Politik

FDP scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde "Dass wir so eine Scheiße noch erleben"

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Die FDP hat im Wahlkampf nicht wirklich überzeugen können.

(Foto: dpa)

Die Liberalen landen im politischen Niemandsland, in der außerparlamentarischen Opposition. Nirgends ist der Frust darüber so deutlich spürbar wie bei der Wahlparty der FDP in Berlin.

Bei einigen FDP-Mitgliedern währt die Zuversicht lange: Es ist 17.30 Uhr, Dutzende Liberale treffen sich vor der Wahlparty im Berliner Congress-Centrum am Buffet. Ein Mitglied des Landesverbands Niedersachsen sagt: "Ein sehr gutes Ergebnis wären 7 oder 8 Prozent. Ich verwette Haus und Hof darauf, dass das klappt." Ein Kollege aus Sachsen pflichtet bei. "Ja, da kann man schon was drauf verwetten", sagt er und spricht von 6 Prozent plus X. Das sei auf jeden Fall drin.

Grund zur Zuversicht haben die Liberalen. Der FDP ist es in ihrer Geschichte schließlich immer wieder gelungen, den Umfragen zu trotzen. Doch manch ein Parteimitglied ahnt schon vor der ersten Prognose, dass es an diesem Abend anders kommt.

"Man hätte die AfD beachten müssen"

An einem der Stehtische nippt eine Frau mittleren Alters an ihrem Bier. Sie hat früher in der Berliner Fraktion gearbeitet. "Man hätte im Wahlkampf die AfD beachten müssen ", sagt sie. Ihrer Meinung nach schadete auch die Zweitstimmenkampagne der Partei, das Betteln um strategische Stimmen von Unionsanhängern.  "Das sah aus wie Schlussverkauf. Ich denke, dass man über Inhalte Wahlkampf machen sollte und nicht über bloße Taktik." Sie sei ein fröhlicher Mensch, doch heute sei sie pessimistisch.

Minuten später bestätigt sich ihre Vorahnung. Die Liberalen sind vom Buffet in den großen Saal des Congress Centrums umgezogen. Auf einer Leinwand flimmern die Prognosen der Sender. Der gelbe Balken für die FDP bewegt sich kaum, bleibt bei 4,7 Prozent stehen. Selbst die Polit-Neulinge von der AfD schneiden besser ab. Zum ersten Mal in der Geschichte der Partei schaffen es die Liberalen nicht in den Bundestag.

Durch den Saal geht ein Raunen, Murmeln, dann Stille. Die Dame vom Buffet steht mittendrin in der Menge. Während ihre Nachbarin ihren aufklappenden Mund mit ihrer Hand verdeckt, nimmt sie nur wieder einen Schluck von ihrem Bier. Dann nickt sie ein paar Mal. So gefasst wie die frühere Berliner Fraktionsmitarbeiterin nimmt kaum einer das Ergebnis auf.

Rösler deutet Rücktritt an

Um 18.40 Uhr tritt die erste Reihe der FDP auf die Bühne, die Mitglieder des Präsidiums. Mit gefalteten Händen und zerfurchten Stirnen stehen sie da. Spitzenkandidat Rainer Brüderle tritt zuerst ans Podium. "Das ist eine schwere Stunde für die FDP", sagt er. "Als Spitzenkandidat übernehme ich dafür die Verantwortung." Als er den Mitarbeitern für ihr Engagement im Wahlkampf dankt, bricht eine junge Frau am Rande der Bühne in Tränen aus. Dass die FDP künftig nicht mehr im Parlament vertreten ist, bedeutet für viele Anwesende womöglich auch den Verlust ihres Arbeitsplatzes.

Nur ein paar Meter neben jener weinenden Frau (sie ist nicht die Einzige) sagt einer: "Mann, Mann, Mann, ich bin seit 40 Jahren Parteimitglied. Dass wir so eine Scheiße noch erleben müssen." Ihm kann der Führungswechsel gar nicht schnell genug gehen. "Wir müssen wieder ganz von vorne anfangen", sagt er. "Mit einer ganz neuen Mannschaft." Immer wieder fällt an diesem Abend der Name Christian Lindner. Dass die Zukunft der FDP nicht Philipp Rösler gehört, ist offensichtlich ausgemachte Sache und selbst dem Parteivorsitzenden bewusst.

Rösler tritt als nächstes Mitglied des Präsidiums ans Mikrofon: "Es ist die bitterste, die traurigste Episode der Geschichte der Freien Demokratischen Partei", sagt er und beteuert, dass die FDP auch in schwierigen Zeiten nicht aufhören wolle zu kämpfen. Er aber offenbar schon. Wie Brüderle kündigt Rösler an, die Verantwortung zu übernehmen. Bei ihm allerdings klingt das viel deutlicher nach Rücktritt. Rösler spricht nicht nur von "persönlichen" Konsequenzen, er sagt über seine Arbeit: "Das war für mich nie nur ein einfacher Job ... Es war auch eine Leidenschaft." Nach kaum zehn Minuten tritt die Riege der zerfurchten Stirnen ab.

"Jetzt beginnt das Frustfressen"

Da haben längst immer mehr Hochrechnungen das bittere Wahlergebnis zementiert. Reporter wuseln durch die Reihen der Liberalen im großen Saal. "Eine kurze Reaktion auf das Wahlergebnis, bitte", heißt es hier und heißt es dort. Einige Parteimitglieder bekunden nur ihre Trauer und wollen weiter nichts sagen. Sie wollen all das noch nicht wahrhaben. Aussagekräftiger als Interviewantworten sind aber ohnehin die Worte, die die Liberalen an diesem Abend miteinander wechseln, wenn sie glauben, dass niemand mithört. Natürlich ziehen sie sich dafür wieder zum Buffet zurück.

Auf dem Weg dorthin raunt eine Frau ihrer Parteikollegin zu: "Ich versteh' das schon. 4,7 Prozent der Bevölkerung. Mehr mag ich auch nicht." Die anderen, die 95,3 Prozent, das sind die Idioten, so muss man diesen Satz wohl lesen. Die totale Verbitterung. Vor den Schüsseln mit Kartoffeleintopf und Wiener Würstchen heißt es: "Jetzt beginnt das Frustfressen."

Quelle: ntv.de

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