"Euro Hawk"-Affäre De Maizière schiebt die Schuld auf andere
05.06.2013, 11:32 Uhr
Verteidigungsminister de Maizière im Verteidigungsausschuss des Bundestags.
(Foto: REUTERS)
Wochen nach Bekanntwerden der "Euro Hawk"-Affäre räumt Verteidigungsminister de Maizière erhebliche Pannen bei der gescheiterten Anschaffung der Drohnen ein. Die Schuld sieht er allerdings nicht bei sich, sondern in einer "gelebten Tradition" seines Ministeriums. Wahrscheinlich ist, dass andere Köpfe rollen werden. Doch auch damit lässt de Maizière sich Zeit.
Wenn es stimmt, was Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagt, dann ist er in der Drohnen-Affäre wohl weitgehend aus dem Schneider. Allerdings wird immer offensichtlicher, dass der Rüstungsbereich im Verteidigungsressort vom Minister zumindest bislang kaum zu kontrollieren war.

Soll Verteidigungsminister de Maizière zurücktreten?
Bei einem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuss sagte de Maizière, von Problemen bei der Zulassung der Drohne sei ihm erstmals im März 2012 berichtet worden - mit dem Zusatz, dass die Probleme lösbar seien. Am 13. Mai 2013 sei er mit dreitägiger Verspätung über die Entscheidung zum Ausstieg aus dem Projekt in Kenntnis gesetzt worden.
De Maizière legte dem Ausschuss einen 67-seitigen Untersuchungsbericht vor, aus dem hervorgeht, dass seine Staatssekretäre Stéphane Beemelmans und Rüdiger Wolf spätestens im Februar 2012 von den Zulassungsproblemen und einer drohenden Kostenexplosion wussten.
Der Verteidigungsminister absolviert heute einen Drohnen-Marathon: Am Vormittag sprach er im Verteidigungsausschuss, für den Nachmittag ist auf Antrag der Unionsfraktion eine Aktuelle Stunde angesetzt - ein Verfahrenstrick, mit dem die Union die von der SPD beantragte Fragestunde im Bundestag verhinderte. De Maizière muss die Fragen nun lediglich schriftlich beantworten.
De Maizière behält sich Rauswürfe vor
Bei seinem Auftritt vor dem Verteidigungsausschuss schloss de Maizière einen Rücktritt aus. Nach Angaben von Teilnehmern sagte der Minister, er habe sich nichts vorzuwerfen. Er habe Schlimmeres verhindert und wolle künftig genauer über Rüstungsprojekte informiert werden. Personelle Konsequenzen in seinem Ministerium behalte er sich allerdings vor.
Beemelmans und Wolf warf er eine falsche Informationspolitik vor. Aus den Reihen der Opposition war bereits die Entlassung Beemelmans gefordert worden. De Maizière kündigte aber zunächst weitere Prüfungen an. Nach seiner Darstellung sind die Fehler von Beemelmans und Wolf typisch für das Verteidigungsministerium: Eine Entscheidungsfindung auf der Ebene der Staatssekretäre wie in der "Euro Hawk"-Affäre "entspricht einer in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gelebten Tradition des Verteidigungsministeriums zu Rüstungsangelegenheiten", so de Maizière. "Gleichwohl ist sie nicht in Ordnung."
Staatssekretäre wussten Bescheid
Laut Untersuchungsbericht des Ministeriums wurden Beemelmans und Wolf am 28. Februar 2012 von den Zweifeln der Fachebene unterrichtet, dass der "Euro Hawk" möglicherweise überhaupt nicht werde fliegen dürfen. Im März wurde dann eine Arbeitsgruppe beschlossen, die andere Zulassungsverfahren vorbereiten sollte. Noch im August 2012 berichtete demnach das Bundesamt für Beschaffungswesen, dass eine Aufnahme eines Testflugbetriebes Anfang Dezember 2012 möglich sei - weshalb der Entwicklungsvertrag für das Projekt zunächst weiter verlängert worden sei.
Am 5. Oktober 2012 verfügte Beemelmans dann eine generelle Überprüfung des Zulassungsverfahrens und eine Vorlage bis Jahresende. Am 20. Dezember bekamen Wolf und Beemelmans laut Bericht die Empfehlungen aus den zuständigen Abteilungen, dass der Mehraufwand für den "Euro Hawk"-Betrieb bis zu 600 Millionen Euro betragen könnten und die Beschaffung der "Euro Hawks" daher nicht mehr weiter verfolgt werden sollte.
