Intrigen, Neid und Leid in der FDP Das Präsidium der Missgunst
22.01.2013, 12:36 Uhr
Sieht so echte Freude aus? Mitglieder des Präsidiums der FDP applaudieren Parteichef Rösler bei seiner Rede nach dem Wahlerfolg in Niedersachsen. Ganz rechts Röslers Frau Wiebke.
(Foto: dapd)
Die FDP mimt Geschlossenheit. Doch in keiner Partei ist das Führungspersonal derart verfeindet. Unzählige Konfliktlinien durchziehen das Präsidium. Sie reichen vom Ehrenvorsitzenden Genscher bis hin zum wiederauferstandenen Parteichef Rösler.
Die Personalien in der FDP sind seit Montag geklärt: Philipp Rösler bleibt Parteichef. Und Rainer Brüderle übernimmt das Amt des Spitzenkandidaten. Geschlossen zieht nun das ganze Präsidium in die Bundestagswahlschlacht. Diesen Eindruck will die Führungsmannschaft zumindest erwecken. Ein großes Schauspiel. Denn tatsächlich kann von Eintracht in dem Gremium keine Rede sein. In keiner Partei ist das Spitzenpersonal derart verfeindet wie in der FDP. Eine Chronologie des Streits.
Philipp Rösler (Bundesvorsitzender), Birgit Homburger (Stellvertretende Vorsitzende), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Stellvertretende Vorsitzende), Holger Zastrow (Stellvertretender Vorsitzender), Patrick Döring (Generalsekretär), Otto Fricke (Schatzmeister), Rainer Brüderle (Fraktionsvorsitzender), Jörg-Uwe Hahn (Beisitzer), Dirk Niebel (Beisitzer), Elke Hoff (Beisitzerin), Alexander Alvaro (Vertreter der Liberalen im EU-Parlament), Hans-Dietrich Genscher (Ehrenvorsitzender), Walter Scheel (Ehrenvorsitzender), Guido Westerwelle (Außenminister), Daniel Bahr (Gesundheitsminister), Hermann Otto Solms (Vizepräsident des Deutschen Bundestages), Nicola Beer (Kooptiertes Mitglied), Jörg van Essen (Parlamentarischer Geschäftsführer), Wolfgang Gerhardt (Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung), Gabriele Renatus (Bundesgeschäftsführerin)
Der erste tiefe Graben dieser Führungsriege klaffte 2010 auf. Eine entscheidende Rolle spielte damals Hans-Dietrich Genscher, die graue Eminenz der Partei. Die Umfragewerte der FDP brachen nach dem Wahlerfolg 2009 (14,6 Prozent) massiv ein. Es gelang der Partei nicht, sich mit dem vermeintlichen Wunschkoalitionspartner, der Union, zusammenzuraufen. Ein Neustart erschien vielen nur mit einem Führungswechsel möglich. Der damalige Parteichef, Guido Westerwelle, musste weg.
Genscher spitzt den Nachwuchs an
Genscher wollte laut "Spiegel" damals ganz sicher gehen, dass der Königsmord gelingt. Also ermunterte er gleich drei junge, aufstrebende Männer, sich um die Führungsrolle zu bewerben: Christian Lindner, Daniel Bahr und Philipp Rösler.
Rösler setzte sich im internen Gerangel durch. Erst nach langen Gesprächen mit Lindner und Bahr fand er heraus, dass Genscher auch sie angespitzt hatte. Rösler erkannte, dass er nicht die erste Wahl des Ehrenvorsitzenden war. Ein Vertrauensbruch, der Rösler auch heute noch umtreiben dürfte, wenn er in Sitzungen des Präsidiums auf Genscher trifft. Ähnliches gilt für den zum Außenminister degradierten Westerwelle.
Im Frühjahr 2011 stand fest, dass Rösler nach dem höchsten Amt in der Partei greifen würde. Und so war es denn auch der Niedersachse, der Westerwelle als erstes zum Rücktritt aufforderte. In einem Telefongespräch machte er ihm deutlich, dass seine Tage gezählt seien, dass er ihm sein Amt streitig machen werde - im Zweifel durch eine Kampfkandidatur. Westerwelle zog sich zurück, wirkt heute mitunter wie ein Aussätziger, der allerdings in seiner Rolle im Auswärtigen Amt aufzugehen scheint.
Rösler raubt Brüderle den Traum

Gelassen wie seit Monaten nicht mehr: FDP-Chef Rösler freut sich über 9,9 Prozent für die FDP in Hannover.
(Foto: dapd)
Doch vor dieser selbst- oder fremdauferlegten Isolation steht eine weitere Intrige, die einen tiefen Riss im Präsidium der FDP hinterließ. Westerwelle, der seinen Posten zunächst nicht räumen wollte, versuchte seinen damaligen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle zu opfern, um sich zu retten. Laut der FAZ bot er dem Parteinachwuchs rund um Rösler das Wirtschaftsministerium an. Der Plan ging nicht auf.
Westerwelle war nicht der einzige Verlierer des Putsches. Brüderle musste sein geliebtes Wirtschaftsministerium aufgeben, wegen dem er überhaupt erst aus der Pfalz nach Berlin gekommen ist. Der Neue, Rösler, nahm es ihm weg.
Brüderle und Rösler, Rösler und Genscher, Westerwelle und Brüderle, Rösler und Westerwelle - im Präsidium verlaufen etliche Konfliktlinien, und es gibt noch viel mehr.
Kubicki lässt Homburger entsorgen
Beim Sturz Westerwelles musste auch die damalige Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger ihren Job aufgeben. Angeblich bettelte sie unter Tränen um ihr Amt. Doch das Mitleid hielt sich in Grenzen. Als das Gerücht in politischen Kreisen die Runde machte, sie solle als Entschädigung Staatsministerin im Auswärtigen Amt werden, sorgte das für Entsetzen beim Präsidiumsmitglied Wolfgang Kubicki. Der Landeschef von Schleswig-Holstein sagte später in einem Fernsehinterview wörtlich: "Das Auswärtige Amt ist nicht für die Müllentsorgung zuständig, sondern das Umweltministerium."
Homburger wurde schließlich nicht im Auswärtigen Amt entsorgt und auch nicht durch ein anderes Ministerium. Sie bekam den Posten der stellvertretenden Bundesvorsitzenden und steht nun weiterhin neben Kubicki in der ersten Reihe der Partei.
Einer für alle, alle gegen einen
Im Mai 2011 übernahm Rösler das Amt des Parteivorsitzenden. Er versuchte einen Neustart. Doch es gelang ihm nicht, die Partei aus dem Umfragetief zu bergen. Kaum ein Jahr nach dem Sturz von Westerwelle keimte so der nächste Putschversuch in der FDP auf. Und mit diesem zweiten Aufstand entzweite sich das Präsidium noch weiter.
Wieder spielte Kubicki eine Rolle. Im Frühjahr 2012 dümpelte die Partei den Meinungsforschern zufolge unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Das Nordlicht sah sich zum Handeln gezwungen. In einem Interview wünschte er sich den verstorbenen Spitzenliberalen Jürgen Möllemann zurück. "Solch schlechte Umfragewerte hätten wir nicht, wenn er da wäre", sagte er. Deshalb brachte Kubicki dann den jungen Hoffnungsträger Lindner ins Gespräch. "Ich sehe momentan in der Partei keinen anderen, der geeigneter wäre, die Nachfolge von Philipp Rösler anzutreten", so Kubicki.
Auf diesen Versuch des politischen Meuchelmordes folgte der Angriff des Präsidiumsmitglieds Jörg-Uwe Hahn. Vor dem Dreikönigstreffen sagte er: "Bis Ende Januar werden wir unumkehrbare Klarheit über die Frage des Spitzenkandidaten schaffen." Auf dem Dreikönigstreffen dann fügte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Hermann-Otto Solms, der natürlich auch ein Präsidiumsmitglied ist, hinzu: Rösler sei nicht in der Lage gewesen, die Inhalte der Partei allgemeinverständlich zu übermitteln.
Niebel muss bangen
Kurz vor der Niedersachsenwahl wagte sich endlich auch Brüderle vor. Ob er sich noch daran erinnerte, dass Rösler ihm das Wirtschaftsministerium nahm? Auf jeden Fall forderte er, ein neues Team für die Bundestagswahl auf einem vorgezogenen Parteitag zu bestimmen. Das galt als deutliche Bewerbung für das Amt des Parteichefs.
Entwicklungsminister Dirk Niebel hielt noch am Abend der Niedersachsenwahl an seiner Forderung fest, Rösler zu entmachten. Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, hatte da schon verkündet, dass die Putschisten mit Konsequenzen rechnen müssten. "Wir müssen kritisch analysieren, wer uns an Dreikönig und davor Knüppel zwischen die Beine geschmissen hat", sagte er.
Um das ganze Ausmaß der Missgunst in der Führung der FDP zu fassen, muss man sich die Größe des Präsidiums vor Augen halten. Es besteht aus nur 20 Männern und Frauen. Die Liberalen geben sich nun trotzdem ganz geeint.
Am Tag nach der Personalentscheidung der FDP meldete sich der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger Zastrow zu Wort. Er nannte es einen "Befreiungsschlag", dass jetzt Rösler und Brüderle Seit' an Seit' die Partei in den Bundestagswahlkampf führen. Seine Worte: "Jetzt ist der Blick frei nach vorn. Das wird ein gutes Jahr für uns."
Quelle: ntv.de