Keine Basis für Einwanderungspunkte De Maizière tadelt Brüderle
19.10.2010, 07:56 UhrDie Pläne für eine erleichterte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte nach Deutschland sorgen innerhalb der schwarz-gelben Koalition für Kontroversen. Innenminister De Maizière wirft seinem FDP-Kabinettskollegen Brüderle vor, bei seinem Vorschlag für ein Punktesystem für Zuwanderer vor allem die Bedürfnisse der Arbeitgeber im Blick zu haben.

Migranten leisten einen erheblichen Beitrag zu Deutschlands Wirtschaftskraft.
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Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat sich strikt gegen das in der Koalition geforderte Punktesystem für qualifizierte Zuwanderer ausgesprochen. "Jeder plaudert so daher, ohne sich mit der Sach- und Rechtslage zu beschäftigen", sagte er im ZDF. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hatte ein solches System gefordert.
De Maizière betonte: "Das bestehende Recht ist sehr zuwanderungsfreundlich, wenn man es klug nutzt." Indirekt warf der CDU-Politiker Brüderle vor, einen wirtschaftsfreundlichen Ansatz auf dem Rücken der Betroffenen zu verfolgen: "Es geht aber um Menschen, und nicht darum, dass den Arbeitgebern wie gebratene Tauben zu Billiglöhnen irgendwelche Leute zugeführt werden vom Staat." Auch für Ingenieure aus Indien oder Pflegekräfte aus Ukraine reiche das geltende Recht.
Zu grobes Instrument
Auch der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, lehnte das Punktesystem ab. "Ein Punktesystem ist im Vergleich zu den sehr differenzierten Zuwanderungsregelungen, die es bereits bei uns gibt, viel zu grob und für eine Feinsteuerung ungeeignet", sagte er der "Rheinischen Post". Die Ausbildung der jungen Menschen und die Qualifizierung der älteren Arbeitnehmer in Deutschland müssten grundsätzlich im Vordergrund stehen.
Der für Bildung zuständige stellvertretende Unionsfraktionschef Michael Kretschmer betonte in der "Financial Times Deutschland", es sei schneller und effizienter, das jetzige Zuwanderungsrecht zu behalten und die Einkommensgrenze auf 40.000 Euro zu senken. Bislang erhalten nur solche Zuwanderer eine Aufenthaltserlaubnis, die mehr als 66.000 Euro im Jahr verdienen.
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Der aus dem Iran stammende Apotheker Homajun Nobacht kam nach dem Abitur nach Deutschland, um Pharmazie zu studieren. Heute hat er eine Apotheke in Neu-Isenburg.
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Der Innenminister begrüßte das geplante Gesetz zur beschleunigten Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Nach Angaben von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) soll es bis zu 300.000 Fachkräften mit ausländischen Wurzeln die Anerkennung erleichtern. Das neue Gesetz soll nach Schavans Angaben bereits Anfang 2011 in Kraft treten. Das Verfahren soll in Zukunft maximal drei Monate dauern. Wenn die Fachkenntnisse der Bewerber nicht ausreichten, könnten sie nachqualifiziert werden.
Schavan (CDU) kündigte an, offensiv um Fachkräfte aus dem Ausland werben zu wollen. "Angesichts der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland finde ich, dass wir nicht den Eindruck erwecken sollten, zu uns muss niemand mehr kommen", warnte die stellvertretende CDU-Vorsitzende in der ARD. Ähnlich äußerte sich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im ZDF.
Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) begrüßte in der "Passauer Neuen Presse" die Pläne zur erleichterten Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. "Wir dürfen das Fachkräftepotenzial, das wir bereits in Deutschland haben, nicht länger ignorieren und ungenutzt lassen", sagte er. "Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist ein zentraler Punkt, um den Fachkräftebedarf in Deutschland zu befriedigen."
Von überall willkommen
Von der Leyen widersprach dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Fachkräfte seien auch dann willkommen, wenn sie einen arabischen oder muslimischen Hintergrund haben: "Sie können aus allen Ländern kommen, wenn sie die Sprache beherrschen, wenn sie bereit sind, das Land voranzubringen. Wenn sie die Berufe haben, den Bildungsstand haben, den wir hier brauchen", sagte sie. Zugleich betonte sie, dass sie im Ziel mit Seehofer vollständig einig sei.
Auch die Deutsche Industrie distanzierte sich von Seehofers Äußerungen. "Wir können schlecht über eine globalisierte Wirtschaft sprechen und dann anfangen zu definieren, hinter welcher Grenze der jeweils nicht mehr beliebte Nachbar wohnt", sagte Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) n-tv. Er forderte die Politik auf, die Diskussion zu versachlichen. "Wir müssen uns hier an den Fakten orientieren und nicht an den Emotionen", sagte er.
Neue Sanktionen nötig?
CSU-Landesgruppenchef Friedrich forderte zudem schnellere und härtere Sanktionen gegen Integrationsverweigerer. "Wer Sozialleistungen in Anspruch nehmen will, muss sich integrieren", sagte er in der "Rheinischen Post". Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lehnt schärfere Sanktionen ab. Der "Passauer Neuen Presse" sagte sie: "Es gibt wirksame Sanktionsmöglichkeiten von Kürzungen der Sozialleistungen bis hin zur Beendigung des Aufenthaltsstatus. Diese Instrumente müssen nur angewendet werden. Wir brauchen keine neuen Sanktionen."
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beziffert die Zahl der Menschen, die trotz einer entsprechenden Verpflichtung nicht oder nur teilweise an Integrationskursen teilnehmen, auf 10 bis 20 Prozent. Allerdings lasse sich "die Zahl der Personen, die einen Integrationskurs tatsächlich abbrechen, nicht abschließend beziffern", sagte die Sprecherin des Amtes, Rochsana Soraya, der "Mitteldeutschen Zeitung". Zurzeit nehmen nach ihren Angaben 140.000 Menschen an etwa 16.000 Kursen teil.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts