, Angeklagte, Ankläger, Verteidiger, Nebenkläger und Opferanwälte - an seine Grenzen. Gerade mal 50 Plätze sind für Zuschauer vorgesehen, ebenso viele für Journalisten.

Wie lange wird der Prozess dauern?

Das Oberlandesgericht hatte im Zusammenhang mit dem ursprünglich am 17. März geplanten Prozessbeginn zunächst 85 Verhandlungstermine bis Mitte Januar 2014 festgesetzt. Es wird allerdings damit gerechnet, dass das Verfahren erheblich länger dauern könnte. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hält eine Verfahrensdauer von bis zu zweieinhalb Jahren für möglich. Der 6. Strafsenat fährt ein straffes Programm: In der Regel soll an drei Tagen pro Woche verhandelt werden.

Welchen Umfang hat das Verfahren?

Die Anklageschrift hat 488 Seiten, mehr als 600 Zeugen sind benannt, und sowohl die fünf Angeklagten als auch die mehr als 70 Nebenkläger können neue Beweisanträge stellen. Die rund 300.000 Seiten Ermittlungsakten füllen allein einen ganzen Raum.

Wer sind die Zeugen und Gutachter?

Unter anderem sind die Polizisten geladen, bei denen der mitangeklagte Holger G. ein Geständnis abgelegt hat. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos hätten von ihm 2001 eine Waffe entgegengenommen, hat G. ausgesagt. Weitere Zeugen sind Zschäpes Mutter und ein Cousin der Angeklagten, der Vater von Mundlos und die Mutter von Böhnhardt. Auf der Liste steht auch ein Abgeordneter der NPD aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, David Petereit. Er steckte hinter dem Szeneblatt "Der Weisse Wolf", dem der NSU im Jahr 2002 per Brief eine Geldspende zukommen ließ. Geladen hat das Gericht auch den früheren Verfassungsschützer Andreas T., der sich beim Mord des NSU an dem Deutschtürken Halit Yozgat im April 2006 in Kassel am Tatort befand. Sachverständiger ist unter anderem der Psychiatrieprofessor Henning Saß. Der ehemalige Chef des Universitätsklinikums Aachen soll ein psychiatrisches Gutachten über Zschäpe erstellen und sie dazu an allen Prozesstagen beobachten. Für das psychiatrische Gutachten zu Holger G. ist der Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie der Uni Duisburg-Essen, Norbert Leygraf, zuständig.

Welche Sicherheitsmaßnahmen wird es geben?

Etwa 500 Beamte sollen die Sicherheit der Prozessbeteiligten gewährleisten. Beim Umbau des Gerichtssaales wurden zusätzliche Räume und Sicherheitskontrollen eingerichtet. Auf dem Vorplatz des Münchner Strafjustizzentrums wurde ein Wartebereich für Besucher eingerichtet, der eigenen Sicherheitsvorkehrungen unterliegt. Es sind körperliche Durchsuchungen geplant, "um das Einschmuggeln von gefährlichen Gegenständen" wie Waffen oder Sprengstoff ins Gericht zu verhindern. Pressevertreter können den Prozess nur mit einer speziellen Akkreditierung verfolgen. Die Angeklagte Zschäpe wird dem Gericht gefesselt vorgeführt. Vor und nach den Terminen muss sie sich einer Leibesvisitation unterziehen.

Wer sind die Verteidiger?

Die Rechtsanwälte Wolfgang Stahl (l-r), Wolfgang Heer und Anja Sturm - Zschäpes Verteidiger.

Die Rechtsanwälte Wolfgang Stahl (l-r), Wolfgang Heer und Anja Sturm - Zschäpes Verteidiger.

(Foto: dpa)

Beate Zschäpe wird von drei noch relativ jungen Juristen verteidigt. Wolfgang Heer bekam als erster Rechtsanwalt das Mandat für die Verteidigung Zschäpes, er suchte sich seine beiden Mitstreiter, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, aus. Die Juristen sind erfahrene Strafrechtler, allerdings lagen ihre bisherigen Schwerpunkte eher im Bereich Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Zschäpes Gesinnung teilen sie nicht. Wohlleben wird von Nicole Schneiders vertreten, die Anfang der 2000er Jahre Mitglied der NPD war. Carsten S.' Verteidiger ist ein Kölner Anwalt, Holger G. wird von zwei Hannoveraner Anwälten verteidigt.

Ist vom Prozess zu erwarten, dass Versäumnisse der NSU-Ermittlungen aufgeklärt werden?

In erster Linie geht es darum, nach formalen Regeln festzustellen, ob den Angeklagten eine Schuld nachzuweisen ist. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy hat vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Die politische Aufarbeitung sei nicht Aufgabe des Gerichts, sagte der Vorsitzende des Neonazi-Untersuchungsausschusses des Bundestags. Das Verfahren könnte jedoch neue Impulse bringen - sofern die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht. Sollte die 38-Jährige entgegen der bisherigen Erwartung aussagen, könnte das womöglich ganz neue Erkenntnisse liefern - und damit neue Arbeit für die Aufklärer.

Welche Strafen drohen den Angeklagten?

Das hängt davon ab, was den Beschuldigten nachgewiesen werden kann. Es gibt keine eindeutigen Belege dafür, dass Zschäpe an den Morden und Banküberfällen unmittelbar beteiligt war. Sie war offenbar an keinem der Tatorte. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft war sie jedoch gleichermaßen beteiligt wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich 2011 - umstellt von Polizei - das Leben nahmen. Damit droht Zschäpe als Höchststrafe lebenslänglich. Unter Umständen könnte noch die besondere Schwere der Schuld festgestellt werden, dann käme Zschäpe in Sicherungsverwahrung. Holger G. und Carsten S. sind weitgehend geständig, S. hat sich zudem glaubhaft von rechtem Gedankengut distanziert. Das könnte sich strafmildernd auswirken. Der Vorwurf Beihilfe zum Mord, der gegen Ralf Wohlleben und Carsten S. erhoben wird, wird mit mindestens drei und maximal 15 Jahren geahndet.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen