Politik

Rio plus 20 "Das ist Politikversagen"

Morgendämmerung über dem Zuckerhut. Ganz so rosig ist die ökologische Zukunft der Menschheit derzeit nicht.

Morgendämmerung über dem Zuckerhut. Ganz so rosig ist die ökologische Zukunft der Menschheit derzeit nicht.

(Foto: AP)

Das voraussichtliche Ergebnis des "Rio plus 20"-Gipfels hält Barbara Unmüßig für Politikversagen. Die "grüne Ökonomie", die dort ein zentrales Thema sein wird, ist für sie zu wenig. "Wir müssen über Lebensstile nachdenken, wir müssen über 'weniger ist mehr' nachdenken, fordert die Chefin der Böll-Stiftung.

n-tv.de: Über die Abschlusserklärung von Rio plus 20 wurde gerungen, lange bevor der Gipfel eröffnet wurde. Das kennt man von den Klimakonferenzen, das macht nicht gerade Hoffnung. Sie waren bereits vor 20 Jahren beim Erdgipfel in Rio - war die Atmosphäre damals auch so verbissen?

Barbara Unmüßig ist eins von zwei Vorstandsmitglieder der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Als Koordinatorin für deutsche Umwelt- und Entwicklungsorganisationen hat sie bereits an der Rio-Konferenz von 1992 teilgenommen.

Barbara Unmüßig ist eins von zwei Vorstandsmitglieder der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Als Koordinatorin für deutsche Umwelt- und Entwicklungsorganisationen hat sie bereits an der Rio-Konferenz von 1992 teilgenommen.

(Foto: Bettina Keller)

Barbara Unmüßig: Interessengegensätze zwischen den Industriestaaten und dem globalen Süden gab es schon 1992, schon damals wurde hart verhandelt. Allerdings sind diese Gegensätze in den vergangenen 20 Jahren noch komplizierter geworden. China beispielsweise trat 1992 in Rio als Akteur kaum in Erscheinung. Aber Rio war insofern einzigartig, als die Konferenz einen sehr langen Vorlauf mit vielen Vorbereitungskonferenzen hatte. Und Rio war historisch: Nichtregierungsorganisationen wurden stärker als je zuvor an den Verhandlungen beteiligt.

Wie lief das ab?

Natürlich konnten wir nicht mitentscheiden. Aber wir hatten die Möglichkeit, zumindest in einzelnen Sitzungen zu lauschen, was die Regierungen dort verhandelten. Nichtregierungsorganisationen haben auch eigene Texte eingereicht, haben Absätze und Paragrafen geschrieben und so versucht, die Verhandlungen zu beeinflussen.

Werden diese Möglichkeiten der Einflussnahme noch heute genutzt?

Es gibt eine gewisse Ernüchterung. Es sind nicht mehr so viele Nichtregierungsorganisationen, die bei solchen Konferenzen mitmachen.

Warum gibt es Rio plus 20 überhaupt? Geht es nur um das Jubiläum? Oder gibt es überzeugende inhaltliche Gründe?

Ursprünglich war nicht vorgesehen, dass es diesen Gipfel geben sollte. Das ist nicht so wie bei den Klimaverhandlungen, die jährlich stattfinden müssen, weil das in der Klimarahmenkonvention der UN so verabredet wurde. Die "Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung", wie Rio 1992 offiziell hieß, hatte keinen solchen Rahmen. Aber vor ein paar Jahren hat die brasilianische Regierung angeboten, 20 Jahre nach Rio eine Nachfolgekonferenz auszurichten. Und Ende 2009 hat die UN-Generalversammlung dann entschieden, dass diese Konferenz stattfindet. Seither läuft die Maschine.

War die Vorbereitung so gut wie vor 20 Jahren?

Nein. Von Brasilien kam zwar der Anstoß, aber die brasilianische Regierung hat nur sehr wenig für die Vorbereitung dieser Konferenz getan. Entsprechend bescheiden waren die Erwartungen schon vor zwei Jahren: Schon damals deutete sich an, dass es keine wegweisenden Entscheidungen geben würde, sondern nur eine politische Erklärung. Mittlerweile ist allerdings eine Dynamik in Gang gekommen, der Welt ein Ergebnis zu präsentieren, das den Aufwand rechtfertigt.

In welche Richtung geht das?

Vor einem halben Jahr sah es noch danach aus, als könnte es einen institutionellen Fortschritt geben, nämlich eine Neuorganisation der reichlich unübersichtlichen Umweltzuständigkeiten im UN-System. Die Hoffnung war, dass die vielen einzelnen Organisationen, die sich mit Umweltfragen auseinandersetzen, zusammengefasst werden, vielleicht sogar zu einer großen Welt-Umweltorganisation. Mittlerweile ist allerdings nicht einmal das mehr konsensfähig zwischen den Staaten.

Rio ist voll, die U-Bahnen sind überfüllt. Parallel zur UN-Konferenz findet ein alternativer "Gipfel der Völker" statt.

Rio ist voll, die U-Bahnen sind überfüllt. Parallel zur UN-Konferenz findet ein alternativer "Gipfel der Völker" statt.

(Foto: AP)

Keine guten Nachrichten?

Es könnte sein, dass zumindest verabredet wird, einen Prozess in Gang zu setzen, bei dem "nachhaltige Entwicklungsziele" für die Zukunft verhandelt werden - also Ziele, mit denen sich die Regierungen verpflichten, ihren Ressourcenverbrauch zu einzuschränken, den Naturverbrauch zu drosseln, die Bodenzerstörung aufzuhalten und so weiter. Darum wird noch gerungen. Aber selbst das wäre nur der Auftakt für weitere Verhandlungen.

War der Erdgipfel von 1992 denn erfolgreicher?

Ein zentrales Ergebnis von Rio war damals die Klimarahmenkonvention. Bislang hat die es bekanntlich nicht geschafft, den CO2-Ausstoß zu reduzieren - im Gegenteil. Da kann man sagen: Das war ein Flop. Aber immerhin gibt es diesen Prozess. Ähnlich ist es mit dem Leitpapier "Agenda 21" oder mit der Biodiversitäts-Konvention, die ebenfalls beide 1992 in Rio vereinbart wurden.

Also kein Unterschied zwischen damals und heute - noch immer wird viel verhandelt und wenig umgesetzt.

Zwei Unterschiede gibt es, würde ich sagen. Zum einen ist heute die Ernüchterung größer, weil klar geworden ist, dass ökologische Probleme sich nicht mit einem Schlag auf einer Konferenz lösen lassen. Zum anderen gibt es heute jedoch auch weltweit die Erkenntnis, dass erneuerbare Energien nicht nur machbar sind, sondern sich auch ökonomisch rechnen. Viele Schwellenländer, darunter China, haben sehr ehrgeizige erneuerbare Energiepläne und Investitionsprogramme aufgelegt. Leider sind die Fortschritte nicht so groß, dass sie unumkehrbar wären. Und leider ist die Weltwirtschaft nach wie vor stark erdöl-, erdgas- und kohlegetrieben.

Zugleich ist der Begriff der "Nachhaltigkeit" in aller Munde - von der Bundesregierung bis zum IWF sprechen alle über "grünes Wachstum". Ist das nur Rhetorik oder steckt mehr dahinter?

Oft ist es Rhetorik. Aber viele internationale Organisationen, etwa die OECD oder das UN-Umweltprogramm Unep, haben Berichte zum "grünen Wachstum" vorgelegt. All diese Berichte betonen, dass wir angesichts von Klimawandel und Ressourcenverknappung ein anderes Wirtschaften brauchen. Die Unep beispielsweise verlangt ein massives Investitionsprogramm in Höhe von 2 Prozent des Weltbruttosozialprodukts - Investitionen in erneuerbare Energien, in Energieeffizienz, in ökologischen Städtebau, in ökologische Landwirtschaft. Es fehlt also nicht an guten Konzepten.

Gibt es überhaupt grünes Wachstum? Oder ist das ein Widerspruch in sich?

Wer in erneuerbare Energien investiert, wer in öffentlichen Nahverkehr statt in Auto-Mobilität investiert, der wird immer das Bruttosozialprodukt anheizen und zum Wachstum beitragen. Vor allem in den Industrieländern brauchen wir allerdings nicht nur grünes Wachstum, sondern auch ein Nachdenken darüber, wie wir unsere Konsum- und Produktionsweisen deckeln können. Wir müssen über Lebensstile nachdenken, wir müssen über "weniger ist mehr" nachdenken. Diese Konzepte spiegelt die grüne Ökonomie nicht wider. "Grüne Ökonomie" ist letztlich nur der Vorschlag, die Wirtschaft etwas ressourceneffizienter zu machen, ohne groß etwas zu verändern. Nicht einmal das ist in Rio konsensfähig.

Woran liegt das?

Aus meiner Sicht mangelt es den Regierungen an Verantwortungsbewusstsein. Im Norden gibt es keine Bereitschaft, den Ressourcenverbrauch einzuschränken und der historischen Verantwortung für die globale Erwärmung gerecht zu werden. Und der Süden hat kein Interesse, sich von einer internationalen Konferenz Vorschriften machen zu lassen, die ihn daran hindern könnten, den eingeschlagenen Pfad der Industrialisierung zu verlassen.

Ist das nicht nachvollziehbar?

Oberflächlich betrachtet ist das sicherlich nachvollziehbar. Es ist dennoch ein ernsthaftes Problem. Unser Verbrauch geht schon seit vielen Jahren weit über das hinaus, was der Planet aushält. Wir zerstören die Öko-Systeme, die wir zum Leben brauchen. Das ist für mich das Schockierende: Dass sich keine Regierung dieser Welt in der Verantwortung sieht, die Negativtrends umzukehren.

Negativtrends?

Klimawandel, Entwaldung, Überfischung, Verlust der biologischen Vielfalt. Stattdessen wird so getan, als lebten wir auf einem Planeten mit unbegrenzten Ressourcen. Als gäbe es keine Grenzen dafür, wie stark wir die Atmosphäre belasten, als gäbe es keinen massiven Bodenverlust, der unsere Ernährungssicherheit gefährdet. Das finde ich skandalös.

"Lehrstunde in globaler Diplomatie" für Umweltminister Altmaier.

"Lehrstunde in globaler Diplomatie" für Umweltminister Altmaier.

(Foto: dpa)

Und dennoch wird über die Abschlusserklärung gestritten.

Mit der Aufgabe, um die es eigentlich gehen sollte, hat das wenig zu tun. Ich habe mir die Entwürfe für die Abschlusserklärung angesehen. Da geht es über weite Strecken nur darum, Verhandlungsergebnisse früherer Gipfel noch einmal zu bestätigen. Ich empfinde das als Politikversagen.

Haben Sie Verständnis dafür, dass die Bundeskanzlerin nicht nach Rio reist? Sie sagt, sie wäre gern gefahren, aber sie habe zu viel zu tun.

Ach ja, sie hat sicher viel zu tun... Es ist trotzdem ein verheerendes Signal. Sie sagt damit, dass der Zustand des Planeten und die Armut auf der Welt sie nicht interessiert. Die Kanzlerin hätte die Weltbühne in Rio wunderbar nutzen können, um zu zeigen, dass ein hochindustrialisiertes Land wie Deutschland den Einstieg in die erneuerbaren Energien schafft und gleichzeitig aus der Atomkraft aussteigt. Das wäre eine sehr positive Botschaft gewesen. Diese Chance nutzt sie leider nicht. Das ist wirklich schade.

Glauben Sie, dass die Minister Altmaier und Niebel Deutschland in Rio gut vertreten werden?

Die Bundesregierung, vor allem das Umweltministerium, hat sehr darum gekämpft dass es eine Aufwertung der Umweltinstitutionen im UN-System geben wird. Diesen Pfad wird Herr Altmaier sicher weiter verfolgen. Aber er hat keinerlei Erfahrung mit UN-Konferenzen. Für ihn ist es also eine Lehrstunde in Sachen globaler Diplomatie. Und Herr Niebel hat im Vorbereitungsprozess nicht gerade den Eindruck erweckt, als wolle er mit seinem Ministerium einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich sehe Deutschland ziemlich schwach vertreten und nicht mit wirklich guten Ideen präsent. Die Bundesregierung ist allerdings immer noch besser als der Großteil derer, die hier vor allem eines machen: blockieren.

Mit Barbara Unmüßig sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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