Hunderttausende protestieren in Kiew Demonstranten stürzen Lenin-Statue
08.12.2013, 22:08 UhrWeder Schnee noch die Warnungen der Polizei können die Gegner des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch von ihren Protesten abhalten. Zu Hunderttausenden ziehen sie erneut durch Kiew und machen ihrem Ärger mit einer drastischen Aktion Luft.
Bei den Massenprotesten in Kiew haben Demonstranten eine rund 3,50 Meter hohe Granitstatue von Revolutionsführer Lenin gestürzt. Die maskierten Täter hätten ein Stahlseil am bekanntesten Lenin-Denkmal der Millionenmetropole befestigt und die Figur umgekippt, sagte ein Sprecher der ukrainischen Polizei. Die Statue sei schwer beschädigt.

Maskiert und mit Helmen geschützt: Demonstranten rüsten sich für die Proteste in Kiew.
(Foto: REUTERS)
Die Maskierten sollen laut Polizei die Flagge der nationalistischen Freiheitspartei (Swoboda) geschwenkt und Leuchtgeschosse abgefeuert haben. Für ukrainische Nationalisten ist Lenin als Begründer der Sowjetunion eine Hassfigur.
Augenzeugen berichteten im Fernsehen, dass der Kopf abbrach. "Jemand schlägt hier mit dem Hammer auf die Figur", sagte ein Mann. Es seien auch Schreie "Weg mit dem Henker des ukrainischen Volkes" zu hören. Bereits 2009 war die Statue von Unbekannten demoliert worden.
"Setzt euch nicht mit denen an einen Tisch"
Regierungsgegner waren zuvor erneut zu Hunderttausenden gegen Staatschef Viktor Janukowitsch auf die Straße gegangen. Auch Einschüchterungsversuche der Polizei hielten sie nicht ab. Janukowitsch steht wegen seiner Moskau zugewandten Politik seit Tagen massiv in der Kritik.
Die inhaftierte ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko hatte zuvor die pro-europäische Opposition vor Kompromissen mit der Führung der Ex-Sowjetrepublik gewarnt. "Gebt nicht auf und setzt euch nicht mit denen an einen Tisch", forderte die 53-Jährige in einer Erklärung, die ihre Tochter Jewgenija Timoschenko vor Demonstranten in der Hauptstadt Kiew verlas.
Ein Dialog mit der pro-russischen Führung sei nur möglich, wenn Präsident Janukowitsch Neuwahlen zustimme. "Janukowitsch hat seine Legitimität in dem Moment verloren, in dem er das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschrieb", betonte Julia Timoschenko, die eine umstrittene siebenjährige Haftstrafe absitzt. "Es steht auf Messers Schneide, ob wir endgültig in eine grausame Diktatur fallen oder ob wir in die europäische Gemeinschaft zurückkehren."
Klitschko will für das Präsidentenamt kandidieren
Der Oppositionspolitiker und Profiboxer Vitali Klitschko rief der Menge im Schneegestöber zu, die Ukrainer hätten sich versammelt, weil sie nicht in einem korrupten Land ohne Gerechtigkeit leben wollten. "Ich bin überzeugt, dass wir die Regierung mit friedlichen Mitteln stürzen können", sagte der Chef der Partei Udar auf dem Unabhängigkeitsplatz.

"Wir wollen nicht von dem Schlagstock eines Polizisten stumm gehalten werden", rief Klitschko.
(Foto: AP)
Bereits eine Woche zuvor hatten auf dem Platz 350.000 Menschen gegen die Entscheidung von Janukowitsch protestiert, ein Assoziierungsabkommen mit der EU in letzter Minute platzen zu lassen. Stattdessen strebt Janukowitsch eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland an, was die Spannungen in der Ukraine erhöht hat. So warnte die Polizei die Opposition kürzlich vor einem harten Durchgreifen, sollten die Demonstranten die Belagerung öffentlicher Gebäude in Kiew nicht bald beenden. Schon bei den Protesten am vergangenen Wochenende waren zahlreiche Demonstranten verletzt worden. Die Bilder weckten Erinnerungen an die "Orange Revolution" in der Ukraine vor neun Jahren.
"Wir wollen nicht von dem Schlagstock eines Polizisten stumm gehalten werden", sagte Klitschko nun unter dem Jubel der Demonstranten. Er forderte die Freilassung politischer Gefangener, die Bestrafung aller Verantwortlichen für die jüngste Polizeigewalt, den Rücktritt von Ministerpräsident Mikola Asarow sowie vorgezogene Wahlen für das Parlament sowie das Präsidentenamt. Zugleich ermahnte Klitschko die Menge, weiterhin friedlich zu demonstrieren.
Klitschko hatte zuletzt seine Absicht für eine Präsidentschaftskandidatur erklärt. Nach einem "Spiegel"-Bericht wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Gruppe der konservativen Parteien in der EU Klitschko durch gemeinsame Auftritte in der Öffentlichkeit den Rücken stärken und ihn damit offenbar zum Gegenkandidaten von Janukowitsch aufbauen. So erhalte Klitschkos Partei "Udar" derzeit auch logistische Unterstützung von der EVP und der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, unter anderem durch Schulungen.
UN-Generalsekretär appelliert an Janukowitsch
Die Sicherheitsbehörden leiteten indes Ermittlungen gegen die Opposition wegen angeblicher Umsturzversuche ein. Auslöser könnte der Aufruf des früheren Außenministers Arseni Jazenjuk zur Blockade des Regierungsviertels in Kiew gewesen sein. Der mit staatsanwaltlichen Befugnissen ausgestattete Inlandsgeheimdienst SBU teilte nach Angaben der Agentur Interfax mit, dass ein versuchter Staatsstreich mit fünf bis zehn Jahren Gefängnis bestraft werden könne. Es wurden keine Angaben darüber gemacht, gegen wen die Justiz ermittelt.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief Staatschef Janukowitsch zu Gesprächen mit der Opposition auf. Ban äußerte sich in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten besorgt über die Lage in der Ukraine und betonte, es dürfe in der Auseinandersetzung keine Gewalt angewendet werden, hieß es in einer Erklärung der UN. Ban rief "zum friedlichen Dialog zwischen allen betroffenen Parteien" auf.
Quelle: ntv.de, hah/rts/dpa/AFP