Vizepräsident des libyschen Übergangsrats Demonstranten erwirken Rücktritt
22.01.2012, 11:02 UhrSie werfen Brandsätze auf den Sitz des Nationalen Übergangsrates (NTC) und fordern mehr Transparenz und schnellere Reformen: Tausende von aufgebrachten Kritikern demonstrieren in Bengasi. Der NTC-Vize-Vositzende Ghoga, der als Wendehals beschimpft wird, zieht Konsequenzen und tritt zurück.

Abdelhafis Ghoga war einer der ersten, die im vergangenen Februar Proteste gegen Staatschef Al-Gaddafi organisierten.
(Foto: picture alliance / dpa)
Als Reaktion auf Massenproteste wütender Demonstranten in Bengasi hat der Vizepräsident des Übergangsrats in Libyen seinen Rücktritt angekündigt. Er verzichte "im Interesse der Nation" auf sein Amt, sagte Abdel Hafes Ghoga dem Fernsehsender Al-Dschasira. Die Annahme des neuen Wahlgesetzes, das eigentlich heute vorgestellt werden sollte, wurde wegen noch offener Fragen um mehrere Tage verschoben.
Mit seiner Entscheidung reagiere er auf "die jüngsten Ereignisse", sagte Ghoga in Anspielung auf die seit Tagen anhaltenden Proteste gegen ihn. Sein Rückzug zeige, dass der Übergangsrat keine regierende Behörde sei. "Wir streben nicht nach Posten."
4000 Studenten protestieren
Ghoga war bereits am Donnerstag in der Universität von Bengasi von Studenten angegriffen worden, die ihm vorwarfen, Teil der alten Führung um Libyens früheren Machthaber Muammar al-Gaddafi gewesen zu sein. Heute protestierten erneut rund 4000 Studenten gegen Ghoga und forderten seinen Rücktritt. Sie kritisierten zudem die Festnahme von elf Kommilitonen nach den Demonstrationen vom Donnerstag.
Am Samstag hatten aufgebrachte Demonstranten den Sitz des Übergangsrats in Bengasi gestürmt und geplündert. Hintergrund der Proteste, an denen sich am Abend rund 2000 Menschen beteiligten, waren Vorwürfe mangelnder Transparenz und Kritik an der Weiterbeschäftigung von Mitgliedern der gestürzten libyschen Führung.
Berichten von Augenzeugen zufolge drangen mit Steinen und Metallstangen bewaffnete Demonstranten in das Gebäude ein und warfen selbstgebaute Sprengsätze. Die Demonstranten setzten die Fassade des Gebäudes in Brand, zerstörten Fenster und ein gepanzertes Fahrzeug, wie Ratsmitglied Fathi Badscha sagte. Der Vorsitzende des Übergangsrats, Mustafa Abdul Dschalil, wurde von Demonstranten mit Plastikflaschen beworfen. Die Proteste gegen den Übergangsrat halten seit Wochen an.
Tagung an geheimem Ort
Wegen des Angriffs auf seinen Sitz tagte der Rat heute an einem geheimen Ort. Die eigentlich für Sonntag geplante Annahme des neuen Wahlgesetzes wurde verschoben. "Einige Artikel müssen noch einmal überprüft werden", sagte Abderrasak al-Aradi, "das Gesetz wird am 28. Januar angenommen". Die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung soll im Juni stattfinden.
Umstritten ist vor allem der Plan, in der Verfassungsversammlung zehn Prozent der Sitze für Frauen zu reservieren. Dieser Artikel werde wegen Protesten dagegen wahrscheinlich gestrichen, sagte al-Aradi. Auch Bestimmungen zu Wahlberechtigten und der Artikel, der es denjenigen, die unter Gaddafi verantwortungsvolle Positionen hatten, verbietet, sich zur Wahl zu stellen, würden erneut diskutiert.
Quelle: ntv.de, AFP