"Es kann ums Sterben und Töten gehen" De Maizière zwingt die Truppe zur Reform
18.05.2011, 18:52 Uhr
Auf dem Weg: Der Verteidigungsminister hat seine Reform verkündet.
(Foto: dpa)
Bundesverteidigungsminister de Maizière geht der Bundeswehr an den Kragen. Wer bei seiner Reform mitziehe, werde schnell eine Aufgabe finden. "Wer dies nicht kann, der hat keinen Platz." Ein Blick in die neuen Leitlinien der Bundeswehr zeigt, dass Deutschlands Sicherheit weltweit verteidigt werden soll. Freier Welthandel wird Sicherheitsinteresse.
Die Botschaft des Verteidigungsministers war unmissverständlich. "Wir haben für die Zahl unserer Aufgaben zu viele Stäbe", sagte er vor dem versammelten Führungspersonal der Bundeswehr in der Berliner Julius-Leber-Kaserne. Es gebe zu viel Aufsicht über zu wenig Arbeit. "Es wird zu wenig oben gemacht, und zu wenig unten erlaubt", fuhr Thomas de Maizière fort. Die Reform der Bundeswehr werde "keine Schönwetterveranstaltung". Wer mitgestalten wolle, werde schnell seine Aufgabe finden. "Wer dies nicht kann, der hat keinen Platz."
Mit Spannung war die Vorstellung der Eckpunkte der Bundeswehrreform erwartet worden. Neben den nackten Zahlen ging es um die grundsätzliche Haltung de Maizières zum Erbe seines Vorgängers Karl-Theodor zu Guttenberg, der ziemlich übereilt die Wehrpflicht abgeschafft und die Reform angekündigt hatte.

Werden sie folgen? De Maizière muss auf die Reformfreude seines Ministeriums wie auch der Bundeswehr hoffen.
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Der Verteidigungsminister ließ keinen Zweifel am Reformbedarf aufkommen. Die Soldaten leisteten zwar gute Arbeit. Aber Fähigkeiten, Finanzierung und Führungsstrukturen seien den Anforderungen und Aufgaben der Bundeswehr nicht mehr gewachsen. "Es gibt gravierende Mängel", stellte de Maizière klar. Dem Nachfolger Guttenbergs mangelt es nicht an der Fähigkeit zur klaren Sprache. Und dass er seine Pläne erst den Generälen in der Kaserne und dann vor der Hauptstadtpresse präsentierte, zeigt zum einen seinen Willen, die Truppe bei der Reform mitzunehmen; zum anderen aber auch seine Bereitschaft, den Konflikt mit den Verantwortlichen zu suchen. Seine Aussage, "die Zahl der Generäle wird verringert", ist ein weiterer Beleg dafür.
Guttenbergs Erbe
De Maizière hat ein schwieriges Erbe, denn er muss nun umsetzen, was Guttenberg versprochen hatte. "Er hat dieses große Rad angeworfen. Das ist und bleibt sein Verdienst", würdigte er seinen Vorgänger. Und dann zeigte der Verteidigungsminister, dass er es weiterdrehen kann.
De Maizières Vorstellung unterschied sich schon deshalb wesentlich von Guttenberg, weil er in den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien die Aufgaben der Bundeswehr konkretisiert und daraus seine Reformpläne ableitet. "Alle Kürzungen müssen von der Aufgabe her gedacht werden", sagte der CDU-Politiker. Und da hielt der Verteidigungsminister einige Überraschungen im Detail parat.
Neue Leitlinien
De Maizière nannte drei sicherheitspolitische Ziele: Sicherheit und Schutz der Bürger, territoriale Integrität und Souveränität Deutschlands und seiner Verbündeten sowie die Wahrnehmung internationaler Verantwortung. "Die Bundeswehr muss in der Lage sein, der Politik ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu bieten", sagte der Minister. Deutschland müsse in der Lage sein, "einen seiner Größe entsprechenden, politisch und militärisch angemessenen Beitrag zu leisten und dadurch seinen Einfluss, insbesondere seine Mitsprache bei Planungen und Entscheidungen sicherzustellen." Internationale Verantwortung, die Streitkräfte als Handlungsinstrument - das klingt ein wenig nach Krieg als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Und liest man sich die in den Leitlinien formulierten Sicherheitsinteressen durch, wird dieser Eindruck noch verstärkt.
Nicht nur Krisen und Konflikte einzudämmen und zu verhindern liege im deutschen Interesse, heißt es da. Oder die transatlantische Partnerschaft zu stärken und sich für Menschrechte und Demokratie einzusetzen. Zum Interesse deutscher Politik gehöre es auch, "einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen." Da fühlt man sich an die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler erinnert, der über den Einsatz von freien Handelswegen redet und nach Kritik an diesen Worten zurücktrat. Die Details des Papiers dürften also noch für Diskussionsstoff sorgen.
"170 plus 5 plus x"
Groß dürfte der Streit auch bei der anstehenden Umsetzung der Reform werden, wenn aus den Zahlenvorgaben de Maizières konkrete Kürzungen werden. Die Obergrenze von 185.000 Soldaten war bereits bekannt. Der Verteidigungsminister definierte nun diese Zahl als "170 plus 5 plus x": 170.000 Zeit- und Berufssoldaten, 5000 freiwillige Wehrdienstleistende als Untergrenze und bis zu 10.000 weitere Wehrdienstleistende, wenn es so viele Interessenten geben sollte. "Personal halten, gewinnen und reduzieren", formulierte de Maizière die Herausforderungen, vor denen er steht. Der Dienst müsse attraktiv gestaltet werden. "Wir können stolz auf unsere Soldaten sein. Sie sollen es als Auszeichnung empfinden, Deutschland zu dienen."
Dazu gehört allerdings auch ein attraktiver Beruf. Die ersten Erfahrungen mit der neuen Freiwilligenarmee zeigen, wie gering das Interesse geeigneter Bewerber ist. Für de Maizière gehört eine attraktivere Gestaltung des Soldatenberufs deshalb unabdingbar zur Reform. Allerdings auch eine größere Ehrlichkeit. "Soldaten müssen kämpfen können, um nicht zu sterben, oder um das Leben anderer zu schützen", sagte der Minister. Man müsse akzeptieren, dass Tod, Verwundung und psychische Verletzungen möglich seien. "Im äußersten kann es ums Sterben und Töten gehen." Wer die Bundeswehr bejahe, müsse auch das bejahen.
"Wir haben uns viel vorgenommen", sagte de Maizière mit Blick auf die Umsetzung der Reform. Sie gleiche einer "Operation am offenen Herzen, während der Patient weiter spazieren geht". Damit das gelingt, will er die Opposition einbinden. Die SPD kündigte bereits grundsätzlich ihre Bereitschaft an. "De Maizière ist tatsächlich ein Minister, der zuerst einmal nachdenkt und dann redet, und das ist die richtige Reihenfolge", lobte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold seinen CDU-Kollegen. Bei der Entscheidung über die Schließung von Standorten wartet im Herbst allerdings noch die größte Bewährungsprobe auf de Maizière. Dann wird sich zeigen, ob sich der Verteidigungsminister mit seinen Plänen auch durchsetzen kann.
Quelle: ntv.de