Der Bericht wirft allerdings erneut die Frage auf, ob die Führung des Verteidigungsministeriums in der Lage ist, das Ressort zu kontrollieren: Als Wolf am 4. Januar nachfragte, ob die Kündigung schon erfolgt sei, erhielt er laut Bericht zunächst die Antwort, dass dies nicht nötig sei. Am 10. April ordnete Wolf schließlich laut Bericht das Aus an. De Maizière sagte im Verteidigungsausschuss, über diese Entscheidung sei er erst am 13. Mai informiert worden. Er habe sie dann im Nachhinein gebilligt.
Ministerium hielt Risiken für "akzeptabel"
In dem Bericht heißt es, dass die Verweigerung der Zulassung wegen des nicht vorhandenen Antikollisionssystems der Aufklärungsdrohne so klar nicht absehbar gewesen sei. Mit Hinweis auf ein seit 2006 abgestimmtes Verfahren seien "sämtliche Risiken als akzeptabel (vergleichbar zur bemannten Luftfahrt) durch die Deutsche Flugsicherung und das Bundesverteidigungsministerium eingestuft" worden.
"Es wurde davon ausgegangen, dass bei so renommierten, international anerkannten Luftfahrtunternehmen wie Northrop Grumman und insbesondere der EADS Deutschland keine Unklarheiten über den Umfang und die Qualität von Musterprüfungen bestehen würden", heißt es zudem. EADS liefert die Sensorik für den "Euro Hawk", das Fluggerät selbst kommt vom US-Hersteller Northrop Grumman.
Probleme spätestens seit 2011 bekannt
Im Zentrum der Drohnen-Affäre stehen Zulassungsprobleme und Informationspannen. Politisch verantwortlich ist dabei nicht allein de Maizière: Die Pläne zur Anschaffung des "Euro Hawk" reichen zurück in die Zeit der rot-grünen Bundesregierung. Anfang 2007 beschloss der Bundestag mit der Mehrheit der Großen Koalition, vier Aufklärungsdrohnen dieses Typs anzuschaffen.
Vier Jahre später wurde der erste Prototyp nach Deutschland überführt. Spätestens jetzt hätten im Verteidigungsministerium alle Alarmsignale angehen müssen, denn die US-Behörden verweigerten dem "Euro Hawk" die Überflugrechte. Der Grund: Die Drohne hat keinen automatischen Kollisionsschutz. Eine Überraschung hätte das eigentlich nicht sein dürfen: Auch Drohnen vom Typ "Global Hawk", auf denen die "Euro Hawks" basieren, fliegen ohne Kollisionsschutz. Bei Einsätzen in den USA wird der Luftraum gesperrt, in dem sich das Fluggerät bewegt. Für die Überführung sei die Drohne am Ende über Kanada und Grönland geflogen, schreibt der "Spiegel". Zwei Mal während des Flugs sei die Verbindung zur Bodenstation abgebrochen.
Noch im Juni 2012 warb de Maizière vor dem Verteidigungsausschuss für das Drohnen-Projekt. Im selben Monat lief die Gewährleistungsfrist für den "Euro Hawk" ab. Medienberichten zufolge wusste das Verteidigungsministerium zu diesem Zeitpunkt längst, dass die Drohne keine Zulassung für den europäischen Luftraum erhalten würde - spätestens seit 2011, wahrscheinlich schon seit 2004, also noch vor Abschluss des Vertrags.
Vor wenigen Tagen hatte der Bundesrechnungshof de Maizière zumindest teilweise entlastet: Ein früherer Abbruch des Projekts hätte dazu geführt, dass auch die Tests der Aufklärungstechnik des europäischen Konzerns EADS hätten abgebrochen werden müssen. Und damit wären weitere Investitionen in den Sand gesetzt worden.
"De Maizière wird Ministeramt vermutlich verlieren"
Der Politologe Oskar Niedermayer sagte n-tv.de, er könne sich kaum vorstellen, dass de Maizière bis zur Wahl von sich aus das Handtuch werfe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel werde ihren Minister so kurz vor der Wahl nicht zum Rücktritt zwingen. "Das kann Merkel sich nicht leisten."
Niedermayer geht nicht davon aus, dass die Drohnen-Affäre die Bundestagswahl beeinflusst - zumal de Maizière nicht zu den Politikern gehöre, die Einfluss auf das Wahlverhalten hätten. Allerdings sei der Minister angeschlagen. "Wenn die schwarz-gelbe Regierung bei der Bundestagswahl bestätigt wird, wird er sein Ministeramt vermutlich verlieren."
Quelle: ntv.de, hvo/dpa/rts/AFP