Enttäuschung auf hohem Niveau Der Papst hält eine Vorlesung
22.09.2011, 18:34 Uhr
Der Papst im Bundestag.
(Foto: dapd)
Eindringlich und unverblümt stellen die Gastgeber Forderungen an die katholische Kirche. Doch Benedikt XVI. enttäuscht die an ihn gerichteten Erwartungen auf hohem Niveau. In seiner Rede geht es nicht um die Finanzkrise und nicht um die Krise der Kirche. Sondern um Gott.
Es ist ein Missverständnis, das ganz bewusst inszeniert wird. Offiziell spricht der Papst als Oberhaupt eines Zwergstaates, der kaum mehr Einwohner als der Deutsche Bundestag Mitglieder hat. Faktisch jedoch spricht der Papst natürlich als Papst, als Oberhaupt aller Katholiken weltweit. Nach Zählung der katholischen Kirche sind das immerhin 1,181 Milliarden Menschen.
In Berlin befindet er sich in der Diaspora, soll heißen: Katholiken sind hier in der Minderheit. Das gilt selbst im Bundestag. Nur 184 der 620 Abgeordneten sind katholisch, die meisten davon, 131, Mitglied der Unionsfraktion. Einer davon ist Parlamentspräsident Norbert Lammert, der den Papst zu dieser Rede im Bundestag eingeladen hatte.
Die Erwartungen an die Rede, an den Besuch insgesamt, sind hoch. "Die Millionen Menschen, die in konfessionsverschiedenen Ehen leben, und die Millionen wiederverheirateten Katholiken, aber auch viele andere Gruppen" erwarteten "befreiende Botschaften" vom Papst, hatte Bundespräsident Christian Wulff zuvor in Interviews gesagt.
Noch sehr viel unverblümter spricht der Bundestagspräsident das Thema Ökumene an. In seiner Begrüßungsrede sagt Lammert: "Viele Menschen in Deutschland empfinden die Fortdauer der Kirchenspaltung als Ärgernis." Es gebe "ehrlich begründete Zweifel", ob die Unterschiede zwischen den Konfessionen die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen den Kirchen rechtfertigen. "Und sie wünschen sich dringlich, dass im Pontifikat eines deutschen Papstes, des ersten nach der Reformation, nicht nur ein weiteres Bekenntnis zur Ökumene, sondern ein unübersehbarer Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung stattfände." Die Abgeordneten unterstreichen das Gesagte mit kurzem Applaus.
Einige Stühle im Plenum sind unbesetzt, doch boykottieren deutlich weniger als die angekündigten 100 Abgeordneten die Rede. Auffällig ist, dass bei der Linksfraktion zwei Drittel der Plätze leer bleiben.
"Mehrheitsprinzip reicht nicht aus"
Dann tritt der Papst ans Pult. Benedikt XVI. hält eine Vorlesung über die Grundlagen des Rechts in Europa. "Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers", sagt er. In den meisten Fragen könne "die Mehrheit ein genügendes Kriterium" sein. In den meisten, nicht in allen.
An dieser Stelle dürften einige Abgeordnete schlucken: Dass "in den Grundfragen des Rechts, in denen es um die Würde des Menschen und der Menschheit geht, das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offenkundig", sagt der Papst. Er wendet sich gegen den "Positivismus", also das strikt naturwissenschaftliche und diesseitige Weltbild der Gegenwart. "Wo die alleinige Herrschaft der positivistischen Vernunft gilt (...), da sind die klassischen Erkenntnisquellen für Ethos und Recht außer Kraft gesetzt." Dies sei "eine dramatische Situation". Mit seiner Rede wolle er "eine öffentliche Diskussion" über dieses Thema anstoßen.

Die Rede des Papstes wurde ins Olympiastadion übertragen. Dort warteten bereits einige Tausend Gläubige.
(Foto: dapd)
Gegen den Positivismus stellt Benedikt das Naturrecht, ein Recht, dessen Grundlage Vernunft und Natur sind - und letztlich Gott. "Wie kann die Vernunft wieder ihre Größe finden", fragt der Papst. "Wie kann die Natur wieder in ihrer wahren Tiefe, in ihrem Anspruch und mit ihrer Weisung erscheinen?" Er verweist auf die ökologische Bewegung - und erhält, im letzten Drittel seiner Rede, den ersten Zwischenapplaus. Von den Grünen. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele bekommt diese Passage nicht mehr mit. Er hat den Plenarsaal bereits verlassen. Ein paar Sätze später stellt Benedikt XVI. klar, dass er hier nicht "Propaganda für eine bestimmte politische Partei" mache - Lachen, erneut Applaus, diesmal auch aus anderen Fraktionen.
"Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom - aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden", sagt der Papst. Bereits Stunden zuvor war es bei seinem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel um Europa gegangen.
Bundestag Spiegel der Patchwork-Gemeinde
Vor seiner Rede hatte Benedikt XVI. sich mit Lammert und den Fraktionsvorsitzenden getroffen. Auch Merkel und Wulff nahmen an dem Treffen teil, außerdem Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft und die Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse, Eduard Oswald, Hermann Otto Solms, Petra Pau und Katrin Göring-Eckhart. Die Grüne ist im Nebenberuf Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Schon dieses Treffen zeigte, dass der Papst keineswegs ein normaler Staatsgast ist: Wer mochte, konnte sich vom Papst segnen lassen - ein Ritual, das von den anderen zwölf Staatsgästen, die bislang im Bundestag gesprochen haben, nicht vorgenommen wurde.
Zugleich zeigte dieses Treffen aber, wie Benedikts Heimatland sich verändert hat. Der Bundespräsident ist katholisch, geschieden und wiederverheiratet - damit ist er von der für Katholiken wichtigen Kommunion ausgeschlossen. Die Kanzlerin ist ebenfalls geschieden und wiederverheiratet, aber evangelisch. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Kraft ist als junge Frau aus der katholischen Kirche ausgetreten. Heute ist sie evangelisch.
Die weitaus meisten, wenn nicht alle Teilnehmer der Runde dürften auf den Segen verzichtet haben. Linksfraktionschef Gregor Gysi und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hatten bereits im Vorfeld dankend abgelehnt. Gysi sagte, da er nicht religiös sei, wäre es "ein bisschen frech, wenn ich das machte". Trittin sagte, er habe die Auffassung, "dass Segnen nicht hilft". Jeder Mensch sollte es aber so halten, wie er es für richtig halte. Trittins Co-Vorsitzende Renate Künast ist Mitglied der kirchenkritischen Humanistischen Union, die übrigen drei Fraktionsvorsitzenden - Volker Kauder für die Union, Frank-Walter Steinmeier von der SPD und der FDP-Politiker Rainer Brüderle - sind allesamt evangelisch. Lediglich die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, ist katholisch. Doch auch sie ist in zweiter Ehe verheiratet.
Höflich, aber nicht befreiend
Mit seiner Rede hat Benedikt XVI. die an ihn gerichteten Erwartungen auf hohem Niveau enttäuscht. Er spricht nicht über die Finanzkrise, nicht über die Probleme von geschiedenen Katholiken, nicht über die Ökumene, nicht über den Zölibat, die Missbrauchsfälle, Homosexualität oder die Rolle der Frau in der Kirche. Die vom Bundespräsidenten geforderte befreiende Botschaft, es gibt sie nicht, nicht im Schloss Bellevue, nicht im Bundestag. Im Olympiastadion geht er auch nur indirekt auf die Missbrauchsskandale ein. "Manche bleiben bei ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen", sagt er und spricht von der leidvollen Erfahrung, "dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut" gibt.
Natürlich, Benedikt XVI. ist ein höflicher Gast. Vatikansprecher Federico Lombardi lobt Wulffs Rede zum Empfang des Papstes im Schloss Bellevue. Sie sei "klar und ehrlich" gewesen, der Papst habe Wulffs Worte "sehr geschätzt". In Frageform hatte Wulff die heiklen Themen angesprochen, darunter den Umgang der Kirche mit Geschiedenen: "Wie barmherzig geht sie mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern? Welchen Platz haben Laien neben Priestern, Frauen neben Männern? Was tut die Kirche, um ihre eigene Spaltung in katholisch, evangelisch und orthodox zu überwinden?" Die Fragen bleiben unbeantwortet.
Das Motto des Papst-Besuches lautet "Wo Gott ist, da ist Zukunft". Er sei nicht wie andere Staatsmänner nach Deutschland gekommen, um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, hatte der Papst bei seinem Treffen mit Wulff gesagt, "sondern um den Menschen zu begegnen und mit ihnen über Gott zu sprechen". Genau das hat er im Bundestag getan.
Am Ende stehen die Abgeordneten auf, auch das verbliebene Drittel der Linksfraktion. Sie klatschen nicht, aber sie stehen.
Quelle: ntv.de