CDU im Umbruch Der Andenpakt tritt ab
15.11.2010, 20:53 Uhr
Rüttgers und Koch bekommen noch einmal großen Applaus.
(Foto: dapd)
Die CDU vollzieht den Generationenwechsel: Mit dem Rückzug der Andenpakt-Mitglieder wird die CDU-Spitze jünger und weiblicher. Merkels Modernisierungskurs schlägt sich auch personell nieder. Röttgen, von der Leyen, Schavan und Bouffier heißen die neuen Stellvertreter.
Der Wechsel beginnt mit dem Abschied vom Alten. Angela Merkel bittet Roland Koch auf die Bühne. "Wir sind nicht immer einer Meinung gewesen," erklärt die Bundeskanzlerin. "Wir haben uns immer wieder kritisch beäugt, sind aber am Ende Freunde geworden." Merkel strahlt, die CDU-Anhänger jubeln und Koch ist sichtlich erfreut. Der Applaus nimmt gar kein Ende mehr, der Abschied des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten als stellvertretender CDU-Vorsitzender gerät zur Feierstunde des künftigen Konzernchefs. Der Jubel der Delegierten kennt keine Grenzen. Merkel wird es unheimlich, sie bittet noch Jürgen Rüttgers auf die Bühne. Auch ein ehemaliger Ministerpräsident, der die Parteispitze verlässt. Aber einen Jubelsturm wie Koch kann er nicht erwarten. "Ein Koch ist nicht zu ersetzen", bringt es ein Delegierter aus Rheinland-Pfalz auf den Punkt. Der "wirtschaftspolitische Kopf der CDU" trete mit ihm ab.
Es ist ein tiefgreifender Umbruch, der sich da in Karlsruhe bei der CDU vollzieht. Neben Koch und Rüttgers tritt auch Christian Wulff nicht mehr als Parteivize an. Drei altgediente Politiker der CDU treten ab, es ist das Ende der Generation Andenpakt. Und der Sieg Merkels über die einstmals so starken Männer. Der Modernisierungskurs der CDU-Vorsitzenden ist nun auch an ihrer Parteispitze angekommen. Einzig Bildungsministerin Annette Schavan, die als Merkel-Vertraute gilt, behält ihren Posten als Parteivize. Daneben rücken drei Neue an die Spitze des Konrad-Adenauer-Hauses vor, von denen zwei als mögliche Kronprinzen der Kanzlerin gelten.
Würde es nach den Wahlergebnissen des Parteitags gehen, wäre die Sache bereits ausgemacht. 88,2 Prozent für Umweltminister Norbert Röttgen, 85,12 Prozent für Arbeitsministerin Ursula von der Leyen ebenso wie für Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier, und magere 64,12 Prozent für Schavan. Doch so einfach ist das nicht.
Eigentlich gibt es eine klare Rollenverteilung für die vier Stellvertreter. Der Hesse Bouffier soll in Kochs Schuhe schlüpfen und sich mit Themen wie Innere Sicherheit und Integration profilieren. Die anderen drei haben ihre Schwerpunkte qua Ministeramt. Soweit die Theorie. Wie unterschiedlich die vier jedoch ihre Rollen interpretieren, zeigten ihre Reden.
Röttgen mit Rundumschlag
Am deutlichsten wird das bei Umweltminister Röttgen. Während sich Bouffier, Schavan und von der Leyen im wesentlichen an ihre Themen halten, ist Röttgen das nicht genug. Er spricht von "entscheidenden Jahren für unser Land", vom "Umbruch". Röttgen wagt den thematischen Rundumschlag. Finanzmarktkrise, Wachstum auf Kosten der künftigen Generationen, gesellschaftliche Akzeptanz für Großprojekte wie Stuttgart 21. "Unser Anspruch muss es sein, auf diese Fragen ordnende und orientierende Antworten zu geben", ruft der Umweltminister in den Saal. "Der Umbruch ruft nach geistiger Führung." Dass er sich dabei eine wichtige Rolle zutraut, ist offensichtlich. Der Applaus der Delegierten und das spätere Wahlergebnis signalisieren, dass sie seine Meinung teilen.
"Stärkste Rede", "beste Vorstellung", "das Herz der CDU getroffen" - so lauten die Urteile der versammelten CDU-Anhänger nach Vorstellung der vier Kandidaten. Röttgen macht eine gute Figur, zudem gibt ihm die Wahl zum NRW-Landeschef durch die Basis Auftrieb und Rückenwind. Auch das beste Wahlergebnis als Stellvertreter Merkels stärkt ihn so, wie das enttäuschende Abschneiden Schavan schwächen wird. Bouffier ist noch "der Neue", wie ein Delegierter sagt. Bleibt noch Arbeitsministerin von der Leyen.
Zustimmung für von der Leyen
Doch sie ist nicht wie Röttgen. Während er sich größeren Aufgaben stellt, werden sie von der Leyen bereits zugetraut. Ihre Rede ist kürzer, thematisch begrenzter, aber nicht weniger überzeugend, wie die Basis meint. Von der Leyen bedankt sich für den "Vertrauensvorschuss" der CDU, den sie in ihren Ämtern bislang gehabt habe. Nun wolle sie der Partei etwas zurückgeben. Sie fährt fort mit dem Vertrauen, das die Menschen in die Politik haben sollten und von ihrem Lieblingsthema Chancen, die jedes Kind haben sollte. "Ganz ausgezeichnet", meint hinterher eine Delegierte aus dem Saarland. Eine "dominante, beeindruckende Persönlichkeit", sagt ein anderer aus Rheinland-Pfalz. "Gerade heraus, unheimlich engagiert und ohne Scheu vor Diskussionen" sei die Ministerin, findet die Saarländerin. Das kommt an in der Partei.
Röttgen und von der Leyen - beide sind an der Basis beliebt, stehen für eine moderne CDU und beiden wird das Potenzial für das höchste Regierungsamt der Republik zugetraut. Das wurde zwar auch schon den Andenpakt-Männern wie Koch oder Wulff. Im Unterschied zu ihnen haben Röttgen und von der Leyen aber noch Zeit und können darauf setzen, ihre Chance noch nach einem Abgang Merkels zu bekommen. Möglicherweise müssen sie sich dann allerdings mit einem Dritten um die Kanzlerschaft streiten, der mit ihnen am Kabinettstisch sitzt: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der auch in Karlsruhe zugegen ist, um die Abschaffung der Wehrpflicht durchzusetzen. Sein Erscheinen kündigt sich an, als Applaus und vereinzelter Jubel in der Halle ausbricht. Ein Schelm, wer das als Zeichen nimmt.
Quelle: ntv.de